Gleiche Bildungschancen als Voraussetzung für erfolgreiche Integration

Auszüge aus dem Leitantrag „Für soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben – Gleiche Bildungschancen als Voraussetzung für erfolgreiche Integration“ des SPD-Parteitages:
“ … Herkunft darf kein Schicksal sein – das ist der Anspruch der SPD. Dieser Anspruch gilt heute mehr denn je. Er gehört zum Kern unserer sozialdemokratischen Grundüberzeugungen und ist Leitlinie unserer Politik für soziale Teilhabe und Gleichberechtigung. Damit verbindet sich die Überzeugung, dass jeder Mensch in unserer Gesellschaft die gleiche Würde und den gleichen Wert besitzt. Niemand darf von Geburt an auf einen bestimmten Lebensweg festgelegt werden. Gleichberechtigung und freie Selbstbestimmung, die faire Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung und eigene Leistung müssen für alle Menschen gleichermaßen gelten – unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft, von Geschlecht oder Alter, sexueller Orientierung, Religion oder Weltanschauung. …

Zentrale Voraussetzung für soziale Teilhabe sind gleiche Bildungschancen für alle. Ein sozial gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem muss allen in Deutschland lebenden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die gleichen Möglichkeiten bieten, ihren Lebensweg selbst zu gestalten. Das Erreichen von Bildungsabschlüssen muss durch eigene Leistung bestimmt sein. Eine qualitativ hochwertige und flächendeckende öffentliche Bildungsinfrastruktur, die allen offensteht, ist der Schlüssel für gelingende Integration. Sie ist Voraussetzung für politisches Engagement, demokratische Partizipation und die Fähigkeit der Verantwortungsübernahme in einer ebenso freien wie sozialen Gesellschaft.

Zugleich ist Bildung die wesentliche Grundlage für den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft, … . Doch nach wie vor bleibt zu viel Potenzial ungenutzt: Mehr als 58.000 Schülerinnen und Schüler verlassen unser Schulsystem ohne Abschluss. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen mit Migrationshintergrund absolvieren keine Berufsausbildung. Und mehr als 320.000 Jugendliche befinden sich in Fördermaßnahmen des sogenannten Übergangssystems, das ihnen keine vollqualifizierenden Berufsabschlüsse bietet. 1,5 Millionen junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 30 Jahren haben keinen Berufsabschluss. Und 7,5 Millionen Menschen im Erwachsenenalter gelten als funktionale Analphabeten. …

Kein Kind mehr zurücklassen – Mehr Jugendliche zu besseren Abschlüssen führen
Das Ziel, kein Kind mehr auf dem Weg zurückzulassen, werden wir nur erreichen, wenn wir Integration verstärkt vorantreiben, Chancengleichheit realisieren und die starken Muster sozialer Vererbung mit den richtigen bildungspolitischen Instrumenten, z.B. durch längeres gemeinsames Lernen, durchbrechen. Dazu werden wir alle Schulen organisatorisch, strukturell und finanziell so ausstatten, dass sie jedes Kind optimal zu dem individuell bestmöglichen Abschluss führen können.

Neben den entsprechenden Strukturen und Angeboten, die hier auf- und ausgebaut werden müssen, ist eines klar: Es wird uns nichts gelingen, wenn wir die Menschen auf unserem Weg nicht mitnehmen. Sie müssen im Mittelpunkt aller bildungspolitischen Programme stehen. Wir müssen frühzeitig Brücken zu ihnen aufbauen, über die im Bedarfsfall die entsprechenden Unterstützungsleistungen transportiert werden können. …

Unserem Bildungssystem gelingt es nicht, die bestehenden Potenziale der Kinder und Jugendlichen aus Einwandererfamilien ausreichend zu nutzen. Sie sind auch bei guten Leistungen und hohem Engagement strukturell benachteiligt, etwa wenn sie für gleiche Schulartempfehlungen bessere Leistungen aufweisen müssen als deutsche Schülerinnen und Schüler. Auch wenn viele Befunde und Statistiken verdeutlichen, dass Bildungsarmut insbesondere eine soziale Frage ist, darf nicht verschwiegen werden, dass in Einwandererfamilien die oftmals vorhandenen schlechteren sozioökonomischen Verhältnisse häufig durch Sprachdefizite zusätzlich verschärft werden. … Nur mit einem gut funktionierenden Bildungssystem, maßgeschneiderten Angeboten und optimaler Förderung, werden wir Fehlentwicklungen korrigieren und Defizite beseitigen können.

Bildungsgerechtigkeit realisieren bedeutet, vorhandene Talente zu nutzen, Fähigkeiten auszuschöpfen und faire Chancen zu schaffen. Jedes Kind muss nach seinen Möglichkeiten und vor allem bestmöglich gefördert werden. Dazu gehört auch, dass wir sämtliche Rahmenbedingungen in den Blick nehmen: ## Für den Bildungserfolg ist nachweislich die soziale Situation der Familien ausschlaggebend. Eltern mit geringeren Einkommen haben oftmals nicht die ökonomischen und zeitlichen Kapazitäten, ihre Kinder hinreichend zu unterstützen.
## Das Bildungsniveau der Eltern hat Einfluss auf die mögliche Ausschöpfung der Bildungspotenziale ihrer Kinder. Statistisch gesehen haben Kinder, deren Eltern studiert haben, eine dreimal so hohe Chance auf ein Hochschulstudium.
## Die Motivation und Leistungsbereitschaft der Jugendlichen hängt stark mit dem individuellen Umfeld (Wohnquartier/ soziale Gruppe/ Clique) zusammen und damit mit dessen sozialer Zusammensetzung.
## Migrationsspezifische Merkmale, wie die in der Familie gesprochene Sprache bzw. der Sprachmix, bauen bereits früh Hürden in der Bildungslaufbahn auf.
Das Ansetzen an diesen Faktoren wird allerdings nicht ausreichen. Denn klar ist, dass Verbesserungen bei Bildungschancen nicht mehr nur allein im Bildungssystem selbst vorgenommen werden können. Um bessere Perspektiven für alle jungen Menschen zu schaffen, bedarf es neben der Herstellung von Chancengleichheit im Bildungssystem auch eines interdisziplinären politischen Agierens in verwandten Politikfeldern, unter anderem in der Stadt- und Regionalentwicklung sowie in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Kulturpolitik. Es gilt eben nicht nur die Schwächsten gezielt zu fördern, sondern auch ganze sozial schwierige Stadtteile und Regionen mitzudenken und zu aktivieren. Nur wer hier frühzeitig ansetzt und ganzheitlich agiert, wird am Ende Erfolg haben.

Die sozialdemokratische Antwort auf die Defizite und Probleme im deutschen Bildungssystem lautet: ## Leistungsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit sind im Bildungssystem zwei Seiten derselben Medaille. Wir werden immer beide Ziele gleichermaßen in den Blick nehmen.
## Bildungschancen müssen endlich unabhängig von der sozialen Herkunft ermöglicht werden.
## Eine qualitativ hochwertige, flächendeckende, öffentliche und gebührenfreie Bildungsinfrastruktur ist der richtige Weg, wenn wir gleiche Bildungschancen für alle garantieren wollen. …
Sprachförderung ausbauen – interkulturelle Kompetenz stärken
Gute Deutschkenntnisse sind unerlässlich für Teilhabe und Partizipation. Sie müssen deshalb besonders gefördert und eingefordert werden. Aus diesem Grund wollen wir eine durchgängige Sprachförderung etablieren, die am Übergang von der Kita zur Schule nicht abbricht und neben der allgemeinen Sprachkompetenz auch auf die Vermittlung der für erfolgreiche Bildungsbiografien unverzichtbaren „Bildungssprache“ abzielt. …

Zusätzliche Investitionen in die Sprachförderung sind ebenso notwendig wie mehr finanzielle Mittel für Beobachtung und Dokumentation der Sprachentwicklung von Kindern. Wissenschaftlich fundierte Diagnoseverfahren sind eine wichtige Ergänzung, um individuelle passende Förderangebote gezielt einsetzen zu können.

Aber es gilt auch den Wert von Zweisprachigkeit anzuerkennen und gezielt zu fördern. Für Kinder mit Migrationshintergrund und ihre sprachliche Entwicklung ist es wichtig, dass ihrer Muttersprache mit Wertschätzung begegnet wird. Gezielte Sprachförderangebote in Deutsch sollen durch muttersprachliche Angebote ergänzt werden, … .

Integration kann nur dort gelingen, wo es interkulturell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Deshalb muss interkulturelle Kompetenz ein zentraler Bestandteil der Erzieherausbildung ebenso wie der Lehrerausbildung werden. Außerdem wollen wir mehr pädagogisches Personal mit Migrationshintergrund gewinnen. Grundbildung und Alphabetisierung sind Aufgaben, denen sich Bund und Länder gemeinsam stellen müssen. Die Zahl von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten verdeutlicht die Dringlichkeit dieser Aufgabe. Wir wollen, dass es zum Selbstverständnis deutscher Bildungspolitik gehört, dass allen Menschen, die in Deutschland wohnen – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – ein Recht auf Grundbildung und Alphabetisierung garantiert werden muss. …

Gleiche Teilhabechancen für alle Kinder – Inklusive Bildung als zentrale Herausforderung
Inklusive Bildung ist eine notwendige Basis für eine gerechtere Gesellschaft. Sie ist eine Schlüsselstrategie, um das Menschenrecht auf Bildung im Sinne von Qualität, Chancengleichheit, demokratischer Teilhabe und Individualität für alle zu verwirklichen. Wir bekennen uns ausdrücklich zu dem Ziel eines inklusiven Bildungssystems.

Inklusion leitet sowohl die Bildungspolitik als auch die Bildungspraxis. „Inklusion im Bildungsbereich bedeutet, dass allen Menschen die gleichen Möglichkeiten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale entwickeln zu können, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen.“ (Deutsche UNESCO-Kommission Expertenkreis, Inklusive Bildung 2010)

Der Übergang vom selektiven zum inklusiven Schulsystem stellt einen Paradigmenwechsel dar, der unter Beteiligung aller Bildungsakteure sorgfältig vorbereitet werden muss. Er ist eines der wichtigsten Reformvorhaben der nächsten Jahre. Die Landesregierungen tragen die Verantwortung für einen realistischen Zeit- und Ressourcenplan, in dem die konkreten Maßnahmen festgelegt werden. …

Wir wissen, dass die Weiterentwicklung des Schulsystems im Sinne der Inklusion mit Sorgen und Ängsten von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und weiteren Beschäftigten in den heutigen Förderschulen verbunden ist. Diese Sorgen nehmen wir ernst und wollen die Veränderungen im Schulsystem in einem engen Dialog mit allen Beteiligten sorgfältig vorbereiten und schrittweise mit ausreichend Zeit umsetzen. Aktionismus lehnen wir ausdrücklich ab. …

Der Arbeit, die an den bestehenden Förderschulen und Förderzentren erbracht wird, begegnen wir mit Respekt und Wertschätzung. Deshalb werden wir auch die professionellen Fachkräfte, die Lehrerinnen und Lehrer an Förderschulen und an Förderzentren in den notwendigen Reformprozess einbeziehen und am Aufbau neuer Förderstrukturen beteiligen. …

Echte Perspektiven statt Warteschleifen – Das Recht auf berufliche Ausbildung
Jeder Mensch hat ein Recht auf eine berufliche Ausbildung. Seit vielen Jahren wird einer großen Zahl von jungen Erwachsenen dieses Recht vorenthalten, weil zu wenige betriebliche Ausbildungsplätze angeboten wurden. Vor allem der hohe Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, ist besorgniserregend. Wir setzen uns aktiv dafür ein, dass junge Migrantinnen und Migranten gleiche Chancen auf eine vollqualifizierende Berufsausbildung haben. …

Politisch Verantwortliche auf allen Ebenen waren in den letzten Jahren bestrebt, jungen Erwachsenen, die nicht direkt in die betriebliche Ausbildung einmündeten, Förderangebote zu unterbreiten. Dabei ist jedoch ein intransparenter und teurer Maßnahmendschungel entstanden. Im sogenannten Übergangssystem werden Jahr für Jahr mehr als sechs Mrd. Euro für Maßnahmen ausgegeben, deren Effizienz meist nicht belegt ist. …

Wir wollen das Übergangssystem überwinden, indem wir das Recht auf Ausbildung für alle, die deutlich zeigen, dass sie einen Ausbildungsplatz wollen auch durchsetzen. In Zukunft gilt der Grundsatz: kein Abschluss ohne Anschluss. Zentrale Voraussetzungen dafür sind der systematische Ausbau der persönlichen Begleitung und frühen Beratung in der Schule, die betriebliche Einstiegsqualifizierung als wichtige, gezielt einzusetzende Fördermaßnahme und die Weiterentwicklung und Stärkung des regionalen und kommunalen Bildungsmanagements als Dreh- und Angelpunkt für den Übergang von der Schule in den Beruf.

Ein Recht auf Ausbildung – Kein Abschluss ohne Anschluss.
Alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen die sich anstrengen, sollen eine Ausbildungsgarantie im Sinne des Rechtsanspruchs auf eine vollqualifizierende berufliche Ausbildung erhalten. Der größte Teil der Jugendlichen kann durch eine verbesserte und früh einsetzende Berufsorientierung den direkten Weg in die betriebliche Ausbildung finden. Entscheidend ist die verlässliche, durchgängige und kompetente wie vertrauensvolle Begleitung der Jugendlichen von der Schule, über die Berufsorientierung und den Schulabschluss in die Berufsausbildung hinein. Diese Berufseinstiegsbegleitung muss daher zum Regelangebot für alle Schulen und alle Schülerinnen und Schüler gegen Ende der Sekundarstufe I ausgebaut werden.

Neben der besseren Berufsorientierung und Einstiegsbegleitung ist dafür aber weiterhin ein bedarfsdeckendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen eine notwendige Voraussetzung. Deshalb fordern wir die Betriebe nachdrücklich auf, ihr Angebot an Ausbildungsplätzen auszubauen. Bei Bedarf werden wir gemeinsam mit den Tarifpartnern im Falle knapper Ausbildungsplatzangebote mit einer branchenweiten Ausbildungsplatzumlage für eine solidarische Finanzierung sorgen. …

Alle Jugendlichen, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben, sollen bei einem Träger oder in einer berufsbildenden Schule einen öffentlich geförderten Ausbildungsplatz mit engen Bezügen zur betrieblichen Praxis erhalten. Dort wird der jeweilige individuelle Förderbedarf festgestellt. Die Auszubildenden erhalten die Garantie auf das zweite und dritte Jahr einer vollqualifizierenden Berufsausbildung, die entweder im Betrieb oder bei einem Träger absolviert werden kann.

Als zentrales Instrument aus dem heutigen Übergangssystem soll die sehr erfolgreiche betriebliche Einstiegsqualifizierung fortgeführt werden. Sie wird zukünftig schulmüden und eher praxisorientierten Jugendlichen mit individuellem Förderbedarf angeboten. Im Rahmen von ausbildungsbegleitenden Hilfen können unter sozialpädagogischer Begleitung Sprach- und Bildungsdefizite junger Erwachsener abgebaut und die Kenntnisse in Fachpraxis und -theorie gestärkt werden. Im Anschluss absolvieren die Jugendlichen unter möglicher Anrechnung der Einstiegsqualifizierung eine Ausbildung im Betrieb oder einer vollqualifizierenden Berufsfachschule mit Kammerprüfung.

Ein erfolgreicher Schulabschluss ist zentrale Voraussetzung für die weitere Bildungslaufbahn und entscheidend bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Wir wollen im Sinne einer Politik der zweiten Chance einen Rechtsanspruch auf das Nachholen von Schulabschlüssen schaffen und die Betroffenen bei der Finanzierung der Lebenshaltungskosten unterstützen. … .“

http://www.spd.de/aktuelles/Pressemitteilungen/21826/20111205_leitantrag_bildung.html

Quelle: SPD

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