Den Erfolg der Jugendstrategie durch Indikatoren messbar machen

Auszüge aus dem Diskussionspapier der AGJ Anforderungen an jugendpolitische Indikatoren als Instrument der EU-Jugendstrategie:
“ … Auch wenn das entstehende Indikatorentableau laut EU-Kommission
vorrangig zum Zwecke der Information und weniger für eine politische
Steuerung eingesetzt werden soll, ist die angestrebte Entwicklung von
Indikatoren im Jugendbereich doch Teil einer erneuerten Politikstrategie der Kommission. Diese soll eine Politik ersetzen, die im Wesentlichen auf Einschätzungen und Umfragen beruht. Ziel ist „eine Herangehensweise, die Personen helfen soll, ihre politischen Entscheidungen auf der Basis möglichst umfassender und objektiver Tatbestände zu treffen“. …

Indikatoren in der EU-Jugendpolitik – Versuch einer Einordnung
Der Einsatz von statistischen Daten oder Indikatoren ist in vielen Politikfeldern selbstverständlich. Auch Indikatoren, die Lebenslagen junger Menschen abbilden, gibt es bereits.
Die Nutzung von Indikatoren oder Kennzahlen zur Steuerung von politischen Prozessen ist ein sinnvolles Verfahren, wenn die Grenzen dieses Verfahrens beachtet werden.

In der Jugendpolitik lassen sich „harte“ Indikatoren wie die Quote der Jugendarbeitslosigkeit, der Anteil junger Menschen an gesellschaftlichen Organisationen oder der Grad ihrer Beteiligung an Wahlen oder anderen Partizipationsprozessen messen. Derartige Ergebnisse ermöglichen mittelbar auch Rückschlüsse auf die Lebensumstände junger Menschen, insbesondere dann, wenn es ein sorgfältig definiertes und klar formuliertes Ziel gibt, dessen Erreichen mit diesen Indikatoren überprüft werden soll.
Weniger eindeutig stellt sich die Sachlage dar, wenn mittelbare Wirkungen von Entwicklungen, politischen Entscheidungen oder Programmen
„gemessen“ werden sollen. Bei dem EU-Programm „Jugend in Aktion“ gibt es daher seit einiger Zeit neben der Ermittlung der reinen Beteiligungszahlen junger Menschen an diesem Programm auch Befragungen zu qualitativen Aspekten.

Grundlage für das Funktionieren von Indikatoren ist die Festlegung von
(politisch) gesetzten Zielwerten oder -korridoren, damit ermittelte
Ergebniswerte bezogen auf das formulierte Ziel als „gut“, „weniger gut“ oder „nicht gut“ angesehen werden können.

Beispiele für solche angestrebten Zielwerte sind die Senkung der
Schulabbrecherquote in der EU auf zehn Prozent und die Steigerung der
Mobilität junger Menschen in der EU. Ähnliche Zielwertsetzungen lassen sich bei der Jugendarbeitslosigkeit oder dem Maß der Beteiligung junger Menschen an gesellschaftlichen und demokratischen Prozessen vorstellen. Dies setzt aber einen breiten gesellschaftlichen Dialog voraus und kann nicht politisch von der Europäischen Kommission „gesetzt“ werden. …

Auch auf die Gefahren einer Instrumentalisierung der Ergebnisse und der
Wirklichkeitsausblendung muss hingewiesen werden. Kennzahlen und
Indikatoren „erfassen“ die soziale Wirklichkeit immer in komprimierter und standardisierter Form. Dies gilt umso mehr für die europäische
vergleichende Forschung, die häufig mit einer schwierigen Datenlage und
extrem divergierenden Lebenslagen umzugehen hat. …

Anforderungen an Indikatoren in der EU-Jugendpolitik

Die von der Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission vorgeschlagenen
Indikatoren beziehen sich zum einen auf den Bereich „Jugend“ im Gesamtgefüge der Bevölkerung und zum anderen auf Politikfelder, in denen geeignete Indikatoren vermutet werden (wie Bildung und Ausbildung, Beschäftigung und Unternehmergeist oder Gesundheit und Wohlbefinden). Für die Politikbereiche, in denen es noch keine geeigneten Indikatoren für die EU-Ebene gibt (Kultur und Kreativität, Beteiligung, Freiwilligenaktivitäten und Jugend in der Welt), liegen ebenfalls Vorschläge vor. Dabei ist festzustellen, dass ein Teil dieser Indikatoren aufgrund ihrer Herkunft aus anderen Politikbereichen nicht mit einer jugendpolitischen Perspektive entwickelt wurden. …

Aus Sicht der AGJ sind die vorgeschlagenen Indikatoren grundsätzlich geeignet, um wenigstens Teile der Lebenswelt junger Menschen in Europa abbilden und politische Schlüsse daraus ziehen zu können. Gleichzeitig sind die Indikatoren eher an Bedürftigkeitsthemen orientiert als an den vielfältigen Aufgaben, die junge Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden zu bewältigen haben. Die Indikatoren entsprechen damit vor allem einer defizitorientierten Perspektive. Dadurch werden sie ein eingeschränktes Bild der Jugend in Europa liefern. …

Darüber hinaus sind aus Sicht der AGJ einige Ergänzungen des Indikatorentableaus wünschenswert, um ein komplexeres Bild der Jugend widerzugeben: ## Kontextuelle Indikatoren

In dieser Indikatorengruppe wird mittels Kennzahlen eine Einordnung des Anteils junger Menschen (15 bis 19 Jahre, 20 bis 24 Jahre, 25 bis 29 Jahre)an der Gesamtbevölkerung vorgenommen. Hier fehlt der Anteil der Kinder (0 bis 14 Jahre) an der Gesamtbevölkerung. Dieser Indikator wäre aber wichtig, gerade um ein Bild davon zu erhalten, wie sich der Anteil der Jugendlichen in der EU in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. …
Eine weitere Kennzahl im Bereich der „kontextuellen Indikatoren“ soll das durchschnittliche Alter erfassen, in dem junge Menschen den elterlichen Haushalt verlassen. Dies gilt zwar als ein wichtiger Hinweis auf Verselbständigungsprozesse vor dem Hintergrund des Erwachsenwerdens, ein solcher Indikator reicht jedoch für die Darstellung des Grades der Autonomie junger Menschen bei weitem nicht aus.

Ein zusätzlicher Indikator, der die aktuelle Wohnsituation und das Einkommen koppelt, könnte über den Zeitpunkt des Auszugs hinaus zumindest den Grad an finanzieller Autonomie erfassen. Es ist ein Unterschied, ob ein junger Mensch in einer eigenen Wohnung wohnt und selbst für seine Lebenshaltungskosten aufkommt oder ob diese von seinen Eltern vollständig übernommen oder durch soziale Transferleistungen aufgefangen werden. …
## Gesundheit und Wohlbefinden

Im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden werden Kennzahlen über den Anteil der regelmäßigen Raucherinnen und Raucher, über Übergewicht,
Alkoholkonsum, Selbstmorde und psychische Belastungen sowie über
Verkehrsunfälle erfasst. Das zeichnet jedoch ein unvollständiges Bild von der gesundheitlichen Situation junger Menschen. Für ein umfassenderes Bild wären etwa Indikatoren zu Sport und Ernährung sinnvoll. Positive Entwicklungen im Sinne eines veränderten Gesundheitsbewusstseins könnten somit erfasst werden. …
## Soziale Inklusion

Hinsichtlich sozialer Inklusion schlägt die EU folgende Indikatoren vor, die vor allem materielle Gründe für fehlende Inklusion abbilden und eindeutig defizitorientiert sind:

– Armutsrisikoquote

– schwerwiegende materielle Entbehrungen

– Leben in Haushalten mit geringer Beschäftigungsintensität

– ungedeckte medizinische Bedarfe

– junge Menschen außerhalb von Beschäftigung, Bildung oder Ausbildung.
Aus Sicht der AGJ fehlen in dieser Indikatorengruppe Kennzahlen, die verdeutlichen, in welchem Ausmaß junge Menschen in das soziale Gemeinwesen integriert sind. …

Auch der Faktor Migration wurde völlig außer Acht gelassen. Beispielsweise waren Jugendliche mit Migrationserfahrung lange Zeit in der internationalen Jugendarbeit unterrepräsentiert und seit einigen Jahren wird im Sinne von Chancengerechtigkeit versucht, dies zu ändern. Eine Aufschlüsselung nach Migrationserfahrung könnte Aufschluss über die Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund geben … .
## Bildung und Ausbildung

Aus Sicht der Europäischen Union ist die Förderung der Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken ein zentrales Anliegen. In den vorliegenden Indikatoren wird jedoch nur nach Mobilität im Rahmen eines freiwilligen (ehrenamtlichen) Engagements gefragt. Mobilität bedeutet aber mehr. Sie betrifft unter anderem die Bereitschaft beziehungsweise die Wahrnehmung von Möglichkeiten, zu Lern- und Arbeitszwecken in ein anderes Land, eine andere Stadt oder Region zu ziehen. Vor diesem Hintergrund wäre in der Indikatorengruppe „Bildung und Ausbildung“ ein Indikator zu Auslandsaufenthalten zu formalen und non-formalen Lernzwecken wünschenswert. …
## Fazit

Insgesamt sind die erarbeiteten Indikatoren aus Sicht der AGJ nicht mehr als ein erster Einstieg in eine datengestützte Politikgestaltung der Europäischen Union im Jugendbereich. Dennoch ergibt sich auf diese Weise die Möglichkeit, längerfristig vergleichbare Daten aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erhalten. Der erste EU-Jugendbericht hat deutlich gezeigt, dass es bislang an der Verfügbarkeit von Daten zur Erfassung der Lebenslagen junger Menschen in Europa mangelt. Wenn der zweite Europäische Jugendbericht künftig eine den deutschen Kinder- und Jugendberichten vergleichbare Wirkung auf politische und fachliche Entwicklungen und Entscheidungen haben soll, ist die hier vorgeschlagene Qualifizierung und Erweiterung der jugendpolitischen Indikatoren unverzichtbar. …

Wenn jugendpolitische Indikatoren dem Anspruch gerecht werden sollen, die Jugendstrategie der EU erkennbarer und ihren Umsetzungsstand transparenter zu machen, müssen aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ die zugrunde liegenden Daten europaweit erhoben, verfügbar und vergleichbar sein. Hierzu gehört insbesondere eine stärkere Anpassung der erfassten und dargestellten Alterskohorten.

Schließlich mangelt es derzeit noch an der Festlegung von politisch wünschenswerten und realistischen Zielwerten. Allein die Darstellung des Ist-Zustandes ist zur politischen Steuerung nicht ausreichend. Es bedarf daher einer breiten Diskussion darüber, welche Zielwerte oder -korridore aus welchem politischen Grund anzustreben sind. Nur dann lassen sich die erhobenen Werte einordnen und in transparente und abgestimmte politische Maßnahmen umsetzen. …“ Das Diskussionspapier steht in vollem Textumfang über aufgeführtem Link oder im Anhang zur Verfügung.

www.agj.de/pdf/5/Jugendpolitische_Indikatoren.pfd

Quelle: AGJ

Dokumente: Jugendpolitische_Indikatoren.pdf

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