Wege aus der geteilten Bildungsrepublik

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration legt eine Studie zu Ausmaß und Folgen von Bildungssegregation an Schulen in Deutschland vor: In Städten ist ein hohes Ausmaß der Entmischung der Schülerschaft festzustellen. Die Lernbedingungen an segregierten Schulen sind oftmals ungünstig. Aber: Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund an einer Schule allein wirkt sich nicht negativ auf die Leistung einzelner Schüler aus. Entscheidend sind sozialer Hintergrund und Leistungsniveau der Mitschüler. Auch Schulen mit hohem Zuwandereranteil können ein sehr gutes Lernumfeld bieten. Die Studie stellt Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Lernmöglichkeiten an segregierten Schulen vor. Interkulturelle Öffnung spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Bessere Lernmöglichkeiten an Schulen mit Zuwandereranteil schaffen

Ursache der Entmischung der Schülerschaften ist vor allem die wohnräumliche Segregation in den Kommunen. Verschärft wird die Segregation durch die elterliche Schulwahl: Besonders bildungsnahe Eltern – mit und ohne Migrationshintergrund – tendieren dazu, Schulen mit hohem Zuwandereranteil zu meiden. Dadurch steigt an einzelnen Schulen der Anteil der Schüler, die aufgrund ihres Elternhauses schlechtere Lernvoraussetzungen haben; sehr zum Nachteil vieler Schüler mit Migrationshintergrund.

Grundvoraussetzung für verbesserte Lernbedingungen an segregierten Schulen ist eine langfristige Unterstützung der Schulen durch die zuständigen Schulbehörden und Kultusministerien. Dies gilt vor allem für die Qualifizierung des Schulpersonals, die Unterstützung von schulischen Kooperationen und die Einführung von Sozialindizes als Bemessungsgrundlage für die Mittelzuweisung. Derzeit gehört es für Lehramtsstudierende nur an jeder fünften Hochschule zum Pflichtprogramm, sich pädagogische Kompetenzen im Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft anzueignen. Der Umgang mit Heterogenität sollte bundesweit fester Bestandteil der Lehrerausbildung werden, dies gilt insbesondere für die Sprachbildung.

Eine weitere Voraussetzung für eine gelingende Interkulturelle Öffnung ist eine nachhaltige schulische und außerschulische Kooperation, z.B. mit Sportvereinen und Kultureinrichtungen.

Segregierte Schulen, in denen häufig viele sozial benachteiligte Schüler lernen, benötigen zusätzliche personelle und materielle Ressourcen. Nur so können sie ein besseres Lernumfeld bieten. Um segregierte Schulen bedarfsgerecht zu finanzieren und eine Interkulturelle Öffnung zu ermöglichen, sollten sie auf der Grundlage eines sog. Sozialindex zusätzliche Mittel erhalten.

Auszüge aus den Handlungsempfehlungen der Studie „Segregation an deutschen Schulen – Ausmaß, Folgen und Handlungsempfehlungen für bessere Bildungschancen“:

„Interkulturelle Öffnung von segregierten Schulen

Die bisherigen erfolglosen Versuche der Desegregation bestätigen, dass für eine gezielte Verbesserung der Lernmöglichkeiten vor Ort die einzelne Schule eine zentrale Rolle spielt. Um eine solche Verbesserung zu erreichen, müssen Schulen die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen ihrer Schülerklientel, z. B. die sozioökonomische Lage oder unterschiedliche Herkunftssprachen, nicht bloß punktuell berücksichtigen, sondern zum strategischen Ausgangspunkt für ihr organisatorisches und pädagogisches Handeln machen. Eine solche konsequente Umorientierung auf den Normalfall einer Schülerschaft mit unterschiedlichen sozialen, kulturellen und körperlich-geistigen Ausgangsvoraussetzungen lässt sich unter dem Begriff der „interkulturellen Öffnung“ zusammenfassen. Interkulturelle Öffnung bedeutet hier, die an vielen (segregierten) Schulen immer noch vorherrschende Orientierung am „deutschen Durchschnittsschüler“ allmählich anzugleichen an die vielfältige Lebenswirklichkeit der Schüler vor Ort. Eine erfolgreiche interkulinterkulturelle Öffnung verspricht bessere Bildungschancen für alle Schüler an segregierten Schulen. (…) Mit Blick auf die interkulturelle Öffnung von Schulen lassen sich drei Kernbereiche hervorheben:

  • die gesamte Schule,
  • der Unterricht,
  • die Zusammenarbeit mit den Eltern Eine erfolgreiche interkulturelle Öffnung in jedem dieser drei Kernbereiche erfordert weitreichende Entwicklungsmaßnahmen. (…)

Handlungsempfehlungen für die Bildungspolitik

Damit segregierte Schulen eine wirksame und nachhaltige interkulturelle Öffnung erreichen können, müssen die zuständigen Schulbehörden und Kultusministerien als bildungspolitische Akteure sie gezielt in drei Bereichen unterstützen:

  1. bei der Qualifizierung des Personals,
  2. bei der Anpassung der Rahmenbedingungen für Finanzierung, Bildungsmonitoring und den Ganztagsausbau,
  3. durch die nachhaltige Unterstützung von Kooperation.

Schule und Unterricht werden in erster Linie durch die Lehrer gestaltet. Eine wichtige Rolle kommt zudem der Schulleitung zu, vor allem an segregierten Schulen. Durch den bundesweit zunehmenden Ausbau von Ganztagsschulen werden außerdem vermehrt Erzieher in die Nachmittagsbetreuung von Schülern eingebunden. Um das gesamte Schulpersonal für den „Normalfall Vielfalt“ zu qualifizieren, der einer interkulturellen Öffnung zugrunde liegt – und das nicht nur an segregierten Schulen –, muss die Aus- und Fortbildung in diesen gesellschaftlich so bedeutsamen Berufen grundlegend angepasst werden. (…)

Segregierte Schulen stehen oft vor Problemen, die sie ohne externe Hilfe und mit den bestehenden personellen und materiellen Ressourcen kaum lösen können. Diese Ressourcen werden „ungerechterweise“ in vielen Bundesländern auf alle Schulen gleich verteilt. Ungerecht ist das insofern, als segregierte Schulen oft in einem sozial belasteten Umfeld unter erschwerten Bedingungen arbeiten, z. B. mit mangelnder elterlicher Unterstützung. Um segregierte Schulen entsprechend ihren Herausforderungen zu finanzieren und eine interkulturelle Öffnung zu ermöglichen, müssen Rahmenbedingungen entsprechend angepasst und die Schulen gezielt unterstützt werden. (…)

Handlungsempfehlungen Personal qualifizieren

  • Pflicht für alle zukünftigen Lehrkräfte: Ausbildung im Umgang mit (sprachlicher) Vielfalt
  • Frühzeitiges Praxissemester in der Lehrerausbildung
  • Zahl der unterschiedlichen Lehrämter reduzieren und an Schulformen orientieren
  • Anspruchsvoller Unterricht durch fundierte fachliche Ausbildung
  • Umsetzung: Lehrerausbildung an Hochschulen institutionell stärker verankern
  • Fortbildungsangebot übersichtlich gestalten
  • Gruppenfortbildungen für einzelne Schulen anbieten
  • Angebotsqualität inhaltlich und personell sichern
  • Schulische Netzwerke fördern
  • Gemeinsame Fortbildungen für Schulleitungsteams
  • Coaching für Schulleiter
  • Umgang mit Vielfalt als Kernbestandteil der Erzieherausbildung
  • Erziehern den Weg zum Hochschulabschluss ebnen
  • Gruppenfortbildungen für Lehrer und Erzieher

Handlungsempfehlungen Rahmenbedingungen anpassen

  • Gezielte Förderung dank Sozialindex
  • Unterstützendes Bildungsmonitoring
  • Datenkompetenz fördern
  • Mehr Unterstützung durch lokale Schulbehörden
  • Ganztagsangebot mit Leben füllen
  • Attraktive Ganztagsangebote kultureller Bildung entwickeln
  • Ganztagsbetrieb in die kommunale Bildungslandschaft einbetten Kooperation nachhaltig unterstützen

Der Erfolg der interkulturellen Öffnung von segregierten Schulen ist stark abhängig von Ausmaß und Qualität der Kooperation

  1. innerhalb der Schule,
  2. mit anderen Schulen und
  3. mit außerschulischen Akteuren wie z. B. Kultureinrichtungen.

In allen Bereichen – von der Klassenführung über durchgängige Sprachbildung bis hin zur Zusammenarbeit mit den Eltern – kann die interkulturelle Öffnung von segregierten Schulen nur im Team gelingen.

Die Kooperation zwischen Lehrkräften ist an segregierten Schulen aber noch unzureichend ausgeprägt. (…) Auch Kooperation mit anderen Schulen und mit außerschulischen Akteuren dient oft nur als Lückenfüller, z. B. wenn einzelne Stunden in der Nachmittagsbetreuung von Sportvereinen übernommen werden. Die Belastungen des Schulalltags an segregierten Schulen verhindern in vielen Fällen, dass bestehende Kooperationen nachhaltig gepflegt und weiterentwickelt oder neue Kooperationsbeziehungen aufgebaut werden. (…)

In segregierten Stadtteilen kommt den Schulen neben ihrem Bildungsauftrag noch verstärkt die Aufgabe der sozialen Integration zu, da Familien, Arbeitsstätten und die Nachbarschaft diese Rolle kaum noch erfüllen. Spätestens hier wird deutlich: Segregierte Schulen benötigen starke Partner vor Ort, mit denen sie systematisch und dauerhaft kooperieren, um Kindern und Jugendlichen und ihren Familien eine vollwertige gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Zu einer solchen Bildungslandschaft gehören u. a. Sportvereine, Kulturinstitutionen, Einrichtungen der Jugendhilfe und die kommunale Verwaltung. Die bereits bestehenden kommunalen Bildungslandschaften sind i. d. R. politisch gewollt und professionell gestaltet.

Das vielfältige Angebot erstreckt sich von ganztägiger Kinderbetreuung über sportliche und kulturelle Aktivitäten und Hausaufgabenhilfe bis hin zu Bildungs- und Unterstützungsangeboten für Eltern. Die Kooperation von Schulen, Kindergärten, Vereinen und anderen Einrichtungen vor Ort erhöht nicht nur die Qualität des Bildungsangebots am Vor- und Nachmittag. Sie ermöglicht auch eine frühzeitige Intervention in problematischen Fällen, z. B. durch Angebote spezialisierter Beratung und Therapie für Schüler und ihre Familien. (…)

Erforderlich sind:

  • Langfristige finanzielle Unterstützung
  • Kooperation auch auf der Ebene von Verwaltung und Politik
  • Anknüpfen an lokale Expertise und Strukturen.“

Für die 60-seitige Studie, die von der Stiftung Mercator gefördert wurde, hat der SVR-Forschungsbereich eine Sonderauswertung der jüngsten Schulleistungsuntersuchungen IGLU und TIMSS durchgeführt sowie Schulstatistiken einzelner Bundesländer und des Mikrozensus ausgewertet.

Quelle: SVR Migration

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