Niedrigschwellige Angebote der Benachteiligtenförderung

Gerade die arbeitsmarktorientierten Instrumentarien des SGB II und SGB III zeigen bei Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf häufig nicht die erwünschte Wirkung, so dass eine wachsende Zahl junger Menschen aus den bekannten Regelsystemen im Übergang von der Schule in den Beruf, der Berufsvorbereitung und Ausbildung nach SGB II und III herausfallen. Deren Zugangs- und Rahmenbedingungen treffen nicht die schwierigen Lebenslagen einer stetig steigenden Anzahl von jungen Menschen. Sie tragen damit zum Scheitern von Jugendlichen bei, die gar nicht erst in Qualifizierungsmaßnahmen ankommen, diese abbrechen oder sie ohne verwertbare Ergebnisse beenden.

Aktuell werden in der politischen – zum Teil auch in der öffentlichen – Diskussion eben diese Jugendlichen in den Blick genommen, die mit den vorhandenen Angeboten nicht mehr erreicht werden. Einige fallen gänzlich aus dem Hilfesystem.

Wie aber kann diesem Teufelskreis aus Benachteiligung, Hilfebedürftigkeit, Überforderung und schließlich erneutem Rückfall in die Hilfebedürftigkeit begegnet werden? Wie müssten die Hilfen aussehen? Was benötigen benachteiligte Jugendlichen wirklich um nachhaltig in die Gesellschaft integriert zu werden?

In den letzten Jahren haben sich einzelne Projekte mit niedrigschwelligen Angeboten für besonders förderbedürftige Jugendliche gegründet. Grundverständnis ihrer Arbeit ist eine sozialpädagogische Fachlichkeit und der Ansatz an der biografischen Lebenssituation der Jugendlichen. Diese Projekte versuchen mit ihrer Arbeit den Teufelskreis zu durchbrechen und jungen Menschen wieder Hoffnung und Perspektive zu geben.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft örtlich regionaler Träger (BAG ÖRT) hat in Zusammenarbeit mit der Stiftungsuniversität Hildesheim in einer Studie Bedingungen und Kriterien unterscuht, die zum Erfolg solcher Projekte führen. In der Studie wird das Organisationsmodell einer „Fachlichkeit niedrigschwelliger Jugendsozialarbeit“ entwickelt, welches seine Kraft aus der Verankerung im regionalen sozialen Umfeld bezieht und die pädagogischen Notwendigkeiten aus den individuellen Bedarfen heraus entwickelt.

Auszüge aus der Studie „Niedrigschwellige Integrationsförderung“:
Auf neuen Wegen – Niedrigschwelligkeit in Projekten der beruflichen Integrationsförderung junger Menschen
Das Konzept der Niedrigschwelligkeit stellt bisher keinen breiten Ansatz in der beruflichen Integrationsförderung junger Menschen dar; niedrigschwellige Hilfen können auch als ein neues Organisationsmodell im gesamten Bereich der Beschäftigungsförderung bezeichnet werden. Daraus ergibt sich u.a. die Frage nach der Verankerung von Niedrigschwelligkeit in der täglichen Arbeit der Projekte. Niedrigschwelligkeit in beruflicher Integrationsförderung zeichnet sich zunächst durch die Erkenntnis aus, dass anderweitige Hilfen für junge Menschen größere Hürden und Barrieren aufweisen sowie durch Überlegungen, wie junge Menschen trotzdem und anders erreicht werden können. …

In den niedrigschwelligen Projekten lässt sich eine Faustregel finden, die man alltagssprachlich auf die Formulierung bringen könnte: Ohne wieder hergestellten Selbstwert keine Anschlussmotivation für die Integration in neue Arbeits- oder andere Tätigkeitsfelder. Die Betroffenen müssen spüren und sozial erfahren können, dass sie auch ohne die aktuelle Möglichkeit zur Erwerbsarbeit und trotz des Scheiterns an Qualifikations- und Ausbildungshürden etwas wert sind, dass etwas in ihnen steckt und sie entsprechend sozial anerkannt werden. Entsprechend müssen sie in neuen, durch die Projekte herzustellenden Bezügen erfahren, dass sie auch etwas bewirken können. …

Diese niedrigschwelligen Projekte der Jugendsozialarbeit können das Problem des verwehrten Zugangs zum ersten Arbeitsmarkt zwar nicht auflösen, aber doch wieder dahingehend neu thematisieren, dass Erweiterungen auf beiden Seiten möglich sind:
– sowohl in den Regionen, in denen erweiterte Definitionen von Arbeit zivilgesellschaftlich begründet und tätigkeitsgesellschaftlich umgesetzt werden und damit neue Erreichbarkeiten geschaffen werden,
– als auch auf der Seite der Lebensbewältigung der Betroffenen, die Gelegenheiten erhalten, sich aus sich selbst heraus zu erproben und Fähigkeiten aufzuschließen, die jenseits tradierter Qualifikationszonen liegen. …

Die niedrigschwelligen Projekte der Jugendsozialarbeit scheinen weiterhin davon auszugehen, dass das „kritische“ Problem sozialer Benachteiligung im Sinne des verwehrten Zugangs nicht automatisch in der Situation der Arbeitslosigkeit selbst oder der ungewissen Zukunftsperspektive liegt, sondern in der Art und Weise, wie man diesen Situationen und Konstellationen psychisch und sozial ausgesetzt ist. Deshalb ist es bei der Organisation von niedrigschwelligen Angeboten für die von sozialer Benachteiligung betroffenen Personen wichtig, Zeit und Raum für Beziehungen zu haben, in denen kritische Konstellationen biographisch lokalisiert und identifiziert werden können. Nur so kann es gelingen, kritische Situationen für die Biographie im geschützten Beziehungsraum so zu thematisieren, dass sie wieder als offene und deshalb unterschiedlich beeinflussbare Bewältigungskonstellationen erscheinen.

Versucht man vor diesem Hintergrund eine Definition von Niedrigschwelligkeit in der beruflichen Integrationsförderung junger Menschen zu finden, wird deutlich, dass es nicht „nur“ um das Übertreten einer Schwelle gehen kann. Niedrigschwelligkeit meint neue Zugangswege und -formen zu den jungen Menschen zu schaffen und im Verlauf eine niedrigschwellige Pädagogik und somit Fachlichkeit zu entwickeln, die an den Lebenswelten der jungen Menschen anknüpft und verlässliche niedrigschwellige (Übergangs-)Räume und Hilfen zur Lebensbewältigung schafft. Niedrigschwelligkeit in der beruflichen Integrationsförderung meint ein ganzheitliches neues Organisationsmodell, das sich inhaltlich kontinuierlich und konsequent an den Bedürfnissen des einzelnen jungen Menschen ausrichtet.

Grundzüge einer Fachlichkeit niedrigschwelliger Jugendsozialarbeit – Die Sicht auf die Zielgruppe
Die Beschreibungen der Zielgruppen durch die MitarbeiterInnen der untersuchten Projekte zeigen drei grundsätzliche Differenzierungslinien: Heterogenität, Entwicklungsdynamik und regionalen Spezifika, die sich aus Wirtschaftsstruktur, sozialen Problematiken, Praxis der Grundsicherungsträger und dem Gefüge weiterer Bildungsträger bzw. sozialer Einrichtungen ergeben. Die Zielgruppe wird zum Ersten insgesamt als sehr heterogen beschrieben. … In einfachen … formalen Kategorisierungen, etwa nach Bildungsstand, Herkunft oder Migrationshintergrund … lassen sich … die ProjektteilnehmerInnen nur unzureichend charakterisieren. Unter den TeilnehmerInnen befinden sich z.B. längst nicht nur Jugendliche und junge Erwachsene ohne Schulabschluss; sie verfügen oft auch über einen Hauptschul-, zuweilen auch über einen Realschulabschluss oder Abitur oder eine abgeschlossene Ausbildung.

Grundsätzlich werden natürlich – den Zugangsvoraussetzungen entsprechend – viele Abbrüche in formalen Bildungsgängen konstatiert. Die Bildungsverläufe sind geprägt von der Erfahrung des Scheiterns an und in formalen Strukturen wie Schule, vorherigen Maßnahmen, Ausbildungen. Umgekehrt sieht man dies auch als Scheitern der formalen Strukturen an diesen Jugendlichen: Die meisten TeilnehmerInnen seien nach der Schule mit ihren erfolglosen Suchen nach Ausbildung für einige Jahre „vergessen“ worden … Die Zielgruppe wird weiterhin zu weiten Teilen schlicht als arm beschrieben, viele Jugendliche orientieren sich auch in ihren Ansprüchen an den ALG-II-Unterstützungssätzen. … Mit Blick auf ihre unmittelbare Zukunft arrangieren sich viele der TeilnehmerInnen offensichtlich mit ihrer Armut und haben bereits gelernt, mit wenig bzw. mit sehr wenig auszukommen. Neben dieser zunächst materiellen Armut werden oft auch die bekannten Begleiterscheinungen wie fehlende Unterstützungsstrukturen im sozialen Umfeld und den Familien, eine „soziale Enge“ und entsprechend enge Perspektiven auf ihr zukünftiges (Berufs-)Leben genannt. …

Der Grundtenor der Aussagen ließe sich dahingehend zusammenfassen, dass Probleme deshalb Probleme sind, weil sie die Handlungsoptionen der Jugendlichen selbst einschränken. Es geht nicht um eine Defizitbestimmung vor dem Hintergrund von „objektiven“ Anforderungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Die Anforderungen in bestimmten Bereichen der lokalen Wirtschaft werden von den MitarbeiterInnen viel mehr als Grenze beschrieben, die eine Integration für „ihre“ Jugendlichen ohne Aussichten erscheinen lässt, weshalb man nach alternativen Perspektiven zu suchen gezwungen ist.

Niedrigschwelligkeit als Organisationsmodell in der Jugendsozialarbeit
Was die eigentliche Fachlichkeit einer niedrigschwelligen Jugendsozialarbeit ausmacht, ist das Organisationsmodell, das sich bei aller Unterschiedlichkeit der Projekte durch die Praxis hindurchzieht und hinter dem ein eigener fachlicher Ansatz steht. Das Modell lässt sich zusammenfassend wie folgt skizzieren: ## Es geht von den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen in ihrer Verschiedenheit und mit ihren ganz konkreten Bedürfnissen aus. Auf der Grundlage von Akzeptanz und Respekt der Person wird ihr Bewältigungshandeln vor dem Hintergrund ihrer Lebenslagen „gelesen“.
##Aus dem fachlichen Verständnis der Bedürfnisse und des Bewältigungshandelns heraus werden ein professioneller Handlungsbedarf und mögliche Schritte Richtung Inklusion formuliert, an dem sich die pädagogische Arbeit grundsätzlich orientiert.
##Mit dem Blick auf die Bedürfnisse, Kompetenzen und Interessen sowie die regionalen Anknüpfungspunkte (in Sachen Beschäftigung, Bedarf und organisatorische Rahmenbedingungen) wird das spezifische Projekt (weiter-)entwickelt bzw. der Projektalltag ausgestaltet, um so weit wie möglich den Handlungsbedarf aufzugreifen.
##Die Bedingungen einer Teilnahme und ihr möglicher Sinn werden zu Beginn und auch später zwischen beteiligten Professionellen sowie den Jugendlichen geklärt und transparent gemacht, um auch die Grenzen des Projekts in Bezug auf den konkreten Einzelfall zu klären.
##Über eine „Konstruktion von Freiwilligkeit“ wird bereits beim Zugang, aber auch im weiteren Verlauf versucht, eine Passung zwischen den konkreten Biographien und dem Projektrahmen herzustellen und eigenen Entscheidungen der TeilnehmerInnen Raum zu geben. Grundsätzlich gehen die Projekte davon aus, dass dies bei möglichst vielen Jugendlichen möglich sein muss, d.h. sie sind nicht auf Selektion, sondern auf Inklusion ausgelegt. …
##Es werden zusammen mit den Jugendlichen individuelle Perspektiven erarbeitet, die „im Fluss“ sind. Eine oder mehrere „Standardlösungen“, die die Projektstruktur für alle TeilnehmerInnen bereits vorgibt, werden weitgehend vermieden. Auch bei der Ausgestaltung des Projektalltags haben die TeilnehmerInnen Möglichkeiten zur Mitbestimmung.
##Das Ziel Arbeit und Ausbildung bleibt explizit als wichtige Perspektive „im Hinterkopf“ bestehen, aber es wird im Rahmen der biographischen Entwicklung insgesamt eingeordnet. Bei der Suche nach konkreten Anschlussperspektiven wird im Prinzip das gesamte Spektrum der lokalen Ökonomie und der sozialen Dienstleistungen genutzt. …
##Um mit diesem Modell zu arbeiten, werden enge Kontakte zu Grundsicherungsträgern und Jugendämtern aufgebaut und/oder unabhängigere Projektfinanzierungen beantragt. So können die entsprechenden Finanzierungskonstrukte kreiert werden, die eine fachliche Arbeit nach den oben beschriebenen Grundzügen zulassen. Außerdem wird so versucht, möglichst für jede/n einzelne/n TeilnehmerIn den professionellen Handlungsbedarf mit den möglichen Förderungen zu „synchronisieren“.

Ohne das Ziel der beruflichen Integration mit der Teilhabe an Arbeitsmärkten aus dem Blick zu verlieren, bedarf es aus Sicht der Jugendsozialarbeit weiterer vielfacher Aktivitäten, die schrittweise auf eine gesellschaftliche Integration hinarbeiten. Hierbei müssen vor allem auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst mit einbezogen werden. Sie müssen Mitsprache bei der Gestaltung ihres weiteren Weges und bei der Gestaltung ihrer eigenen Unterstützungsstrukturen erhalten, sie müssen ihre eigenen Bedürfnisse, Ideen und Vorstellungen hier mit einbringen können. Ohne solche Mitspracherechte werden sie einen beruflichen Integrationsprozess kaum als ihren eigenen ansehen und aktiv daran mitwirken können.

Letztlich steht hier aber auch die Frage im Raum, ob überhaupt jeder Mensch im Sinne einer vorgegebenen Normalbiographie in eine reguläre Arbeit integriert werden will und werden kann. Es ist möglich und oft sehr wahrscheinlich, dass Integration in Arbeit ein Schritt ist, der aus pädagogisch-fachlicher Sicht in so weiter Ferne liegt, dass zunächst ganz andere Ziele formuliert werden müssen, etwa gesundheitliche und psychische Stabilität, Klärung der Wohnsituation, der familiären Situation usw. …“

Die Studie „Niedrigschwellige Integrationsförderung“ im Auftrag der BAG ÖRT in vollem Textumfang entnehmen Sie aufgeführtem Link oder dem Anhang.

www.bag-oert.de

Quelle: BAG ÖRT

Dokumente: Niedrigschwellige_Integrationsfoerderung.pdf

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