Armut hat ein junges Gesicht

Auszüge aus dem Beschluss „Armut hat ein junges Gesicht“:
„… Kinder- und Jugendarmut müssen aus der Tabuzone der Gesellschaft heraus kommen.
18% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden unter relativer Armut, sie haben also weniger als 60% des Medianeinkommens des Landes zum Leben zu Verfügung. Die 19- 25 jährigen sind die Gruppe mit der höchsten Armutsquote in Deutschland. Kinder und Jugendliche sind häufig von Armut betroffen, weil sie in Haushalten von Alleinerziehenden leben. Jugendliche sind darüber hinaus in besonderem Maße von prekärer Beschäftigung betroffen, durch die unter anderem kein Einkommen erzielt wird, das die Armutsgrenze übertrifft.

Während es bei Kindern eine steigende gesellschaftliche Wahrnehmung des Phänomens gibt wird Jugendarmut als eigenständiges Problem kaum wahrgenommen. Bei der Jugendarmut handelt es sich um ein eigenständiges, separat zu betrachtendes Phänomen in einer Lebensphase von großer Wichtigkeit mit entscheidenden Umbrüchen. …

Armut ist mehr als materielle Armut
Materielle Armut hat häufig negative Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Lebensbereichen. Die verfügbaren materiellen Ressourcen bestimmen über die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, des Wohnumfelds, der Mobilität, der Ernährung und häufig auch über Bildungschancen. Damit schränkt materielle Armut die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe ein. Dies ist aus Sicht des BDKJ besonders dramatisch, wenn es Kinder und Jugendliche betrifft.

Um diese Risiken in der Diskussion über Armut angemessen zu berücksichtigen setzt sich der BDKJ für die Verwendung des Begriffs der Lebenslagenarmut ein. Dieser bezieht neben dem verfügbaren Einkommen Faktoren wie Bildung, die Wohnsituation, die physische und psychische Gesundheit, die Beschäftigung, die (soziale) Mobilität, die sozialen Netzwerke etc. mit ein. Neben diesen objektiven können auch subjektiv verfügbare Ressourcen im Bereich der kognitiven, sozialen und emotionalen Kompetenz eine Rolle spielen. Die objektiven und subjektiven Faktoren wirken zusammen und können die gesamte Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen. …

Teilhabearmut und schlechtere Startchancen bedingen wiederum materielle Armut. Oft entsteht ein generationsübergreifender Teufelskreislauf, und die Armut wird von einer Generation an die nächste „vererbt“. Armut kann somit weder auf Verminderung von Teilhabechancen noch auf materielle Armut reduziert werden. Ihre Bekämpfung muss die gesamte Lebenssituation junger Menschen und die Strukturen, welche diese bedingen, in den Blick nehmen.



Forderungen zur Überwindung der Kinder und Jugendarmut

Mit dem Beschluss „Solidarität – Chance für die Zukunft“ (2003) hat der BDKJ eine Vision eines Gesellschaftsmodells formuliert, das die Armut in Deutschland wirksam bekämpfen könnte. Basierend auf einem Grundeinkommen, das jeder Person von Geburt an zur Verfügung steht, ist das Bild einer Gesellschaft entstanden, in der soziale Sicherheit und Teilhabe in allen Lebensbereichen für alle Menschen möglich wird. Diese Vision ist ein Leitbild, an dem sich die Analyse der gesellschaftlichen und sozialen Situation in Deutschland ausrichtet und gleichzeitig Zielpunkt der politischen Einflussnahme des BDKJ.

In der gegenwärtigen Situation trägt der BDKJ dazu bei, Kinder- und Jugendarmut als gesellschaftlichen, menschlichen, sozialen und politischen Skandal sichtbar zu machen. Der BDKJ engagiert sich gegen Strukturen, die Kinder- und Jugendarmut bedingen und setzt sich für ihre Überwindung ein. Neben Ansprüchen an die eigene Arbeit in den katholischen Kinder- und Jugendverbänden stellt der BDKJ Forderungen an Gesellschaft und Politik:

Soziale Sicherungssysteme
Wir fordern die Einführung eines eigenständigen Kinder- und Jugendgrundeinkommens als ersten Schritt hin auf ein Grundeinkommen für alle Bevölkerungsgruppen.
Bis zu dessen Realisierung stellen wir folgende Forderungen: ##1. eigenständige, bedarfsgerechte und armutsfeste Berechnung der Bedarfssätze für Kinder und Jugendliche im SGB II/XII,
##2. Einbeziehung der realistischen Kosten für Nachhilfe, Nutzung ÖPNV, Nutzung von Freizeit- und Sporteinrichtungen, Verbands und Vereinsaktivitäten in die Berechnung der Bedarfssätze, Förderung der Teilnahme der von Armut Betroffenen an Ferienfreizeiten,
##3. Verzicht auf Anrechnung zusätzlicher Unterstützungsmaßnahmen (wie z.B. Kindergeld) des Staates auf das ALG II,
##4. Verzicht auf die Anrechnung von Einnahmen aus Freiwilligendiensten auf ALG II,
##5. Hilfe bieten zur Befähigung für ein eigenverantwortliches Leben, Verzicht auf Sanktionen, die das Existenzminimum angreifen,
##6. Abschaffung des Erfordernisses einer Auszugsgenehmigung durch die Grundsicherungsstelle für junge Erwachsene im SGB II.
Bildung ## 1. Verlängerung der gemeinsamen Schulzeit aller Schülerinnen und Schüler zur Verringerung frühzeitiger Ausgrenzung und zur Kompensation bestehender Benachteiligungen,
##2. Kostenlose Mahlzeiten in Kindertageseinrichtungen und Schulen, die sich an den Empfehlungen für eine gesunde Ernährung orientieren,
##3. Ausbau der personellen und sächlichen Ressourcen für eine individuelle Förderung zur Überwindung von Lernbeeinträchtigungen und Bildungsdefiziten und Stärkung der Schulsozialarbeit, …
Lebenslagen und Lebensumfeld ##1. Zur Verfügung Stellung ausreichenden, bezahlbaren Wohnraums der für Kinder und Jugendliche geeignet ist,
##2. Einführung von niederschwelligen und sozialräumlich orientierten Angeboten der Gesundheitsprävention,
##3. Ausbau von schulischen und außerschulischen Angeboten zur Schuldenprävention insbesondere für von Armut betroffener Jugendlicher,
##4. Stärkung der Angebote der Jugendsozialarbeit zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration Benachteiligter,
##5. verstärkte Förderung der Angebote der offenen und verbandlichen Jugendarbeit als Orte einer ganzheitlich orientierten Persönlichkeitsbildung,
##6. Umsetzung eines Rechts auf eine Ausbildung für alle,
##7. Abbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse zugunsten Existenz sichernder Beschäftigung,
##8. Schaffung von strukturellen Bedingungen für eine Armutsprävention, die Kindern von allein erziehenden Müttern und Vätern zugute kommt.
Überwindung der Kinder- und Jugendarmut im BDKJ
Der BDKJ und seine Mitgliedsverbände werden einen Beitrag zur Überwindung der Kinder- und Jugendarmut leisten:
## 2. Überprüfung der „Armutsfestigkeit“ der Mitgliedschaft und des ehrenamtlichen Engagements in den Mitgliedsverbänden,
##3. Evaluierung der bestehenden Solidaritätsinstrumente zur Ermöglichung der Teilhabe von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher und ggf. ihre Weiterentwicklung. …
## 4. Entwicklung, Erprobung und Ausbau millieusensibler Angebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche,
## 5. Verstärkung der Kooperation mit den unterschiedlichen Fachdiensten zur Unterstützung und Integration benachteiligter, von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher,
## 6. Mitverantwortung für das karitative Handeln der Kirche vor Ort als Beitrag zur Bekämpfung der Auswirkungen von Armut. „
Den Beschluss des BDKJ-Hauptausschusses in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführten Links.

www.jugendarmut.info
www.bdkj.de

Quelle: BDKJ

Dokumente: 3.61_Armut_hat_ein_junges_Gesicht.pdf

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