Situation der öffentlich geförderten Beschäftigung in Deutschland

Die Friedrich-Ebert-Stiftung legt eine als WISO Diskurs veröffentlichte Expertise zur öffentlich geförderten Beschäftigung in Deutschland vor. Öffentlich geförderte Beschäftigung ist ein klassisches Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Darunter werden sowohl beschäftigungsbegleitende Maßnahmen wie z. B. Lohnkostenzuschüsse als auch beschäftigungsschaffende Maßnahmen wie z. B. Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung) zusammengefasst. Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, (Langzeit-)Arbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen Zugang zu einer Beschäftigung zu ermöglichen. Diese Maßnahmen fanden allerdings nicht nur Unterstützung, sondern trafen auch auf Vorbehalte.

Seit einiger Zeit ist ein Umdenken feststellbar: Es besteht weitgehend Konsens, dass es Menschen gibt, die ohne eine solche Förderung – selbst bei steigender Nachfrage nach Arbeitskräften – absehbar keine Chancen auf reguläre Beschäftigung in einem Unternehmen haben und damit auch von gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten ausgeschlossen sind.

Die Expertise resümiert einerseits den Forschungsstand, andererseits stellt sie Programme und Konzepte für öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufbereitet vor. Ziel ist es, alternative arbeitsmarktpolitische Perspektiven zu entwickeln. Als Aufgabe der Politik wird abschließend gefordert, dauerhaft verlässliche Rahmenbedingungen für öffentlich geförderte Beschäftigung zu schaffen. Jugendlichen Arbeitslosen soll primär der Zugang zu Schul- bzw. Berufsabschlüssen ermöglicht werden.

Auszüge aus den politischen Schlussfolgerung der Expertise „Öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland – Aktuelle Instrumente, Programme und Konzepte“ von Alexander Matysik, Peer Rosenthal und Jörg Sommer:

„(…) Zielsetzungen

Grundsätzlich basieren die konzeptionellen Überlegungen für öffentlich geförderte Beschäftigung auf der Erkenntnis, dass (Langzeit)Arbeitslosigkeit sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte zunehmend verstetigt hat und kein kurzfristiges und schnell überwindbares gesellschaftliches Phänomen darstellt. Aus diesem Grund gehört die Arbeitsmarktintegration nicht zu den primären Zielen der hier vorgestellten Konzepte, sondern dieses wird als mittel- bis langfristiges Ziel angesehen, das mit Hilfe von öffentlich geförderter Beschäftigung erreicht werden kann. Die Hauptzielsetzung von öffentlich geförderter Beschäftigung wird stattdessen viel mehr darin gesehen, die Beschäftigungsfähigkeit arbeitsloser Menschen wiederherzustellen bzw. zu erhalten, um deren Teilhabe und Integration in die Gesellschaft zu fördern. Aus diesem Grund trifft auch die massenhafte Förderung durch das Instrument der Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante („Ein-Euro-Jobs“) auf relativ breite Ablehnung. Mit der Ausweitung öffentlich geförderter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ist gleichzeitig die Erwartung verknüpft, dass durch die zusätzlichen Tätigkeiten ein Beitrag zum gesellschaftlichen Gemeinwohl geleistet wird. (…)

Von einer starken Zielgruppenorientierung und einer damit teilweise einhergehenden Defizitkonstruktion als Fördervoraussetzung sind die Regelinstrumente des SGB II (…) aber auch das Programm Bürgerarbeit bestimmt. Dagegen fokussiert der Kommunal-Kombi von den Fördervoraussetzungen her schon auf hohe Marktungleichgewichte. (…)

Personenkreis

(…) Grundsätzlich setzt eine enge Zielgruppendefinition an multiplen Vermittlungshemmnissen an, während weit gefasste Vorstellungen auch Menschen mit geringen beruflichen Qualifikationen einschließen, die aufgrund der ungenügenden Nachfrage nach gering qualifizierter Arbeit von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. (…) Als besonders förderungsfähig gelten grundsätzlich Langzeitarbeitslose ab dem 25. Lebensjahr mit mehreren Vermittlungshemmnissen, wobei zuweilen auch eine weitere Eingrenzung auf ältere Arbeitslose ab dem 50. bzw. 55. Lebensjahr erfolgt. Ausgeschlossen von öffentlich geförderter Beschäftigung werden im Wesentlichen nur jugendliche Arbeitslose unter 25 Jahre, da für diesen Personenkreis primär der Zugang zu Schul- bzw. Berufsabschlüssen ermöglicht werden soll. Allerdings existieren auch Forderungen, öffentlich geförderte Beschäftigung allen arbeitslosen Empfängern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu ermöglichen, die mit ihren unterschiedlichen Qualifikationen und Erfahrungen wertvolle
Beiträge in einem öffentlichen Beschäftigungssektor leisten können. Diese Differenzen ergeben sich auch aus einer unterschiedlichen Bewertung der Marktersatzfunktion. (…)

Beschäftigungsfelder und -bedingungen

Als Beschäftigungsfelder für öffentlich geförderte Beschäftigung bezeichnen die Konzepte überwiegend Tätigkeiten im sozialen, kulturellen und ökologischen Sektor, wobei es hier primär um die Neu- und Wiedergewinnung entsprechender Arbeiten geht. Damit keine reguläre Arbeit verdrängt oder gar abgebaut wird, sollen Angebote konzipiert werden, für die es derzeit aufgrund ihrer hohen Kosten und der deshalb fehlenden Nachfrage (noch) keinen Markt gibt. Hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen fordern die Konzepte einhellig die Gewährleistung der beiden Kriterien „Freiwilligkeit“ und „Langfristigkeit“ der Förderung. Mit öffentlich geförderter Beschäftigung soll kein Billiglohnsektor durch die Hintertür eingeführt werden, sondern es wird ganz im Gegenteil eine Entlohnung angestrebt, die den tariflichen Entgelten (weitestgehend) entspricht. (…)

Perspektiven öffentlich geförderter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung

Perspektiven für öffentlich geförderte Beschäftigung müssen vor dem Hintergrund anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, dem verfestigten Leistungsbezug bestimmter Personengruppen und unterschiedlich hoher Marktungleichgewichte auf regionalen und sektoralen Teilarbeitsmärkten
bestimmt werden. Dabei ist es zwingend, die Funktionszuschreibung für über die Arbeitsmarktpolitik bereitgestellte Arbeitsverhältnisse an die mit diesen Maßnahmen potenziell erreichbaren Ziele rückzubinden. (…)

Vor diesem Hintergrund plädieren wir für eine Neuausrichtung öffentlich geförderter Beschäftigung, die (a) einerseits auf die Ziele der Zielgruppeninklusion und Beschäftigungsfähigkeit fokussiert und (b) andererseits die Ziele Marktersatz und Strukturwirksamkeit in den Blick nimmt. (…) Gleichwohl bedeutet dies, (…), den Einsatz geförderter Beschäftigung mit dem Ziel der Überprüfung der Arbeitsbereitschaft und der Koppelung staatlicher Transferleistungen an die Aufnahme einer geförderten Arbeit zurückzudrängen und das Freiwilligkeitsprinzip zu betonen – wohl wissend, dass sowohl eine Stärkung der Marktersatzfunktion von Arbeitsmarktpolitik als auch ein Abschied von der im Rahmen des Aktivierungsparadigmas verstärkten Konditionalisierung des Leistungsbezugs im Falle von Arbeitslosigkeit in Wissenschaft und Politik höchst umstritten sind.“

Zielgruppeninklusion und Beschäftigungsfähigkeit

„(a) Eine weitgehende Übereinkunft ist bei der Förderung bestimmter Zielgruppen mit öffentlich geförderter Beschäftigung festzustellen, um auf diesem Wege ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten bzw. auszubauen. (…) Dies bedeutet gleichwohl, dass öffentlich geförderte Beschäftigung das mittelfristige Ziel der regulären Beschäftigung nicht aus den Augen verlieren darf, Instrumente und Programme aber nicht auf das Ziel der Arbeitsmarktintegration ausgerichtet und später an Übergangsquoten in geförderter Beschäftigung bewertet werden. Was realistischerweise von öffentlich geförderter Beschäftigung in diesem Zusammenhang erwartet werden kann und muss, läuft auf die gesellschaftliche Integration benachteiligter Gruppen durch Arbeit hinaus. Die Beschäftigung ist nach Identifizierung spezifischer Förder- und Unterstützungsbedarfe parallel mit Qualifizierung und sozialpädagogischer Begleitung zu flankieren. Dies kann, insbesondere vor dem Hintergrund der in Deutschland sehr weit gefassten Definition von Erwerbsfähigkeit, in letzter Konsequenz bedeuten, dass einzelne Projekte bewusst arbeitsmarktfern und jenseits typischer marktlicher und von (betrieblichen) Rentabilitätserwartungen geprägter Abläufe zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist es unbedingt notwendig, erreichte Integrations- und Stabilisierungserfolge nachzuhalten, indem Perspektiven im Anschluss an eine Maßnahme entwickelt werden und die nächsten Stufen der Fördertreppe realistisch zu bestimmen sind.“

Marktersatz und Strukturwirksamkeit

„(b) Die Zielverbindung von Marktersatzfunktion und Strukturwirksamkeit ist dagegen von dem Gedanken getragen, dass bei anhaltenden Marktungleichgewichten und einer regional stark variierenden Betroffenheit von Arbeitslosigkeit diese Ungleichgewichte zu einem Teil von öffentlich geförderter Beschäftigung zu kompensieren sind. Diese Ausrichtung geförderter Beschäftigung fokussiert auf Personengruppen, denen primär nichts weiter fehlt als ein Arbeitsplatz. Da hohe Arbeitslosigkeit in der Regel mit einer Unterfinanzierung gesellschaftlich wichtiger Produkte und Dienstleistungen auf kommunaler Ebene zusammenfällt, gilt es, diese Bedarfe zu bestimmen und teilweise in öffentlich geförderte Beschäftigung zu überführen. Eine derartige Verknüpfung erlaubt zudem eine sozialräumliche Ausrichtung, so dass öffentlich geförderte Beschäftigung als ein Element sozialer Kohäsionspolitik auf Stadt(teil)ebene entwickelt werden kann. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass im Zuge der Finanzlage der meisten Länder und Kommunen solch ein Weg die Gefahr birgt, dass öffentlich geförderte Beschäftigung im zunehmenden Maße als Ausgleich für einen quantitativ
reduzierten öffentlichen Dienst fungiert. (…)“

Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse

„Was es für beide Ausrichtungen öffentlich geförderter Beschäftigung zu thematisieren gilt, ist die Frage nach der Zusätzlichkeit und dem öffentlichen Interesse der Tätigkeiten. Diese Vorgaben führen teilweise zu der paradoxen Situation, dass die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsplatzes wenig mit dem Anforderungsprofil von Stellen im allgemeinen Arbeitsmarkt zu tun hat und Refinanzierungsmöglichkeiten der Träger von Beschäftigung minimiert werden. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund kontraproduktiv, dass bei marktnaher Ausgestaltung bzw. Tätigkeit die besten Arbeitsmarktintegrationseffekte zu erzielen sind und mögliche Selbstfinanzierungseffekte nicht genutzt werden können. Von daher ist von starken gesetzlichen (oder zentralen untergesetzlichen) Ausgestaltungen dieser Kriterien Abstand zu nehmen und vielmehr auf eine Ausweitung der Kriterien abzuheben. (…)“

Arbeitsmarktpolitisches Instrumentatium in regionalem Kontext

Die Gewichtung der beiden Grundrichtungen von öffentlich geförderter Beschäftigung hängt stark von regionalen Kontexten ab. „Dies verlangt erstens ein entsprechendes arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium, in dem es zukünftig auch die Marktersatzfunktion stärker zu berücksichtigen gilt, um eine Maßnahme auch schon zur Verhinderung von Langzeitarbeitslosigkeit initiieren zu können. Zweitens muss das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium flexibel handhabbar sein. Mit Flexibilität ist gemeint, dass regional Bedarfslagen zu bestimmen sind, individuell zugeschnittene Förderhöhen ermöglicht und ggf. flankierend über die direkte Beschäftigung hinausgehende Unterstützungen wie Qualifizierungen unbürokratisch ergänzt werden können. Drittens verweisen Erfahrungen auch der jüngeren Vergangenheit darauf, dass es durchaus hilfreich sein kann, in Abhängigkeit der Arbeitsmarktsituation regional unterschiedliche Mindestbudgets für geförderte Beschäftigung zu bestimmen, um betriebswirtschaftliche Steuerungslogiken von Institutionen zu begrenzen. (…)

Inwieweit die dargelegten Perspektiven für öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor dem Hintergrund der massiven Mittelreduzierung der Bundesregierung im Bereich der Arbeitsförderung neben den unzureichenden instrumentellen Grundlagen kurzfristig zu realisieren sein wird, steht dagegen auf einem anderen Blatt. Vielmehr besteht eine unmittelbare Auswirkung der Kürzungen schon jetzt darin, dass sozialversicherungspflichtige Förderungen deutlich reduziert werden. Im Zusammenspiel mit den gesteigerten Erwartungen gegenüber der Arbeitsverwaltung, in höherem Umfang als bisher Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erreichen, besteht die Gefahr, dass zunehmend besonders förderungsbedürftige Personen von Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausgeschlossen werden. (…)“

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung

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