Hartz-IV-System löst ganzheitlichen Unterstützungsansatz nicht ein

Auszüge aus der DGB-Publikation „Sozialintegrative Leistungen der Kommunen im Hartz-IV-System“ in arbeitsmarkt aktuell 01/Januar 2014:
“ … Zwei neue Berichte werfen ein Schlaglicht auf die Umsetzung der sozialintegrativen Leistungen im Hartz IV-System – der Forschungsbericht im Auftrag des BMAS „Einbeziehung der kommunalen Leistungen in die Zielsteuerung des SGB II“ sowie der KGSt-Ergebnisbericht im Auftrag des Senats von Berlin „Evaluation der Organisation und Steuerung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende“. Aktuell vorliegende statistische Auswertungen der Bundesagentur für Arbeit (BA), die der DGB erstmals aufbereitet hat, geben einen vertiefenden Einblick in die Umsetzung der kommunalen Eingliederungsleistungen. …

Umfang der kommunalen Eingliederungsleistungen
In Deutschland gab es im Jahr 2012 fast 4,5 Mio. erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach Hartz IV. … Der Forschungsbericht im Auftrag des BMAS geht von 25 Prozent erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Schuldenproblemen, 10 Prozent mit Suchtproblemen und 20 Prozent mit Bedarf an psychosozialer Betreuung aus. Selbst wenn man annimmt, dass einzelne Personen mehrfach betroffen sind, bedeutet dies, dass bei dieser vorsichtigen Schätzung etwa die Hälfte der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entsprechenden Betreuungsbedarf hat. Schaut man sich an, in welchem Umfang die Bedarfe gedeckt wurden, so ergibt sich ein ernüchterndes Bild: Für das Jahr 2012 kann man von 1,13 Mio. erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Schuldenproblemen ausgehen, davon bekamen nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 32.500 eine Beratung. Von geschätzten 450.000 Hilfebedürftigen mit Suchtproblemen erhielten statistisch erfasst 9.000 eine Beratung und von 900.000 Menschen mit psychosozialen Problemen kamen 20.000 in Betreuung. Bis heute melden allerdings nur zwei Drittel der Grundsicherungsträger Daten an die Bundesagentur für Arbeit. Aber selbst bei einer Hochrechnung der vorhandenen Daten auf alle Grundsicherungsträger bekäme nur etwa ein Viertel der Hilfebedürftigen die erforderliche sozialintegrative Betreuung. Auch bei eingeschränkter Aussagefähigkeit zeigen die vorliegenden Daten, dass die kommunalen Eingliederungsleistungen weit hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück bleiben.

Nach den der Bundesagentur für Arbeit vorliegenden Daten sind etwa 16 Prozent der Menschen, die kommunale Eingliederungsleistungen in Anspruch nehmen, bei Eintritt in die Maßnahme unter 25 Jahre. Etwa ein Drittel war vorher nicht arbeitslos, nahezu die Hälfte war weniger als zwölf Monate arbeitslos. Etwas mehr Frauen als Männer erhalten kommunale Eingliederungsleistungen. Dabei ist sicher zu berücksichtigen, dass die Kinderbetreuung vermutlich häufiger von Frauen als von Männern genutzt wird. …

Fehlende Transparenz verhindert eine bedarfsgerechte Planung
Acht Jahre nach Einführung von Hartz IV kann – auch bedingt durch die Aufsplitterung der Strukturen – bundesweit kein Vergleich gezogen werden, inwieweit der in Hartz IV formulierte Auftrag der kommunalen Eingliederungsleistungen umgesetzt wird. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es im Jahr 2012 insgesamt 72.800 Zugänge in kommunale Eingliederungsleistungen. Von Januar bis März 2013 gab es insgesamt 20.279 Zugänge, davon nahezu die Hälfte in Schuldnerberatung. …

Keine Informationen liegen darüber vor, ob bzw. welche Maßnahmen im Anschluss an die kommunalen Eingliederungsleistungen erbracht wurden, inwieweit also tatsächlich eine Verzahnung der beruflichen und der sozialen Leistungen erfolgt. …

Auch der BMAS-Bericht bestätigt, dass es bislang keine objektiven, validen und reliablen Zahlen gibt. Dazu fehlen zum einen die technischen Möglichkeiten. Zum anderen sind die derzeit manuell in teils aufwändigen Verfahren erhobenen Zahlen manipulationsanfällig. …

Unabhängig davon, dass gut ein Drittel der Träger gar keine Daten an die Bundesagentur für Arbeit meldet und die Auswertungen zum Maßnahmeergebnis nur für die gemeinsamen Einrichtungen vorliegen, fehlen verlässliche Daten zum Bedarf und einheitliche Prozessinformationen gänzlich. … Ohne Datenbasis ist jedoch eine Planung gar nicht möglich. Ebenso ist eine Kontrolle nicht möglich – dies ist aber vielfach auch gar nicht gewünscht.

Sozialintegrative Leistungen dürfen nicht im Ermessen der Kommunen stehen
Durch die Formulierung der kommunalen Eingliederungsleistungen als Ermessensleistungen hat der Gesetzgeber zudem die Erbringung von den zur Verfügung gestellten Ressourcen der jeweiligen Kommune abhängig gemacht. Gerade in finanzschwachen Kommunen, in denen sich soziale Problemlagen häufen, stehen oft nicht ausreichend finanzielle Mittel bereit, um ein in Quantität und Qualität ausreichendes Angebot an kommunalen Leistungen vorzuhalten.

Hinderlich für den Einsatz der kommunalen Eingliederungsleistungen ist auch die Ausgestaltung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Diese werden vorrangig auf die ausschließlich bundesfinanzierten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angerechnet. Sie führen so zunächst zu Einsparungen bei dem Bund und erst nachrangig bei den Kommunen. … Der Anreiz der Kommunen insbesondere für den Einsatz der drei sozialintegrativen Leistungen Schuldnerberatung, Suchtberatung und psychosoziale Betreuung ist daher nur gering. Denn bei den betroffenen Hilfebedürftigen dürfte der Verdienst jedenfalls anfangs häufig nicht für die vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit ausreichen. Ein Ausgleich könnte erreicht werden, wenn der Bund sich insbesondere bei Kommunen, die unter kommunaler Finanzhoheit stehen, an den Kosten beteiligt.

Zudem sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern oft damit überfordert, diese Ermessensentscheidung zu treffen. Das SGB II sieht die Erbringung von kommunalen Eingliederungsleistungen nur dann vor, wenn sie für die Eingliederung in Arbeit erforderlich sind. … Die Integrationsfachkräfte in den Hartz-IV-Stellen müssen daher zunächst erkennen, dass der/die Hilfebedürftige sich in einer besonderen sozialen Problemlage befindet. Weiterhin müssen sie entscheiden, ob und welche Art der kommunalen Leistung für die Eingliederung erforderlich ist. …

Forderungen aus gewerkschaftlicher Sicht
Mit Hartz-IV sollten soziale und arbeitsmarktliche Integrationshilfen zusammengefasst und aus einer Hand erbracht werden. Das System schafft aber weder in rechtlicher noch in finanzieller Sicht die Voraussetzungen dafür, dass dies verbindlich flächendeckend umgesetzt wird. Es sind daher Nachbesserungen in rechtlicher Hinsicht sowie finanzielle Korrekturen erforderlich. ## Rechtsanspruch auf sozialintegrative Leistungen regeln ##Bundesweit Transparenz schaffen und verbindliche Standards einführen
##Sozialintegrative Leistungen präventiv und nachsorgend anbieten
## Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifzieren
## „Leistungen aus einer Hand“ umsetzen

Die Publikation in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: DGB Abteilung Arbeitsmarktpolitik

Dokumente: Sozialintegrative_Leistungen_der_Kommunen_im_HartzIVSystem.pdf

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