Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in der Schule

Auszüge aus der AWO-ISS-Studie „Inklusive Gesellschaft – Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in der Schule“:
Mit der Ratifizierung der UN-BRK durch die Bundesrepublik Deutschland hat der Abbau von sozialer Ausgrenzung und die Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe unter dem Konzept der Inklusion eine deutliche normative Unterstützung erfahren. Inklusion kann als der Prozess verstanden werden, der die soziale Teilhabe aller an der Gesellschaft ermöglicht. Allerdings stellt sich die Frage, wie Inklusion begrifflich gefasst sowie strukturell und in der Praxis umgesetzt werden kann.

Die Trias Bildung, Erziehung und Betreuung kann dabei als ein zentrales Element angesehen werden, um Ausschluss zu verhindern und Teilhabe zu ermöglichen. Im Bildungsbereich ist der Stand der Diskussion um Inklusion bereits weiter fortgeschritten als in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen. …

Inklusion bedeutet, Kinder und Jugendliche in ihren unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und in ihrem sozialen Umfeld wahrzunehmen und auf sie einzugehen. Schule ist jedoch nach wie vor stark auf den Bildungsauftrag konzentriert. Die Schnittstelle zur Lebenswelt und die Vernetzung zum Sozialraum liegt daher nach wie vor in erster Linie in Händen der Jugendhilfe. Inklusive Schule bedeutet daher, dass beide Systeme eng zusammenarbeiten müssen, um die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen am Bildungsbereich zu ermöglichen. Erforderlich ist dahingehend ein Verständnis von Schule, die das Kind in den Mittelpunkt stellt. Dafür bedarf es jedoch der Entwicklung einer gesellschaftlichen Vision, die Vielfalt als positiven Wert beinhaltet. Außerdem ist eine Veränderung der Rahmenbedingungen notwendig, so dass nicht Schüler/innen in bestehende Strukturen integriert, sondern die Strukturen so gestaltet werden, dass jedes Kind und jeder Jugendliche seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend an einer gemeinsamen Schule für alle teilhaben kann. Ebenso zentral ist der Abbau sozialer Barrieren, die Teilhabe behindern. …

Ganzheitliche Konzepte
Zusammenfassend basieren ganzheitliche Konzepte inklusiver Schule auf folgenden Grundlagen:
eine Kultur und Wertschätzung der Vielfalt als Leitorientierung, ##ein umfassendes, gemeinschaftlich erstelltes Inklusionskonzept,
##eine Orientierung an der bedarfsgerechten Förderung aller Schüler/innen,
##eine Anpassung der Strukturen an die Bedürfnisse aller Schüler/innen,
##eine strukturelle Veränderung des Lehrsystems,
##eine Individualisierung von schulischen Zielen und die Abkehr von einer normierten Leistungsvorstellung,
##eine Auflösung fester Gruppen, denen Schüler/innen zugeordnet werden, zugunsten von flexiblen funktions- oder zielorientierten Gruppen,
##die Möglichkeit für Schüler/innen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und sich selbst bestimmten Maßnahmen der Förderung zuzuweisen,
##eine Veränderungen des schulischen Miteinanders und der Kooperationsformen zwischen den Professionen,
##Möglichkeiten von Partizipation von Schüler/innen und Eltern, den Aufbau einer „kindzentrierten Schule“.
Die Umsetzung inklusiver Modelle findet derzeit allerdings nur an wenigen Standorten statt. Eine flächendeckende Umsetzung von Inklusion wird derzeit noch durch verschiedene Barriere auf Ebene der Kulturen, Strukturen und Praktiken erschwert. …

Gelingensbedingungen
Gelingensbedingungen für den Abbau von Barrieren und die Ermöglichung von Teilhabe sind eine grundsätzliche Überprüfung der Systemlogiken von Schule und Jugendhilfe, aber auch der Denkweisen und Orientierungen von Seiten der beteiligten Personen. Dies beinhaltet: ##eine systemübergreifende Kommunikation,
##die Anerkennung von Vielfalt als gesellschaftlichen Wert an Stelle einer normierten Leistungsorientierung,
##den Wandel von einer system- zu einer kindzentrierten Schule.
Damit dieser Wandel im Denken herbeigeführt werden kann, sind die Leitungs- und Führungsebenen dazu aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen und das Engagement der Mitarbeiter/innen durch Sensibilisierung, Information, Transparenz und Partizipation zu fördern. Ein Wandel im Denken ist zugleich die Voraussetzung, um die strukturellen Rahmenbedingungen für Inklusion in der Schule zu schaffen. …

„Inklusion klappt dann, wenn alle etwas davon haben“
Die Implementierung von Inklusion in der Schule stellt alle Beteiligten vor erhebliche Voraussetzungen. So ist nicht nur ein grundsätzliches Umdenken von einer Systemorientierung zur Kindorientierung und von Zielgruppen zu einer Wertschätzung individueller Vielfalt erforderlich, sondern es ist auch notwendig, die strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen, z.B. im Bereich der Gesetzgebung und der Finanzierung.

Diese Veränderungen sind immer auch mit einer Neuverteilung von Ressourcen verbunden und wecken viele Befürchtungen und Ängste. Es ist daher notwendig, dafür zu sensibilisieren, dass Inklusion die Förderung aller Schüler/innen gemäß ihren Voraussetzungen und den Abbau aller Barrieren für eine gleichberechtigte Teilhabe am Bildungssystem beinhaltet. Einer der wichtigsten Aspekte für den Erfolg von inklusiven Modellen ist es, dass sie zum Wohl aller Beteiligten ausgerichtet sein müssen.

Die Vorteile für die Beteiligten benennen zu können, ist daher ein wichtiger Ansatzpunkt für die Sensibilisierung für die Bedeutung des Themas Inklusion.

Vorteile für die Systeme Jugendhilfe und Schule
So ist z.B. bei einer engeren Kooperation der Systeme Jugendhilfe und Schule von Synergieeffekten auszugehen, die eine Umsetzung von inklusiver Praxis fördern. Dadurch kann das Ziel erreicht werden, die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen zu erhöhen.

Vorteile für die Kinder und Jugendlichen
Eine gelingende Inklusion beinhaltet eine bessere Förderung für alle Kinder und Jugendlichen. … Das bedeutet auch, dass alle Kinder und Jugendlichen gemäß ihren Ausgangsvoraussetzungen akzeptiert und nicht vorrangig an einer Leistungsmesslatte gemessen werden. Den Kindern steht zudem nicht nur ein größeres Spektrum an Aktivitäten zur Verfügung, sondern auch an Wahlmöglichkeiten und Unterstützung. Von erfolgreichen Standorten wird berichtet, dass die Schüler/innen in Bezug auf verschiedene Kompetenzen, z.B. in Gruppenarbeit, Selbstständigkeit und sozialer Entwicklung, einen Vorsprung gegenüber anderen Schulen haben.

Vorteile für die Eltern
Viele Eltern stehen einer inklusiven Schule zunächst kritisch gegenüber. Vor allem das traditionelle Leistungsdenken, die Sorge um die Bedürfnisse des eigenen Kindes und Befürchtungen, ob das Kind auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bestehen kann, stehen dabei im Vordergrund. Die Erfolge überzeugen jedoch immer mehr Eltern von inklusiven Modellen. … Wichtig ist daher, den Eltern zu vermitteln, dass Inklusion nicht nur auf einige Gruppen abzielt, sondern dass auch die Bedürfnisse ihres Kindes wahrgenommen werden.

Vorteile für Lehr- und Fachkräfte
Nicht nur die Erfolge in der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Team stellen Vorteile von inklusiver Schule für die Lehr- und Fachkräfte dar. … Allerdings ist es dafür erforderlich, die notwendigen personellen Ressourcen einzusetzen.

Vorteile für die Schule
Die Erfolge inklusiver Schule lassen sich nicht nur an weichen Faktoren wie einer guten Atmosphäre und einem besseren Ruf der Schule messen, sondern mehrere Interviewpartner/innen berichten auch von einer erhöhten Zahl von Anmeldungen. … Inklusion so zu gestalten, dass alle Beteiligten – Schüler/innen, Lehrkräfte, Fachkräfte der Sozialen Arbeit, Eltern – „etwas davon haben“, ist daher nicht nur ein Ansatzpunkt, an dem die Sensibilisierung für den „Sinn und Zweck“ von Inklusion ansetzen kann, sondern auch eine entscheidende Gelingensbedingung der Umsetzung. Damit die Erfolge erster inklusiver Konzepte als Motivation für andere wirken können, sind jedoch eine weitere umfassende Evaluation und vor allem ein Ausbau des Transfers notwendig. …“

Die Studie in vollem Textumfang steht Ihnen im Anhang zum Download zur Verfügung.

Quelle: AWO Bundesverband

Dokumente: Abschlussbericht_Teilhabe_in_der_Schule.pdf

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