Gemeinsam Lernen – Inklusion leben

Auszüge aus der Untersuchung von Prof.em. Dr. Klaus Klemm zum Status Quo und Herausforderungen inklusiver Bildung in Deutschland:
“ … Mit der am 26.3.2009 in Deutschland in Kraft getretenen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (insbesondere Artikel 24) haben Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland einen Rechtsanspruch darauf, gemeinsam mit Kindern ohne einen sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet zu werden. Den Auftrag dieser UN-Konvention
aufgreifend hat die Kultusministerkonferenz im Juni 2010 einen Text zur Diskussion gestellt, der „Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenkonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung“ (KMK 2010a) thematisiert. Darin heißt es:

„Zentrales Anliegen der Behindertenrechtskonvention ist […] das gemeinsame zielgleiche und zieldifferente Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen“. „Die Weiterentwicklung
eines Bildungssystems, in dem Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen mit anderen gemeinsam leben und lernen, ist somit ein wichtiges Anliegen der Bildungspolitik […]“. „Das allgemeine Bildungssystem ist aufgefordert, sich auf die Ausweitung seiner Aufgabenstellung im Sinne einer inklusiven Bildung vorzubereiten.“

Mit dieser Wegweisung folgt die Kultusministerkonferenz dem in der UN-Konvention vorgegebenem Inklusionsverständnis in doppelter Weise nur eher zurückhaltend: Zum einen sieht sie in der inklusiven Schule, so wie sie diese versteht, eher zurückhaltend ein „Anliegen“, auf das sich das Bildungssystem „vorbereiten“ solle. Zum anderen verkennt die Kultusministerkonferenz die Tatsache, dass der UN-Konvention ein sehr umfassendes Verständnis von Inklusion zu Grunde liegt: Diese
Konvention denkt bei Inklusion an ein Bildungssystem, in dem alle Heranwachsenden gemeinsam lernen. Ein solches System unterteilt Kinder und Jugendliche nicht in Gruppen, die sich nach Leistungsfähigkeit,
Geschlecht, ethnischem oder sozialem Hintergrund oder nach sonst einem Kriterium unterscheiden. Ein solches Verständnis schließt die in Deutschlands gegliederten Sekundarschulen gängige Aufteilung von Schülerinnen und Schülern auf unterschiedlich anspruchsvolle Bildungswege aus. …

Zentrale Befunde ##In den Schulen findet sich bei einer bundesdurchschnittlichen Förderquote von 6 Prozent (in Förderschulen und im inklusiven Unterricht) zwischen den Bundesländern eine Spannweite, die von 4,5 Prozent in Rheinland-Pfalz bis hin zu 11,7 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern reicht. Dabei beläuft sich der Anteil der inklusiv unterrichteten Kinder im Bundesdurchschnitt auf 18,4 Prozent. Auch hier gibt es in den Bundesländern deutliche Unterschiede: Während
der Inklusionsanteil in Schleswig-Holstein bei 41,9 Prozent liegt, erreicht Niedersachsen einen Anteil von 6,6 Prozent. In Folge des inklusiv erteilten Unterrichts wird nur ein Teil der Schülerinnen
und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf separiert in Förderschulen unterrichtet. Die Exklusionsquote gibt an, wie groß diese Gruppe ist: Diese Quote reicht von 3,1 Prozent in Schleswig-Holstein bis hin zu 9,2 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern.
## Im Bereich inklusiver sonderpädagogischer Förderung haben die weiterführenden Schulen einen erheblichen Nachholbedarf: In den Grundschulen werden 33,6 Prozent der Kinder mit besonderem Förderbedarf inklusiv betreut, in den weiterführenden Schulen dagegen nur 14,9 Prozent. Abbildung 1 zeigt das Angebot an inklusiver Bildung und Betreuung von der Kindertageseinrichtung über die Grundschule bis hin zur weiterführenden Schule in den Bundesländern. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass der Anteil inklusiv unterrichteter bzw. betreuter Kinder von der Kindertageseinrichtung über die Grundschule bis zur weiterführenden Schule in nahezu allen Bundesländern abnimmt. Zudem veranschaulicht die Abbildung, dass die Bundesländer
auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem unterschiedlich weit vorangeschritten sind.
## Zwischen den Ländern gibt es jedoch nicht nur große Unterschiede hinsichtlich des Angebots an inklusiver Bildung und Betreuung insgesamt. Sie scheinen auch sehr unterschiedliche Wege bei der Einführung und Ausweitung der Inklusion in einzelnen Förderschwerpunkten zu beschreiten. Im Förderschwerpunkt Lernen, dem knapp die Hälfte (43,7 Prozent) der Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf zugeordnet sind, werden im Bundesdurchschnitt 18,9 Prozent inklusiv unterrichtet. Die Spannweite zwischen den Bundesländern reicht dabei von 1,7 Prozent in Sachsen und Hamburg bis zu 61,5 Prozent in Bremen.
## Im Durchschnitt aller Bundesländer finden sich zwischen deutschen und ausländischen Schülern und Schülerinnen keine größeren Unterschiede hinsichtlich der Teilhabe am inklusiven Unterricht. Für eine Analyse migrationsspezifischer Daten – an Stelle der Analyse nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip – fehlt die Datengrundlage.
## Mit 76,3 Prozent erreicht die überragende Mehrheit aller Förderschulabgänger keinen Hauptschulabschluss. Innerhalb des Förderschulsystems gelingt es damit nur sehr unzureichend, den Jugendlichen die Kompetenzen mitzugeben, die sie für eine Teilhabe an der Gesellschaft und im Berufsleben benötigen. In den meisten Bundesländern werden zwar je nach Förderschwerpunkt Abgangszeugnisse ausgestellt oder es können spezifische Abschlüsse (z.B. ein Berufsbezogener Abschluss) erworben werden, inwieweit diese Abschlüsse eine Perspektive für eine Ausbildung oder eine Erwerbstätigkeit eröffnen, ist allerdings in Frage zu stellen, da sie unter dem Hauptschulabschluss einzuordnen sind. Wenn aktuell schon Jugendliche mit einem Hauptschulabschluss Probleme bei der Integration in den Arbeitsmarkt haben, so ist dies für Abgänger mit Förderschulabschlüssen erst Recht zu erwarten. …
Einerseits werden mehr als 80 Prozent der Kinder mit Förderbedarf in separierenden Schulen unterrichtet. Bundesweit ist die inklusive Schule immer noch eher die Ausnahme als die Regel. Andererseits zeigt der Blick in die Länder aber auch, dass in allen Förderschwerpunkten
und auf allen Bildungsstufen, insbesondere auch in den Bindertageseinrichtungen, in einem großen Umfang inklusive Förderung erfolgreich gelebt wird.

Dies ermutigt, den Auftrag der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ernsthaft anzunehmen. Geschehen kann dies allerdings nicht durch eine “laissez-faire-Politik“. Eine solche Politik wäre dadurch gekennzeichnet, dass einzelne Länder einer Ausweitung inklusiver Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Settings keine Hindernisse in den Weg legen würden. Wenn Eltern auf ihrem Recht auf inklusive Bildung ihrer Kinder beharren, bekämen sie auch die Möglichkeiten dazu. Eine solche Politik wäre zugleich dadurch gekennzeichnet, dass Länder mit einer „laissez-faire“ Politik keine Anstrengungen unternehmen würden, den Ausbau inklusiver Bildung zu forcieren. Dies würde aller Voraussicht nach zur Verfestigung einer Doppelstruktur führen, bei der Förderschulen sowie inklusive Bildung und Betreuung dauerhaft nebeneinander bestünden.

Wird dieser Weg eingeschlagen, so wird das durch die UN-Konvention vorgegebene Ziel der Inklusion verfehlt. Ein inklusives Schulsystem ist – wie die zahlreichen Beispiele in Deutschland zeigen – erreichbar. Der Weg dorthin führt über einen zügigen Ausbau inklusiver Angebote in den Kindertageseinrichtungen, den Grundschulen und den weiterführenden Schulen. Doppelstrukturen mit einem Nebeneinander von Inklusion und separierender Förderschule sollte es nur für eine erkennbar begrenzte Übergangsphase geben. … „

Die Studie in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.

http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-290D7C19-47037E5D/bst/hs.xsl/nachrichten_109461.htm?drucken=true&
http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_32811_32812_2.pdf
http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_34591_34592_2.pdf
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Quelle: Bertelsmann Stiftung

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