Bildung in Deutschland 2012

Mit dem Bildungsbericht 2012 legt eine unabhängige Gruppe von Wissenschaftler/-innen zum vierten Mal eine umfassende und empirisch fundierte Bestandsaufnahme des deutschen Bildungswessens vor: Es ist ein Wandel in der Bildungslandschaft zu verzeichnen. Die Zahl der freien Bildungsträger ist in den letzten zwölf Jahren um ein Viertel gestiegen, die Zahl der öffentlichen Einrichtungen um ein Zehntel zurückgegangen. Im Bereich der allgemeinbildenden Schulen stellt der Bericht fest, dass ein weiter steigendes Niveau der Schulabschlüsse zu verzeichnen ist. Die Zahl der Absolventen ohne Hauptschulabschluss geht zurück. Aber das Potential von Ganztagsschulen wird zu wenig ausgeschöpft. Obwohl sich die Integrationsquote von Schüler/-innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen erhöht hat, bewirkte das meist keinen Rückgang der Schülerzahlen an den Förderschulen.

Die Befunde des Bildungsberichts 2012 greifen folgende Fragestellungen auf:

  • Welche Veränderungen sind in den grundlegenden Rahmenbedingungen für Bildung in Deutschland eingetreten?
  • Welche Entwicklungen sind bei den für Bildung bereitgestellten personellen, sachlichen und finanziellen Ressourcen feststellbar?
  • Welche Trends zeigen sich auf der Ebene der Prozesse von Bildung?
  • Welche Aussagen sind im Hinblick auf Ergebnisse und Erträge von Bildung möglich?

Auszüge aus den wichtigsten Ergebnissen des Berichts „Bildung in Deutschland 2012„:

„Bildungseinrichtungen und Bildungsteilnahme

  • (…) Zahl der Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft erhöht:
    Seit 1998 ist ein Zuwachs von Bildungseinrichtungen freier Träger um ein Viertel festzustellen. Während ein großer Teil der Einrichtungen frühkindlicher Bildung seit jeher in freier (gemeinnütziger oder auch gewerblicher) Trägerschaft betrieben wird, ist die Erhöhung der Zahl allgemeinbildender Schulen in freier Trägerschaft um fast 1.200 (um 53% des Bestands von 1998) im letzten Jahrzehnt beachtlich. Besonders beachtenswert ist die Zunahme von Grundschulen in freier Trägerschaft von 314 auf 791 (um 152% des Bestands von 1998). Auch die Teilnehmerzahlen an diesen Einrichtungen sind stark angestiegen, im Hochschulbereich haben sie sich – auf niedrigem Niveau – mehr als verdreifacht. (…)
  • Anteil der Schulanfängerinnen und Schulanfänger, die direkt in eine Förderschule eingeschult werden, mit großen regionalen Differenzen weiterhin hoch:
    Der Anteil der Schulanfängerinnen und Schulanfänger, die direkt in eine Förderschule eingeschult werden, ist von 3,0% im Jahr 2003 bis 2009 auf 3,7% angestiegen und 2010 mit 3,4% erstmals zurückgegangen. Während in Bremen, Schleswig-Holstein und Thüringen weniger als 2% der Kinder zu Beginn ihrer Schulzeit in Schulen mit sonderpädagogischer Ausrichtung eingeschult werden, sind es in Baden-Württemberg und Bayern deutlich über 4%.
  • Trotz Verdoppelung der Integrationsquote von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den meisten Ländern keine Verringerung des Förderschulbesuchs:
    Zwischen den Jahren 2000 und 2010 hat sich der Schüleranteil mit sonderpädagogischem Förderbedarf, der integrativ in sonstigen allgemeinen Schulen unterrichtet wird, von 14 auf 29% verdoppelt. Eine zeitgleiche Verringerung des Förderschulbesuchs zeichnet sich gegenwärtig aber nur in wenigen Ländern ab.
  • Weiterer Ausbau der Ganztagsschulen führt zu Erweiterungen und Ergänzungen schulischer Angebote:
    Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Schulen Ganztagsschulen, allerdings größtenteils in offener Form. Insbesondere bei der verbindlichen Form der Ganztagsschule kann sie mit ihren ergänzenden Angeboten zum Ausgleich sozialer Unterschiede beitragen. Dies gilt auch durch Angebote im Feld kulturell/musischästhetischer Bildung, für die das Schwerpunktkapitel dieses Berichts Hinweise liefert.
  • Bildungsbeteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiter angestiegen, aber weiterhin große Beteiligungsunterschiede unter den Migranten:
    Die Bildungsbeteiligung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis unter 29 Jahren mit Migrationshintergrund hat sich seit 2005 erhöht und entspricht etwa der Bildungsbeteiligung der Deutschen ohne Migrationshintergrund. Dennoch weisen vor allem Migranten aus der Türkei und den ehemaligen Anwerbestaaten weiterhin deutlich geringere Bildungsbeteiligungsquoten auf als sonstige Migranten.
  • Trotz abnehmender Zahl der Neuzugänge in der beruflichen Bildung noch Engpässe im Ausbildungsangebot:
    Der demografisch bedingte Rückgang der Neuzugangszahlen hat zur Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt geführt. Allerdings bestehen wegen der Altnachfrage bei fast allen größeren Berufsgruppen und in der Mehrzahl der Arbeitsagenturbezirke noch Angebotsengpässe: dies schließt Nachwuchsengpässe in einzelnen Regionen und Berufen (aktuell des Ernährungshandwerks, des Gastgewerbes und des Baus nach Region, vor allem in Ostdeutschland) nicht aus.
  • Situation von Bildungsbenachteiligten in der Berufsbildung weiterhin schwierig:
    Auch 2011 münden noch ca. 300.000 Jugendliche ins Übergangssystem ein. Nach wie vor wechseln vor allem Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss in den westdeutschen Flächenländern sowie ausländische Jugendliche in das Übergangssystem. Die Situation beider Gruppen hat sich kaum verbessert. Ein weiterer Effekt ist, dass auch der Anteil der Neuzugänge im Übergangssystem trotz des absoluten Rückgangs um 76.000 (2011 gegenüber 2008) bei knapp einem Drittel aller Übergänge in das Berufsbildungssystem verharrt. (…)

Bildungsergebnisse

  • (…) Trotz Rückgang der Quote an Abgängern ohne Abschluss hoher Anteil leseschwacher Jugendlicher:
    Die Zahl der Jugendlichen, die die Schule verlassen, ohne mindestens den Hauptschulabschluss erreicht zu haben, konnte – in allen Schularten – weiter gesenkt werden: 2010 waren es 6,5% der gleichalterigen Bevölkerung. In Anbetracht der Tatsache, dass der Anteil leseschwacher 15-Jähriger dreimal höher ausfällt, lässt dies auf einen nicht unbedeutenden Anteil an Jugendlichen schließen, die bei Schulabschluss nur über basale (Lese-)Kompetenzen verfügen.
  • Schulabschlussniveau hat sich weiter erhöht:
    Im Jahr 2010 erreichten 34% der Schulabsolventen eine allgemeine und 15% eine fachgebundene Hochschulreife. Zunehmend tragen zu dem steigenden Schulabschlussniveau zweite Schulabschlüsse bei, über die ein erster Schulabschluss verbessert wird. (…)
  • Anteil von Personen ohne Schul- und ohne Berufsabschluss an der Bevölkerung ist nach wie vor hoch:
    In der Altersgruppe der 30- bis 35-Jährigen beträgt dieser Anteil bei den Männern 2010 17,5%. Der Vergleich dieser Altersgruppe mit den 60- bis unter 65-Jährigen zeigt, dass bei den Männern in der jüngeren Altersgruppe der Anteil ohne Berufsabschluss um 6 Prozentpunkte höher ist als in der älteren, bei den Frauen ist er um 7 Prozentpunkte niedriger. (…)

Zentrale Herausforderungen

  • (…) Institutionelle Öffnungen und Differenzierungen von Bildungsgängen erweitern die Bildungsoptionen der Individuen: erforderlich sind Kompetenzen zu individueller Bildungsplanung
    Wenn das Bildungssystem sich weiter ausdifferenziert und zunehmend unterschiedliche Wege anbietet, individuelle Bildungsziele und -karrieren zu erreichen, so lassen sich die erweiterten Bildungschancen nur realisieren, wenn Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht nur Wissen über die Möglichkeiten, sondern auch die Kompetenzen haben, das Wissen in sinnvolle Bildungswege umzusetzen. Die erhöhten Wahlmöglichkeiten von Bildungsverläufen, die Ermöglichung kurzer Bildungszeiten wie auch „zweiter Chancen“ und verzögerter Bildungswege erfordern den Aufbau von Kompetenzen für individuelle Bildungsplanung durch Förderung, Beratung und Unterstützung, damit aus Unterschieden in der Bildungsplanungskompetenz nicht neue Bildungsungleichheiten entstehen. Insbesondere die Gruppen unter den Bildungsteilnehmern, die bisher in ihren Bildungschancen benachteiligt sind, müssen bevorzugte Adressaten eines individuellen Bildungsplanungsmanagements sein, um ihre Bildungschancen zu verbessern. (…)
  • Zentrale inhaltliche Herausforderungen: frühkindliche Bildung, Ausbau von Ganztagsschulen, Neukonzipierung des Übergangssystems, Gestaltung der Brücken zwischen Berufsbildungs‑ und Hochschulsystem
    Neben den auf die strukturellen Veränderungen im Bildungssystem zielenden Herausforderungen stehen vier inhaltliche Fragen mit erhöhter Dringlichkeit auf der Agenda:
    – In der frühkindlichen Bildung stellt der bedarfsgerechte Ausbau von Plätzen für unter 3-Jährige entsprechend dem Rechtsanspruch ab August 2013, der in den Folgejahren noch eine steigende Nachfrage hervorrufen dürfte, ebenso eine große Herausforderung dar wie die weitere Professionalisierung des Personals und der Bildungsangebote.
    – Die Nachfrage nach Ganztagsschulangeboten wird weiter steigen. Ihr quantitativer Ausbau und ihre qualitative Ausgestaltung erscheinen vordringlich wichtig. Wie im Schwerpunktkapitel sichtbar wird, bieten sich hier besonders attraktive Möglichkeiten zur Einbeziehung nichtschulischer Lernumwelten, die nicht zuletzt den bisher bildungsbenachteiligten Jugendlichen zu Gute kommen dürfte.
    – Die deutliche Reduzierung der Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem ist im Wesentlichen auf demografische Effekte zurückzuführen. Bezogen auf die verbleibenden aktuell ca. 300.000 Jugendlichen ist davon auszugehen, dass der Anteil von Jugendlichen mit Förderbedarf relativ zunimmt. Ihnen eine angemessene Berufsvorbereitung und Ausbildungschancen zu verschaffen, wird schwieriger, zugleich aber aus sozialen und ökonomischen Gründen auch wichtiger.
    – Angesichts von demografischer Entwicklung, Anstieg der Wissensanforderungen in der Arbeit und ungebrochenem Trend zu höheren Bildungsabschlüssen erscheint die Neugestaltung der Schnittstelle Berufsausbildungs-/Hochschulsystem dringend geboten. Sie wird sowohl von der Debatte über die Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens als auch von der Entwicklung zu dualen Studiengängen und (leicht) verstärktem Hochschulzugang von Berufstätigen herausgefordert, bei fortbestehender hoher Auslastung an den Hochschulen aber gegenwärtig schwer realisierbar.“

Zu der Autorengruppe des Bildungsberichts gehören neben dem federführenden Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) das Deutsche Jugendinstitut (DJI), die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Destatis und StLÄ). Die Erarbeitung des Berichts „Bildung in Deutschland 2012“ wurde von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Quelle: BMBF; bildungsbericht.de

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