Leiharbeiterverdienste: Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit

Auszüge aus der IAQ-Analyse Leiharbeitsverdienste liegen mehrfach unter dem Beschäftigtendurchschnitt:
“ (…) Hintergrund
(…)In der Regel wird pro geleistete Arbeitsstunde abgerechnet. Anschließend ist die Verleihfirma für die Entlohnung ihrer Mitarbeiter zuständig und überweist den LeiharbeitnehmerInnen ein vertraglich vereinbartes Entgelt. Im Vergleich zur Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor schneiden Leiharbeitskräfte dabei jedoch deutlich schlechter ab.

Das Lohndifferenzial zwischen Leiharbeitskräften und sonstigen Beschäftigten kann durch die Vierteljährliche Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes sichtbar gemacht werden: Im 3. Quartal 2015 lagen die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne der LeiharbeitnehmerInnen bei 13,00€, während die übrigen Beschäftigten Bruttostundenlöhne von 20,75€ (öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung) bzw. 22,34€ (Privatwirtschaft) bezogen. (…)

Durch die in der Verdienststatistik ausgewiesenen Leistungsgruppen lassen sich die Tätigkeiten nach den qualifikatorischen Anforderungen aufteilen. Dabei wird deutlich, dass Leiharbeitskräfte im Vergleich zu Privatwirtschaft und dem öffentlichem Sektor, in allen Leistungsgruppen schlechter entlohnt werden. Das gilt für die westdeutschen Leiharbeitskräfte ebenso wie für Leiharbeitsbeschäftigte im Osten, auch wenn das Bruttostundenverdienstniveau hier insgesamt geringer ausfällt.

(…) Die Bruttostundenlöhne von Leiharbeitskräften reichen in Westdeutschland von 10,53€ in der Leistungsgruppe der „Ungelernten Arbeitnehmer“ bis hin zu 33,22€ in der Gruppe der „Arbeitnehmer in leitender Stellung“. In Ostdeutschland ist diese Spanne zwar etwas geringer, aber auch das Niveau der Bruttostundenlöhne ist niedriger. Hier verdienen Leiharbeitskräfte in der Leistungsgruppe der „Ungelernten Arbeitnehmer“ im Schnitt 9,66€, während der Bruttostundenverdienst in der Gruppe der „Arbeitnehmer in leitender Stellung“ bei 28,28€ liegt. (…)

Die Betrachtung der Leistungsgruppen zeigt insgesamt, dass es sich bei der Lohnungleichheit zwischen LeiharbeitnehmerInnen und übrigen Beschäftigten um ein strukturelles Problem handelt, dass insbesondere durch die gesetzlich zulässigen Ausnahmen vom Equal-Pay-Grundsatz möglich wird. Hinzu kommt, dass die Leiharbeitskräfte sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands wesentlich seltener in den höheren Leistungsgruppen vertreten sind. (…) Die unteren Leistungsgruppen hingegen sind deutschlandweit besonders stark besetzt, mehr als zwei Drittel aller Leiharbeitskräfte sind den unteren Leistungsgruppen (…) zu finden. Im Gegensatz dazu ist die Gruppe der übrigen Beschäftigten nahezu normalverteilt. (…)

Die Gründe für die starke Bedeutung der unteren Leistungsgruppen bei Leiharbeitskräften sind vielfältig. Einerseits üben Leiharbeitskräfte überaus häufig Anlern- und Hilfstätigkeiten aus. Zudem sind die Leiharbeitseinsätze oft von kurzer Dauer, etwa die Hälfte aller Leiharbeitsverhältnisse hat weniger als drei Monate bestand. Hinzu kommt, dass unter den Leiharbeitskräften junge, berufsunerfahrene Männer mit niedrigen oder keinen Qualifikationen überproportional stark vertreten sind. Außerdem rekrutieren die Leiharbeitsbetriebe den größten Teil ihrer Neuzugänge aus Arbeitslosigkeit bzw. Nicht-Erwerbstätigkeit. In den vergangenen Jahren war stets etwa die Hälfte aller Neuzugänge in Leiharbeit nicht unmittelbar vorher, aber früher einmal beschäftigt und zwischen 1 und 12 Monaten arbeitslos (…). Andererseits ist davon auszugehen, dass die Leistungs- und Lohnzuordnung auch bei besser qualifizierten LeiharbeitnehmerInnen (mit Berufserfahrung) deutlich schlechter ausfällt, als in der Privatwirtschaft oder dem öffentlichen Sektor, und es sich somit um eine bewusste Lohndiskriminierung handelt.

Insgesamt hat das Bruttostundenlohn- und Leistungsgruppengefälle zur Folge, dass das Verarmungsrisiko der Leiharbeitsnehmenden ausgesprochen hoch. Es lässt sich auch daran ablesen, dass der Anteil an Leiharbeitskräften, die ihr Erwerbseinkommen durch Grundsicherungsleistungen aufstocken muss, überdurchschnittlich hoch ist. Während in Gesamtdeutschland etwa 2% der Erwerbstätigen zu den so genannten Aufstockern zählen, beziehen knapp 6% aller Leiharbeitskräfte ergänzende Grundsicherungsleistungen. Nur im Gastgewerbe und den Reinigungsdiensten fällt die Aufstockerquote noch höher aus (…).

Aus Perspektive der entleihenden Firmen ist die unterdurchschnittliche Lohnstruktur der Leiharbeitskräfte hingegen als mitunter erhebliche finanzielle Entlastung zu werten. Zwar liegen die tatsächlichen Arbeitskosten für die Entleihbetriebe durch die Lohnnebenkosten und die Entleihgebühr deutlich über den hier ausgewiesenen Bruttostundenlöhnen. In den an die Verleihfirmen zu entrichtenden „Leihgebühren“ ist auch immer eine Provision enthalten. Aber selbst wenn die Arbeitskosten der Leiharbeitnehmer höher ausfallen sollten, als bei einer Direkteinstellung, entfällt eine Reihe indirekter Kosten (wie Einstellungs-, Lohnfortzahlungs-, Kündigungs- oder Verwaltungskosten). (…)

Gesetzliche Regelungen
(…)
Von dem Grundsatz der Gleichbehandlung können Leiharbeitsfirmen allerdings relativ einfach in zwei Fällen abweichen. Erstens richten sich die Arbeitsbedingungen in einsatzfreien Zeiten ausschließlich nach den Vereinbarungen zwischen Verleiher und Arbeitnehmer. Ein abgeschlossener Arbeitsvertrag kann demnach von vornherein zwischen Einsatzzeiten und Nichteinsatzzeiten unterscheiden, da sich das AÜG nur auf die Zeit der Überlassung bezieht (siehe AÜG § 3 Abs.1 Nr. 3). Zweitens greift der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht, wenn in einem Tarifvertrag ein niedrigeres Entgelt oder schlechtere Arbeitsbedingungen festgelegt sind (so genannte �Tarifpositivität‘, siehe AÜG § 9 Nr. 2). Nachdem Tarifverträge in der Leiharbeitsbranche bis 2003 unüblich und kaum existent waren, kam es in der Folge dieser Regelung bis Ende 2003 neben verschiedenen Haus- und Firmentarifverträgen auch zum Abschluss von zwei noch heute gültigen Flächentarifverträgen für die Leiharbeitsbranche. Die Mehrheit der Leiharbeitnehmer wurde und wird in der Praxis somit nicht nach dem Prinzip des �Equal Pay’, sondern nach Tarif entlohnt. Damit hat der Gleichbehandlungsgrundsatz trotz seiner gesetzlichen Verankerung für den größten Teil der Leiharbeitnehmer keine Bedeutung.

Seit dem Jahr 2011 sollen die Equal-Pay-Ausnahmen durch die Regelungen des Gesetzes zur Verhinderung des Missbrauchs von Leiharbeit und durch das Arbeitnehmerüberlassungskontrollgesetz eingeschränkt werden. Die Möglichkeiten, den Gleichbehandlungsgrundsatz zu umgehen bestehen zwar fort, werden aber durch Regelungen zur Festsetzung einer verbindlichen Lohnuntergrenze ergänzt. Demnach kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine von den Tarifvertragsparteien vorgeschlagene Lohnuntergrenze per Rechtsverordnung festsetzen. Diese Lohnuntergrenze liegt derzeit bei 8,80 € (West) und 8,20 € (Ost), und soll im Juni 2016 auf 9 € (West) und 8,50 (Ost) angehoben werden. Darüber hinaus wurden im Rahmen von Tarifabschlüssen in einigen Branchen im Jahr 2012 Branchenzuschläge für Leiharbeitsbeschäftigte vereinbart, mit denen die Lücke zwischen Tarifentgelten der Leiharbeit und den Einsatzbranchen verringert werden sollen. (…)“

Link: www.sozialpolitik-aktuell.de

Quelle: Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen

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