Die Europäische Kommission verändert seit der Europawahl im Jahr 2024 ihre politischen Schwerpunkte. In den laufenden Verhandlungen um den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) ab 2028 sind Veränderungen erkennbar, die Einfluss auf die kinder- und jugendpolitisch relevanten EU-Programme haben. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ reagiert mit einem Zwischenruf (PDF) und wirbt für eine Politikfelder übergreifende und multidimensionale EU-Kinder- und Jugendpolitik. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) unterstützt die Vorschläge.
„Die Europäische Union hat aus Sicht der AGJ eine besondere Verantwortung, die aktuellen Transformationsprozesse in Europa und weltweit unter Berücksichtigung der vielfältigen Lebenssituationen und Belange der jüngeren Generationen mitzugestalten. Sie sollte durch ihre Politik Perspektiven für junge Menschen schaffen und ihre soziale und politische Teilhabe für ein weltoffenes, solidarisches und gerechtes Europa der Zukunft stärken”, heißt es in dem Dokument.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen strebt eine konzeptionelle Stärkung und Neuformierung der EU-Politik an, die sich an Leitlinien ausrichtet. Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Resilienz gegenüber Krisen sowie geopolitischer Instabilität sind die zentralen Säulen. Zusätzlich geht es um die Förderung sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die AGJ sieht in dieser veränderten EU-Politik grundsätzlich eine Chance, fürchtet aber zugleich, dass die Eigenständigkeit der Kinder- und Jugendpolitik vernachlässigt wird.
Keine Trennung von formaler und non-formaler Bildung
Unterschiedliche Ressorts werden für Belange von jungen Menschen zuständig sein – vor allem die Kommissarin für Soziale Rechte und Kompetenzen, hochwertige Arbeitsplätze und Vorsorge (Bildung) sowie der Kommissar für Generationengerechtigkeit, Jugend, Kultur und Sport. Sie sollen zwar eng miteinander kooperieren, im Bildungsbereich geht es jedoch vor allem um Humankapital und Sicherung der Wirtschaftsleistung in der EU. Der Generationenbereich hingegen soll sich vor allem um die Umsetzung der Instrumente der EU zur Beteiligung und Berücksichtigung von jungen Menschen und ihren Belangen (Jugenddialog, Jugendcheck, Youth Advisory, Board der Kommission) kümmern.
Die AGJ sieht durch das Auslagern der non-formalen Bildung aus der Bildungspolitik eine problematische Verengung des Bildungsbegriffs auf formale Bildung. In ihrem Zwischenruf vertritt sie die Ansicht, dass Kinder und Jugendliche nicht allein der Förderung im Hinblick auf Kompetenzen und Arbeitsmarktpassfähigkeit bedürfen. Sie bräuchten zugleich Strukturen und Räume, in denen sie gleichberechtigte und wirkungsvolle Beteiligung erleben und sich selbstbestimmt entwickeln können, um sich die Welt zu eigen zu machen sowie ihre eigene Zukunft gestalten zu können. Laut AGJ bestehe die Gefahr, dass entscheidende Dimensionen der Kinder- und Jugendpolitik aus dem Blick gerieten.
Europa jugendgerecht gestalten
Die kursierenden Vorschläge der Kommission, unter anderem für Programme wie ESF+ oder Erasmus+, deuten an, dass alles der Wettbewerbsfähigkeit der EU untergeordnet wird. Aus Sicht der AGJ müssten die Förderung von Demokratie, Grundrechten, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit mindestens gleichwertig in den Mittelpunkt des gemeinsamen jugendpolitischen Fokus der EU-Kommissar*innen gestellt werden. Eine ganzheitliche Sichtweise auf die Bedürfnisse junger Menschen sei notwendig.
Wie die AGJ sieht auch die BAG KJS die Notwendigkeit, dass Programmprioritäten wie Inklusion und Vielfalt, Partizipation, Digitalisierung sowie Umwelt- und Klimaschutz beibehalten werden müssen. Dies wurde nach der Zwischenevaluation der Programme im Jahr 2024 als sinnvoll bestätigt. Das Fazit des AGJ-Papiers ist richtungsweisend: Die Belange von jungen Menschen in Europa in all ihren Dimensionen und Politikbereichen müssen mitgedacht, Europa kinder- und jugendgerecht gestaltet werden.
Autoren: Alexander Hauser und Michael Scholl