Bundesjugendkuratorium blickt auf das Übergangssystem

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) reflektiert in einer Stellungnahme die Soziale Mobilität junger Erwachsener. Das Beratungsgremium der Bundesregierung betrachtet primär die Chancengerechtigkeit in Zeiten des Fachkräftebedarfs. Kurzgutachten ergänzen die Stellungnahme. Für die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) ist der Blick auf den Übergang zwischen Schule und beruflicher Bildung oder Beschäftigung interessant.

Das BJK plädiert dafür, die Selektion nach unterschiedlichen Schulformen im Bildungssystem zu beenden. Es mahnt zudem an, notwendige Reformen im Übergangsbereich zwischen Schule, beruflicher Bildung und Arbeitswelt sowie in der Jugendpolitik vorzunehmen. Das junge Erwachsenenalter – die Altersspanne zwischen 18 bis 25/30 Jahren – müsse als Lebensalter der dritten Bildungschance sozial- und bildungspolitisch gestärkt werden, fordert das Kuratorium. Zur Debatte stehe, das Konzept der Ausbildungsreife zu überwinden, denn es sei ohne Grundlage von Studien und/oder wissenschaftlichen Konzepten.

Integriert und inklusiv

Das bestehende System im Übergang sowie die Art der beruflichen Bildung sind laut BJK in der Zeit des Fachkräfteüberangebotes entstanden. Es ist deswegen unzureichend auf Zeiten des Fachkräftebedarfs ausgerichtet. „Deshalb sind notwendige Reformen zum Beispiel im Übergangsbereich zwischen Schule, beruflicher Bildung und Arbeitswelt sowie in der Jugendpolitik vorzunehmen“, betonen die Autor*innen der Stellungnahme. In dem Bereich also, in dem die Jugendsozialarbeit einen gesetzlichen Auftrag erfüllt. Die Überprüfung sollte aus der Perspektive der Übergangsbiografien der jungen Menschen, der Diversität ihrer Lebenslagen sowie den veränderten beruflichen Ausbildungskonstellationen und Wegen im Übergang in den Arbeitsmarkt vorgenommen werden. Das BJK empfiehlt, das Übergangssystem in die Regelstrukturen von Schule, beruflicher Bildung und Hochschulstudium zu integrieren. Es sollte zudem inklusiv gestaltet werden.

Individuell begleitet

In einem Kurzgutachten beschäftigt sich Dr. Marc Thielen mit „Teilhaberisiken und Benachteiligungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen am Übergang in berufliche Bildung und Beschäftigung“. Als Professor und Abteilungsleiter Pädagogik der Teilhabe an beruflichen Übergängen am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover konstatiert er, dass sehr unterschiedliche Dimensionen von Benachteiligung zusammenwirken und daher trotz gemeinsamer Merkmale bei jungen Menschen sehr unterschiedliche Ressourcen und Risiken zur beruflichen Teilhabe bestehen. Die Formel in der Übersetzung der Jugendsozialarbeit: Junge Menschen – vorwiegend jene mit einem Strauß an Herausforderungen – benötigen eine individuelle Begleitung und keine Pauschalreise auf dem Weg in Ausbildung und Beruf.

Ausbildungsfähig und -willig

Das Kurzgutachten bündelt Fakten zum System des Übergangs, die Erfahrungen der Fachkräfte in der Praxis der Jugendsozialarbeit spiegeln: Junge Menschen mit maximal Hauptschulabschluss sind am Übergang in die berufliche Bildung benachteiligt, insbesondere junge Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status. Die größte Gruppe der Schulabgänger*innen mit Hauptschulabschluss mündet in berufsvorbereitende Bildungsgänge des Übergangssektors, obwohl diese jungen Menschen mehrheitlich als ausbildungsfähig und -willig eingeschätzt werden. Meist sind betriebliche Auswahlverfahren für Zugangsschwierigkeiten verantwortlich, weil ein Hauptschulabschluss per se benachteiligt und Einstellungstests nicht nach Schulabschlüssen differenzieren. Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte sind im Übergangssystem deutlich überrepräsentiert. Für geflüchtete junge Menschen kommen restriktive asyl- und ausländerrechtliche Bestimmungen als Hürde hinzu. Ein Problem laut Gutachten: Die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel führt dazu, dass geflüchtete junge Menschen meist in strukturschwachen Regionen mit ungünstiger Arbeitsmarktsituation leben müssen.

Obwohl für junge Menschen mit einer Behinderung eine reguläre Berufsausbildung per Gesetz grundsätzlich Vorrang haben soll, raten laut Gutachten Berufsberater*innen häufig zu außerbetrieblicher Ausbildung in speziellen Berufen für Menschen mit Behinderung. Zugleich ist ein realistisches Bild für diese Personengruppe schwer zu zeichnen. Es fehlen schlicht Daten, die Kategorie Behinderung wird in der Berufsbildungsstatistik nicht erhoben.

Zuständigkeitswechsel vermeiden

In einem weiteren Kurzgutachten als Teil der BJK-Stellungnahme betrachtet Jutta Henke, Geschäftsführerin der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e. V. (GISS), speziell die Situation wohnungsloser junger Menschen. Sie skizziert die Situation und kommt zur Einschätzung: „Nichts stellt jedoch das ausdifferenzierte, versäulte deutsche Sozialleistungssystem mit seinen fragmentierten Versorgungsstrukturen vor größere Herausforderungen als komplexe individuelle Problemlagen im Einzelfall“. Und sie kommt zum Urteil, dass Jugendberufsagenturen, in denen Berufsberatung, Jobcenter und Jugendhilfe zusammenarbeiten, ein Modell seien, das ausbaufähig wäre. „Der alleinige Bezug auf den Übergang ins Erwerbsleben müsste dafür aufgegeben werden. Schulen, Wohnungsnotfallhilfen, Suchthilfe, Psychiatrie und andere müssten einen Platz erhalten“, fordert Jutta Henke. Wichtig sei, Zuständigkeitswechsel zu vermeiden – idealerweise mit einer Rechtsgrundlage verbunden.

Text: Michael Scholl

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