Die Unruhen in Frankreich und ihre Auswirkungen auf die deutsche Integrationspolitik In der letzten Woche haben sich viele Medien mit diesem Thema auseinander gesetzt. Im folgenden eine Übersicht über die wichtigsten Diskussionskunkte in Zusammenfassung: Im Rahmen einers Festakts in Mainz hat die Deutsche Bischofskonferenz heute gemeinsam mit rund 200 Gästen aus Italien und Deutschland an den 50. Jahrestag des Deutsch-Italienischen Anwerbevertrages erinnert und dabei auch Stellung zu den Unruhen in Frankreich bezogen: “ Kardinal Lehmann: Es ist notwendig, sich der „Realität der dauerhaften Einwanderung‘ zu stellen „Niemand sollte vergessen, wie viel unser Land den Menschen zu verdanken hat, die zu uns gekommen sind“, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann. … Die aktuellen Ereignisse in Frankreich sollten als „Warnzeichen“ verstanden werden, das zeige, „welche Folgen ein kollabierender gesellschaftlicher Zusammenhalt mit sich bringen kann“. Umso wichtiger sei es „für die richtige Perspektive im Umgang miteinander zu werben: weg von Misstrauen und Abwehr, hin zu einer Anerkennung des Fremden und zur Offenheit gegenüber den sozialen und kulturellen Chancen des Zusammenlebens“. Ein „gesellschaftlicher Konsens über die Grundlagen des Zusammenlebens“ sowie „gemeinsame Werte, die eine Ordnung des Miteinanders tragen“ bilden die Basis für eine erfolgreiche Integration, betonte Lehmann.“ “ In Ausbildung investieren Zur Diskussion über die anhaltenden Ausschreitungen in Frankreich erklärt die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck: Trotz aller vorhandenen Integrationsprobleme gerade auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt kann von einer Grundstimmung der Hoffnungslosigkeit in Deutschland nicht die Rede sein. Wir wären jedoch gut beraten, uns diesen Problemen ganz konkret zuzuwenden. … Wenn wir über die Perspektiven von Jugendlichen reden, dann müssen wir über die gravierenden Probleme am Ausbildungsmarkt reden: In nahezu allen Ausbildungsbereichen werden immer weniger ausländische Jugendliche ausgebildet. So sind in Berlin von 34 000 anerkannten IHK-Ausbildungsplätzen lediglich 490 mit türkischen Jugendlichen besetzt. Rund 40% der ausländischen Jungendlichen bleiben in Deutschland ohne beruflichen Abschluss. Selbst bei gleichwertigen Schulabschlüssen werden Migrantenjugendliche bei der Lehrstellensuche gegenüber deutschen Jugendlichen benachteiligt. Ohne gezielte Investitionen in den Übergang von Schule zu Beruf wird sich diese Situation nicht ändern. Erfolg versprechen Maßnahmen wie z.B. die bundesgeförderten ‚Beruflichen Qualifizierungsnetzwerke‘, die auf lokaler Ebene ansetzen und vor Ort auf die Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration junger Migranten zielen, oder auch die inzwischen ausgelaufenen Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit JUMP und JUMP PLUS, die auch Angebote zur berufsbezogenen Deutschsprachförderung umfassten. Solche Brücken zwischen Schule und Berufsausbildung dürfen jedoch nicht nur als Modellprojekte laufen, sondern müssen zum festen Bestandteil der Regelförderung werden. Die neue Bundesregierung wäre gut beraten, hier einen Schwerpunkt zu setzen. “ “ Sprecherkreis der Initiative ‚Pro Integration‘ tagte in Frankfurt Am 7.11.2005 traf sich der Sprecherkreis von Pro Integration in Frankfurt. Im Zentrum der Beratungen stand die Frage, wie für die Integrationskurse eine ausreichende Qualität erreicht werden kann. Gerade auch in Hinsicht der Ereignisse in Frankreich wurde die Notwendigkeit von jugendspezifischen Kursen betont. Bei der Einrichtung dieser Kurse gebe es zusätzliche bürokratische Hemmnisse, die es den Sprachkursträgern nahelegten, doch einfache Integrationskurse abzuhalten. Zu den Hemmnissen zählt die regional durchaus verschiedenen Auffassungen von regionalen Koordinatoren in der Erstattung von Fahrgeldern. Ebenso dringend wie die Einrichtung von jugendspezifischen Kursen mit einem entsprechenden Curriculum ist die Einrichtung von adäquaten Alphabetisierungskursen. Viele offene Fragen werden mit Hinweis auf die anstehende Evaluation vom BMI und vom BAMF weiter geschoben, die Probleme verlangten allerdings eine zeitnahe Lösung. In den eingerichteten Kursen zeigt es sich, dass sich die Bedingungen der Mitarbeiter erheblich verschlechtert haben. Während im Bereich der zum Jahresende eingerichteten Kurse im Bereich von Garantierfonds und SGB III Mitarbeiter mit festen Verträgen beschäftigt werden konnten, sind jetzt weitgehend nur noch Honorarverträge möglich. Die Sprecher von ‚Pro Integration‘ sehen eine ausreichende Vergütung der Lehrkräfte als einen integralen Bestandteil der Qualität der Kurse. Diese wird aber durch die Kostenstruktur der Kurse, den riesigen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, die Unsicherheit der Kurseinrichtung verunmöglicht. Inzwischen sind einzelne Städte und Gemeinden dazu übergegangen, Volkshochschulen Zuschüsse zu den Integrationskursen zu gewähren mit den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass damit die Lehrerbezahlung gestützt wird. So hilfreich dies für diesen Sprachkursträger ist, so wenig ist mit dieser Form der Quersubventionierung anderen Sprachkursträgern geholfen. … “ “ Krawalle in Deutschland derzeit eher unwahrscheinlich Migrationsforscher fordert Konsequenzen aus Fanal von Frankreich Der Direktor des Instituts für Migrationsforschung in Osnabrück, Klaus J. Bade, hat die deutschen Politiker aufgefordert, Konsequenzen aus dem ‚Fanal von Frankreich‘ zu ziehen. ‚Heute stehen wir vor den Problemen der versäumten Integrationspolitik in der 80er Jahren‘, sagte Bade dem Handelsblatt. Die Politiker sparten ‚an der falschen Stelle, wenn sie solche gesellschaftlichen Prozesse an die Wand laufen lassen‘. Die verheerenden Folgen müsste die gesamte Gesellschaft teuer bezahlen. Bade forderte Union und SPD auf, die Integrationspolitik stärker als bisher in den Koalitionsverhandlungen zu berücksichtigen. …Aus Sicht des Migrationsforschers ist die derzeitige Situation in Deutschland allerdings mit der in Frankreich nicht vergleichbar. ‚Das französische Integrationsmodell ist durch eine Ballung von Problemen zusammengebrochen‘, sagte Bade. Diese reichten von Bausünden in den Vorstädten bis hin zu einer klaren ethnischen Diskriminierung der Jugendlichen. In Deutschland habe man zwar auch benachteiligte Jugendliche, die Jugendarbeitslosigkeit sei aber noch nicht so hoch wie in Frankreich. Zustimmung erhält Bade von seinem Kollegen Dieter Oberndörfer. Auch er hält in Deutschland Ausschreitungen wie jetzt in Frankreich für eher unwahrscheinlich. ‚Wir haben unterschiedliche Siedlungsstrukturen und andere Einwanderer als in Frankreich‘, sagte Oberndörfer am Montag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Die Vorfälle in Paris zeigten aber, wie wichtig eine Integrationspolitik ist. ‚Bei den Koalitionsverhandlungen darf die Integrationsförderung nicht heruntergeschraubt werden‘, warnte der Politikwissenschaftler. Die mit dem Zuwanderungsgesetz angebotenen Sprachkurse seien eher noch zu wenig. In Frankreich komme eine Großteil der Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien, betonte Oberndörfer. ‚Die französische Gesellschaft hat sich um die nicht gekümmert.‘ Nach der weitgehenden Automatisierung der Industrie seien sehr viele arbeitslos geworden und hätten extrem schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Probleme gebe es vor allem mit der so genannten dritten Generation, die nicht mehr von sozialen Normen der Eltern geprägt sei. Ähnliche Probleme gebe es zwar auch in Deutschland. Aber eine große Gruppe, die türkischen Einwanderer, sei sehr viel integrationsfähiger als etwa die Marokkaner in Frankreich, bei denen es fast unlösbare Integrationsprobleme gebe. Außerdem seien nur Teile der in Deutschland lebenden Türken an den Islam gebunden. ‚In Frankreich hat der Islam unter den Zuwanderern eine größere Relevanz für ihre Identität.‘ Eine wesentliche Rolle in Frankreich spielten die extrem ungünstigen und unmenschlichen Trabantensiedlungen mit Hochhäusern ohne Infrastruktur. ‚In Deutschland gibt es nur wenige Städte mit dieser hohen Ausländerkonzentration und keine vergleichbaren Orte mit solch schlechter sozialer Infrastruktur‘, sagte Oberndörfer. Aber auch in Deutschland gebe es große Defizite. Viele Migranten verfügten nur über schlechte Sprachkenntnisse und über schlechte oder gar keine berufliche Ausbildung. ‚Wir müssen uns bemühen, durch die Bildungspolitik diese Defizite zu beseitigen, damit Chancengleichheit hergestellt wird.‘ Oberndörfer warnte davor, die Einstellung zu Ausländern in Deutschland nicht durch die Krawalle in Frankreich weiter zu verschlechtern. ‚Wichtig ist vielmehr, dass wir uns allmählich öffnen für eine Integration, die Akzeptanz heißt.‘ Auch dürften trotz aller Defizite auch die Erfolge der Integration nicht vergessen werden, sagte Oberndörfer und verwies auf die große Zahl türkischer Unternehmen in Deutschland.“ “ „Gewaltausbrüche wie in Frankreich unwahrscheinlich” Ausschreitungen wie in Paris und anderen französischen Städten halten Fachleute in deutschen Kommunen für eher unwahrscheinlich. Allerdings müsse die Entwicklung genau beobachtet werden. ‚Es gibt in Deutschland keine absolut abgehängten Stadtteile wie in der Gegend um Paris, nicht einmal in Berlin-Kreuzberg ist das der Fall‘, sagt Ferdinand Sutterlüty vom Institut für Sozialforschung an der Frankfurter Universität. Dieser Meinung ist auch Christoph Kulenkampff, Vorstand der Schader-Stiftung in Darmstadt. Die Stiftung hat Empfehlungen für eine ’sozialräumliche Integration von Zuwanderern‘ gegeben, mit denen sich derzeit acht Städte – darunter Frankfurt – auseinandersetzen. Kulenkampff hält es für nötig, sozial benachteiligte Stadtteile mit allen geeigneten Mitteln zu stabilisieren. Nur so könne eine Ghettoisierung verhindert werden. Beispielsweise könnten Schulen, etwa mit mehr Angeboten für Eltern ausländischer Schüler, zu ‚Integrationszentren‘ werden. Sutterlüty und Kulenkampff sehen für deutsche Städte derzeit keine Gefahr von Ausschreitungen. Dazu seien die Unterschiede zum Nachbarland zu groß. Trotz ‚ethnisch geprägter‘ Stadtteile in Frankfurt und anderswo gebe es keine Vororte wie in Frankreich, so Kulenkampff. Zudem sei die Gruppe der Zuwanderer in Deutschland viel heterogener. Die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt sei in Frankreich größer, sagt Sutterlüty. Dort genössen Migranten zwar als Staatsbürger Wahlrecht, aber man habe wenig getan, um sie sozial zu integrieren, etwa in den Arbeitsmarkt. Da Zuwanderer allerdings auch in Deutschland zunehmend Schwierigkeiten hätten, Arbeit zu finden, werde die soziale Entwicklung der Stadtteile immer wichtiger. … Auch der Frankfurter Sozialdezernent Franz Frey (SPD) sieht keine Gefährdung. Man dürfe sich aber nicht in Sicherheit wiegen. In Frankfurt gebe es viele Jugendliche, die kaum berufliche Perspektiven hätten. Deswegen sei die von der Stadt geförderte Jugendarbeit unerläßlich. Die Politik müsse deutlich machen, daß sie sozial schwierige Stadtteile nicht vergesse. Aus Sicht der Frankfurter Polizei beschränken sich Gewalttaten an sozialen Brennpunkten der Stadt auf Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Personen oder kleineren Gruppen. Immer wieder mal gebe es jugendliche Brandstifter, die Autos und Mülltonnen anzündeten, aber das seien Einzelfälle. ‚Auswüchse‘ wie derzeit in Paris – von Massen getragene und gezielte Angriffe gegen die Staatsgewalt – seien in der Mainmetropole nicht vorstellbar, meint Polizeisprecher Jürgen Linker. Ähnlich undramatisch beurteilt der Geschäftsführer des städtischen Präventionsrats, Frank Goldberg, die Situation in Frankfurt. Zwar formierten sich gelegentlich Gruppen krimineller und sozial benachteiligter Jugendlicher, die versuchten, Teile eines Stadtteils zu terrorisieren. Doch sei es dank des Engagements von 14 ehrenamtlichen Präventionsräten in den Stadtteilen und mit Hilfe von Polizei und Sozialarbeitern bisher immer gelungen, eine Eskalation zu verhindern. Voraussetzung sei allerdings, daß eine solche Entwicklung frühzeitig erkannt werde. ‚Wenn nicht sofort gehandelt wird, ist das nicht mehr in den Griff zu bekommen.‘ (toe./ler.) “ “ Sprachkurse gegen Brandsätze Die Politik in Deutschland setzt auf Eingliederungshilfen für junge Migranten, doch vielen Projekten droht der Rotstift Brennende Autos und Fabrikgebäude in französischen Vorstädten, könnte so etwas auch in Deutschland passieren? Bisher reagieren die maßgeblichen Politiker, trotz einiger brennender Autos in Bremen und Berlin unaufgeregt. Verstärkte Integrationsbemühugen ja – Dramatisierung nein. Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, fürchten zu müssen, der Funke des Aufruhrs könnte über die Landesgrenze springen und deutsche Städte erreichen. Zwar würden bereits einige ‚Hobbysoziologen‘ ähnliche Ausschreitungen hierzulande vorhersagen, sagte Regierungssprecher Thomas Steg, die Situation in Frankreich und Deutschland lasse sich jedoch nicht vergleichen. Die bestehenden Probleme seien gleichwohl nicht zu unterschätzen. Im Blickpunkt der Politik müsse stehen, dass den Jugendlichen mit Migrationshintergrund Chancen zum sozialen Aufstieg geboten würden, sei es durch Sprachkurse, Bildungs- oder Arbeitsangebote. Es bedurfte nicht erst der Bilder aus Paris, um den designierten Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) davon zu überzeugen, wie wichtig erfolgreiche Integrationsbemühungen für ein stabiles Sozialgefüge sind. Als bekannt wurde, dass er Otto Schily (SPD) im Amt folgt, ließ Schäuble umgehend wissen, dass er Integrationspolitik als zentrale Querschnittsaufgabe der Bundesregierung verstehe und gewillt sei, die anderen Ressorts dienstzuverpflichten. Ganztagsschulen und Ausbildungsangebote kosten aber Geld. Ob Schäuble angesichts der schwierigen Haushaltslage die Mittel zur Verfügung stehen, Integrationsprojekte nennenswert voranzutreiben, darf vor diesem Hintergrund in Frage gestellt werden. Sicherheitspolitiker aller Parteien sind vor allem in Sorge über die Entwicklung in einzelnen Stadtvierteln, in denen sich Ausländer von der Gesellschaft abschotten. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) neigt angesichts der Entwicklung solcher Parallelgesellschaften notorisch zu harter Gangart und einer Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes. Integration ist für ihn in erster Linie Bringschuld der Migranten. Der SPD-Fraktionsvize Michael Müller sieht in den Unruhen in Frankreich dagegen einen Beleg, dass ein geschwächter Sozialstaat, der Chancenlosigkeit und Ausgrenzung befördert, über kurz oder lang von Unruhen heimgesucht wird. Es sei ‚ein gefährlicher Unsinn, wenn Sozialabbau und Zerstörung des öffentlichen Sektors mit Reformen gleichgesetzt wird‘. Hier müsse, so der Parteilinke, ‚die große Koalition ein deutliches Zeichen setzen‘. Der grüne Innenexperte Volker Beck erklärte, dass weder die von der Union erneut angestoßene Leitkulturdebatte, noch schärfere Sanktionen das Problem bei der Wurzel packten. Der Schlüssel zur Integration sei Bildung und der frühkindliche Spracherwerb. Er plädierte deshalb für ‚mindestens ein Kindergartenpflichtjahr und einen klaren pädagogischen Auftrag für die Kindergärten‘. Der Berliner Integrationsbeauftrage Günter Piening hält Parallelen für nicht angebracht: ‚Berlin ist nicht Paris‘. Es sei zwar möglich, dass die nächtlichen Autobrände auf das Konto von Nachahmungstätern ‚mit oder ohne Migrationshintergund‘ gingen. Es sei aber auszuschließen, dass daraus ‚ein Flächenbrand wie in Frankreich wird‘. Zwar seien Probleme nicht zu leugnen, aber die Grunderfahrung der Jugendlichen sei ’nicht durchgängig von Ausgrenzung geprägt‘. Die Einwanderergruppen seien anerkannter Teil der städtischen Kultur. Auch gebe es in Berlin keine Außenbezirke und Vorstädte, die sich selbst überlassen würden.“
Quelle: http://www.katholische-kirche.de/2315_13525.htm Pressemitteilung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vom 8.11.2005 Newsletter Pro Integration Nr. 402 vom 8.11.05 Die Zeit 7.11.2005: http://zeus.zeit.de/hb/9