Der neue Teilhabebericht der Bundesregierung nimmt erstmalig auch die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen in den Blick. Fast ein Viertel aller Menschen mit Beeinträchtigungen berichten von massiven Teilhabeeinschränkungen. Vielfach verfügen sie über einen geringen Bildungsstand und keinen Berufsabschluss. Um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Arbeit und Ausbildung zu verbessern, will das Bundessozialministerium ein zusätzliches 50 Millionen Euro-Programm auflegen. Um die Teilhabe an betrieblichen und betriebsnahen Ausbildungen zu erhöhen, wird derzeit mit den Partnern am Ausbildungsmarkt die „Inklusionsintiative für Ausbildung und Beschäftigung“ vorbereitet.
Auszüge aus dem „Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung“ zu relevanten Bereichen für die Jugendsozialarbeit:
„(…) Familie und soziales Netz
Im Teilhabefeld Familie und soziales Netz kommt der Teilhabebericht zu folgenden wesentlichen Erkenntnissen:
- Mangelnde soziale Bindungen erschweren Teilhabe.
- Menschen mit Beeinträchtigungen leben häufiger allein (31 Prozent) und seltener in festen Partnerschaften als Menschen ohne Beeinträchtigungen (21 Prozent).
- Jedes fünfte Kind mit Beeinträchtigungen lebt mit nur einem Elternteil – meist der Mutter – zusammen. Kinder mit Beeinträchtigungen sind seltener, als Kinder ohne Beeinträchtigungen der Meinung, „dass in ihrer Familie alle gut miteinander auskommen“.
- Erwachsene und Kinder mit Beeinträchtigungen erfahren seltener Hilfe und Unterstützung durch Familie, Freunde oder Nachbarn, als Menschen ohne Beeinträchtigungen.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, Familien und familiärer Strukturen nachhaltig zu stärken. (…)
Bei der Leistungserbringung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wird aktuell eine sogenannte „Große Lösung“ im SGB VIII diskutiert, in der die Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe zusammengeführt werden. Die Bundesregierung unterstützt den gegenwärtig laufenden Klärungsprozess mit den Ländern, mit Verbänden und kommunalen Praktikern. (…)
Die Bundesregierung misst der Absicherung der Familienpflege und dem Ausbau inklusiver Kinderbetreuung besondere Bedeutung bei. (…)
Bildung und Ausbildung
Für das Teilhabefeld Bildung und Ausbildung wird Folgendes sichtbar:
- Je geringer der Schulabschluss und je schwerer die Beeinträchtigung, desto geringer ist die Chance auf berufliche und soziale Teilhabe im Erwachsenenalter.
- Gemeinsame Bildung und Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderungen ist im vorschulischen Bereich weitgehend verwirklicht: 87 Prozent der Kinder mit Beeinträchtigungen werden in regulären Tageseinrichtungen betreut. Nur 13 Prozent besuchen „Tageseinrichtungen für behinderte Kinder“.
- Im Bereich der schulischen Bildung dominieren die getrennten Bildungswege. Nur 22 Prozent der Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischer Förderung besuchen allgemeine Schulen.
- Deutlich mehr Jungen (13 Prozent) als Mädchen (4 Prozent) besuchen Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung.
- 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen erreichen keinen Hauptschulabschluss.
- Die Anzahl der Personen, die auf eine Ausbildung in speziellen „Berufen für Menschen mit Behinderungen“ ausweichen mussten, ist leicht rückläufig: Im Jahr 2007 waren es 2,5 Prozent aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Im Jahr 2011 waren es 2 Prozent.
- Menschen mit Beeinträchtigungen verfügen häufiger über ein geringeres schulisches Bildungsniveau als Menschen ohne Beeinträchtigungen.
- 19 Prozent der 30 bis 64-Jährigen mit Beeinträchtigungen haben keinen Berufsabschluss, bei den gleichaltrigen Menschen ohne Beeinträchtigungen sind es 11 Prozent.
Die Bundesregierung misst deshalb dem Ausbau inklusiver und hochwertiger Bildung und Ausbildung für alle einen hohen Stellenwert bei. Denn Menschen haben insbesondere dann ein höheres Risiko, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen mit niedrigem Bildungs- und/oder Berufsabschluss einhergehen. (…)
Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre Förderstrategie nach dem Grundsatz „so allgemein wie möglich, so behindertenspezifisch wie nötig“ ausgerichtet. Zielsetzung der BA ist es, den Anteil an Ausbildungen von Jugendlichen mit Behinderung in betrieblicher Verantwortung zu steigern. Gute Konzepte für inklusive Ausbildungsformen wurden entwickelt und umgesetzt z. B. begleitete betriebliche Ausbildung und Verzahnte Ausbildung mit Berufsbildungswerken.
Die im Februar 2013 gestartete „Initiative zur Erstausbildung junger Erwachsener“ („AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“) der Bundesagentur für Arbeit hat das Ziel, abschlussorientierte Qualifizierungen in der Gruppe der 25-35-Jährigen deutlich zu erhöhen. Schwerpunkt ist die zielgerichtete, passgenaue Förderung abschlussorientierter beruflicher Weiterbildungen (Voll- und Teilzeitqualifizierungen in einem anerkannten Ausbildungsberuf, Externenprüfung, modulare Teilqualifizierungen). Auch junge Erwachsene mit Behinderung können von der Initiative profitieren. (…)
Politik und Öffentlichkeit
Der Bericht lässt für den Bereich Politik und Öffentlichkeit folgende Befunde erkennen:
- Menschen mit Beeinträchtigungen nehmen seltener am politischen Leben teil.
- Menschen mit Beeinträchtigungen aller Altersklassen sind mit der Demokratie durchschnittlich weniger zufrieden als Menschen ohne Beeinträchtigungen.
- Menschen mit Beeinträchtigung interessieren sich deutlich weniger für Politik als Menschen ohne Beeinträchtigungen.
- Die Wahlbeteiligung von jungen Erwachsenen (18 bis 29 Jahre) mit Beeinträchtigungen liegt mit 49 Prozent deutlich unter der ihrer Altersgenossen ohne Beeinträchtigungen (71 Prozent).
Die Bundesregierung sieht, dass die aktive Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen gestärkt werden muss. (…)“
Der Bericht „Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung“ ist die Weiterentwicklung des Behindertenberichts. Er ist Teil des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertentrechtskonvention. „Ein realistisches, auf verlässlichen Zahlen fußendes und nicht länger von Mitleid und Defiziten geprägtes Bild von Menschen mit Behinderungen ist eine wesentliche Voraussetzung zur Verwirklichung des Inklusionsgedankens.“ Diesen Auftrag aus dem Nationalen Aktionsplan setzt die Bundesregierung Schritt für Schritt um. Der neue Teilhabebericht trägt dazu bei. Mit der Ratifikation des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) hat sich Deutschland verpflichtet, Informationen zu sammeln, die es ermöglichen, politische Konzepte zur Durchführung dieses Übereinkommens auszuarbeiten und umzusetzen. Dies beinhaltet in besonderer Weise statistische und empirische Grundlagen.
Quelle: Bundesregierung; BMAS