Attraktivität der dualen Berufsausbildung für junge Menschen

Auszüge aus den DJI-Forschungsergebnissen zur Attraktivität des dualen Ausbildungssystems aus Sicht von Jugendlichen von Frank Tillmann, Günther Schaub, Tilly Lex, Ralf Kuhnke und Nora Gaupp:
“ Die duale Ausbildung – so wird es von verschiedenen Seiten in den letzten Jahren verlautbart – habe für junge Menschen, die vor der Wahl ihres beruflichen Bildungsweges stehen, an Attraktivität verloren. Andererseits werden vom Bundesinstitut für Berufsbildung gerade im Bereich nichtakademischer Fachkräfte für die nahe Zukunft deutliche Engpässe prognostiziert.

Ziel der DJI-Untersuchungen zur Attraktivität des dualen Ausbildungssystems war es deshalb, Aufschlüsse über die Einstellungen und Wahrnehmungen von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen gegenüber beruflichen Anschlussoptionen zu gewinnen. Um zudem einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Ansätzen zur Stärkung des Modells der dualen Ausbildung zu leisten, liefert die Studie auch Aufschlüsse über berufsbezogene Präferenzen dieser Zielgruppen allgemein sowie mögliche Zugänge der Erreichbarkeit für berufsbezogene Themen. (…)

Bildungseinmündung und -verläufe hängen stark von sozialen und ökonomischen Faktoren ab, und die Bildungschancen sind in Abhängigkeit von verschiedenen sozialen Merkmalen wie Schicht- und Milieuzugehörigkeit ungleich verteilt. Insbesondere das Merkmal „Migrationshintergrund“ beeinflusst die Bildungschancen nachhaltig negativ, wie alle einschlägigen Studien belegen. Auch das Geschlecht hat großen Einfluss auf die Ausbildungs- und Berufswege der jungen Generation und wirkt bereits auf die Art und Weise der Berufsorientierung, und zwar auf allen Leistungsebenen, ein. (…)

Der besuchte Schultyp und der daraus resultierende Schulabschluss beeinflussen und determinieren die berufliche Allokation und damit notwendigerweise zwangsläufig die Art und Weise der künftigen Lebensführung insgesamt in entscheidendem Ausmaß.

Attraktivität der dualen Ausbildung bei Jugendlichen verschiedener Leistungsniveaus
Was die Attraktivität der dualen Ausbildung insgesamt sowie die Attraktivität bestimmter Berufsbilder betrifft, so wird zunächst eine ungebrochen hohe Affinität der Jugendlichen zum dualen System der Berufsausbildung konstatiert. Die duale Ausbildung stellt für den Großteil der Schulabgänger/innen eine wichtige Option dar, wobei für deren Realisierung der Schulabschluss die entscheidende erklärende Variable darstellt. Einem Großteil der Hauptschulabsolvent/innen (darunter viele mit Migrationshintergrund) gelingt der (direkte) Übergang ins duale Ausbildungssystem nicht, weil sie an den betrieblichen Zugangsbarrieren scheitern. Der „Umweg“ über schulische und außerschulische Maßnahmen im Übergangssystem wird von den Jugendlichen genutzt, um (höhere) Schulabschlüsse zu erwerben und ihre Ausgangsbedingungen am Ausbildungsmarkt zu verbessern. Diese durchaus rationale Strategie der „Chancenoptimierung“ verbessert nachweislich für einen Teil der Jugendlichen die Möglichkeit der Aufnahme einer Ausbildung. Für einen anderen Teil der Jugendlichen bilden die Maßnahmen allerdings den Beginn eines problematischen Verlaufs, der sie vom Ausbildungssystem zunehmend entfernt. (…)

Vermittlung von berufswahlrelevanten Informationen
In einer frühen Phase der Berufsorientierung sind die Eltern – über alle sozialen Milieus und Leistungsniveaus hinweg – für die Jugendlichen in Fragen, wie es für sie nach der Schule weitergeht, wichtige Ansprechpartner. Es erscheint daher angebracht, auch dieser Zielgruppe einschlägige Informationsangebote in adäquater Form zu unterbreiten. Das gilt insbesondere für Eltern mit Migrationshintergrund, da es in diesen Milieus häufig größere Informationsdefizite gibt, was das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem betrifft. In späteren Abschnitten des Berufswahlprozesses spielen Peers eine zunehmend bedeutsame, wenn auch diffuse, Rolle als Referenzgruppe. Bezeichnend für die berufswahlbezogene Interaktion mit Peers ist, dass die Initiative dazu vorrangig von den Jugendlichen als Ratsuchenden selbst ausgeht.

Der Schule kommt zwar prinzipiell eine zentrale Rolle bei der Berufsorientierung und bei der Förderung der Berufswahlreife von Schülerinnen und Schülern zu. Es gibt allerdings eine beträchtliche Varianz, was Qualität und Quantität der Berufsorientierung und Übergangsplanung an einzelnen Schulen und Klassen betrifft. Es gibt auch kein einheitliches Konzept für die Einbettung berufsorientierender Inhalte in den Lehrplan. (…) Die sozialen Netzwerke, deren Nutzung durch die zunehmende Verbreitung von internetfähigen Smartphones/Handys stetig zunimmt, dienen vornehmlich der Beziehungspflege, die Rezeption und Diskussion von berufswahlrelevanten Informationen ist nachrangig. Die primäre Funktion des Internet und speziell der sozialen Netzwerke als Kommunikationsplattformen bietet jedoch grundsätzlich auch die Chance, mit Jugendlichen in kommunikative Prozesse zur Berufsorientierung einzutreten. (…)

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen – Hinweise für eine zielgruppenspezifische Ansprache
(…) Aus der Datenanalyse lassen sich einige Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung ableiten sowie Hinweise für eine zielgruppenspezifische Adressierung gewinnen, welche in praxisbezogene Handlungsempfehlungen münden. (…) ## Zeitpunkt Die Auseinandersetzung mit beruflichen Fragen erfolgt in hohem Maße in Abhängigkeit von der biografischen Situation der Jugendlichen und weniger in bestimmten Altersgruppen. Die Jugendlichen mit Hauptschul- oder vergleichbaren Abschlüssen sind vor allem im letzten Schuljahr offen für eine berufsbezogene Adressierung, da zu diesem Zeitpunkt die Entscheidungsfindung noch in vollem Gange ist. Ein geeignetes Zeitfenster für die Adressierung berufsbezogener Botschaften besteht im letzten Halbjahr vor Beendigung der Schule. (…) Auch die Phase von drei Jahren nach dem Schulabschluss, in der insbesondere benachteiligte Jugendliche keinen Zugang zu einer Ausbildung finden, könnte verstärkt zur Ansprache im Hinblick auf ggf. sozialpädagogisch unterstützte duale Ausbildungsformate genutzt werden. Insgesamt weisen die Ergebnisse des DJI-Übergangspanels darauf hin, dass selbst bei Absolventinnen und Absolventen der niedrigeren Leistungsniveaus mit einer hohen Ausbildungsneigung die Einmündung in eine Berufsausbildung in der Regel maximal innerhalb von sechs Jahren nach Verlassen der Schule vonstattengeht. (…)
## Zielgruppe Jugendliche Grundsätzlich haben vor allem männliche Jugendliche mit niedrigeren Bildungsabschlüssen eine hohe Affinität zur dualen Ausbildung. Zudem sind Potenziale von Jugendlichen, die verstärkt für eine duale Ausbildung interessiert werden könnten, auch in den Zielgruppen mit höheren Schulabschlüssen sowie bei jungen Frauen zu finden. Für Jugendliche des Hauptschulbildungsganges haben bei der Wahl des Ausbildungsberufs die Aussichten, überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen sowie ein positives Arbeitsklima im künftigen Kollegenkreis eine deutlich größere Bedeutung als bei Jugendlichen in höheren Bildungsgängen. (…) Differenzen in der Zustimmung zu einzelnen Berufswahlmotiven in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund sind insbesondere durch Unterschiede zwischen den Geschlechtern bedingt. Danach spielt für Schüler mit Migrationshintergrund der Verdienst eine vergleichsweise große Rolle bei der Auswahl des Berufs, die Respektierung durch den Beruf und Karrieremöglichkeit sind für Schülerinnen mit Migrationshintergrund besonders wichtig.(…)
## Zielgruppe Eltern Vor allem in einer frühen Phase der Berufsorientierung ist die Primärkommunikation (vor allem mit Eltern und Peers) die am häufigsten genutzte (…) Form der Informationsgewinnung. (…) Das gilt für alle Leistungsniveaus, für Schüler/innen aller Schultypen und auch über alle Milieus und Lebenswelten hinweg. Dieser Befund(…) legt die Strategie nahe, nicht nur die Jugendlichen selbst, sondern auch ihre direkten Bezugspersonen
(insbesondere die Eltern) mit berufs(wahl)relevanten Informationen zu versorgen. Das gilt insbesondere für die Milieus der Migtrantinnen und Migranten und/oder die so genannten „bildungsfernen“ Milieus, in denen es nachgewiesenermaßen große Informationsdefizite gibt, was das Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland und mithin die individuellen Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten und deren Optimierung betrifft. (…)
## Informationsquellen (…) Mit zunehmender Konkretisierung verliert das soziale Umfeld zugunsten institutioneller Informationsquellen an Bedeutung. Hierzu zählen Praktika, Berufsberatung, Berufsinformationszentren (BIZ), Informationstage (…) sowie Medien. In Abhängigkeit von den Merkmalen Geschlecht, Migrationsstatus sowie Bildungsniveau zeigen sich unterschiedliche Prioritätensetzungen in Bezug auf die Wichtigkeit einzelner Informationsquellen für die Berufswahl. (…)

Die Studienergebnisse wurden in der BMBF-Reihe „Berufsbildungsforschung“ im Band 17 veröffentlicht. Die Publikation im vollen Textumfang entnehmen Sie aufgeführtem Link.

Quelle: Deutsches Jugendinstitut; BMBF

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