BENACHTEILIGTE JUGENDLICHE NICHT DEM DSCHUNGEL DES HILFESYSTEMS ORIENTIERUNGSLOS AUSSETZEN
Die Zahl der jugendlichen Hilfebedürftigen, die einerseits auf Jugendhilfeleistungen, andererseits auf Leistungen der Arbeitsförderung angewiesen sind, ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Gleichsam ist die Komplexität der Hilfesysteme gestiegen. Die relevanten Sozialgesetzbücher SGB II, III und VIII sind nicht optimal aufeinander abgestimmt. Es gibt immer wieder Unklarheiten in der (rechtlichen) Zuständigkeit und von wessen Seite Leistungsverpflichtungen bestehen. Diese an den Schnittstellen der Sozialgesetztbücher auftretenden oftmals bürokratischen Fragestellungen führen zu Defiziten in einer effektiven und nachhaltigen Förderung der jungen Menschen.
Auf diese Problematik und die damit verbundenen Herausforderungen wies Pater Franz-Ulrich Otto SDB, Vorsitzender der BAG KJS, im Rahmen einer Fachtagung der BAGFW und des BMAS hin.
“ Der im vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit häufig verwendete Begriff vom Rettungsschirm kann vielleicht auch auf diese Zielgruppe Anwendung finden:
Ein „Rettungsschirm“, der auch die benachteiligten Jugendlichen auffängt, diejenigen mit besonderem Förderbedarf, diejenigen, die nicht aus eigener Kraft den Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf und den Start in ein eigenverantwortliches erwachsenes Leben schaffen.
Das Bild des „Rettungsschirms“ scheint mir ein sehr passendes zu sein.
Nicht nur, weil der Rettungsschirm in den vergangenen Monaten der Finanz- und Wirtschaftskrise zum Symbol für die Stützung von Banken und Wirtschaftsunternehmen geworden ist. Sondern auch, weil ein solcher Schirm aus vielen konkreten tragfähigen Elementen und aus einem hoch komplexen Rahmen besteht. Aber wie niemand auf die Idee käme, demjenigen zuzumuten, der einen Rettungsschirm in akuter Gefahrensituation benötigt, die Zusammenhänge dieses komplexen Systems selbst herauszufinden, so werden wir auch den besonders stark benachteiligten jungen Menschen nicht zumuten können, sich in den Zuständigkeiten der verschiedenen Sozialgesetzbüchern zurecht finden zu müssen.
Dafür, dass heute allzu viele junge Menschen in prekäre Situationen gekommen sind, gibt es ein ganzes Bündel von einzelnen und miteinander verwobenen Ursachen. Das hat häufig mit der Situation in vielen unserer Familien zu tun. Das hat zu tun mit Werten, die nicht mehr selbstverständlich das Zusammenleben regeln, mit Egoismus, der an die Stelle von Solidarität tritt. Da können wir auf alte und neue Medien verweisen und auf schlechte Vorbilder. Dazu tragen die so genannten Reformen und Einsparungen im Sozialwesen der letzten Jahre bei, aber auch die ungeklärten Probleme in der Umsetzung von Hilfen für junge Arbeitslose. Und da wird sehr häufig auf die verschiedensten Defizite verwiesen, die dem Schulsystem und den einzelnen Schulen innewohnen. Nicht zuletzt aber will ich die oft falsche Priorisierung und Verengung der Zielsetzung aller Bemühungen auf die Integration in Arbeitsprozesse und somit auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit menschlichen Lebens aufmerksam machen. In der Katholischen Jugendsozialarbeit haben wir auf dem Hintergrund unseres christlichen Menschenbildes die Erfahrung gemacht, dass gerade die in besonderem Maße benachteiligten jungen Menschen zunächst ermutigt werden müssen, sich von dem Standstreifen auf die Fahrspur des Lebens zu wagen. Das begleiten wir dadurch, dass wir ihnen ihre Selbstachtung und ihre Würde ermöglichen, auch und besonders in Zeiten ohne Arbeit, dass wir ihnen behilflich sind, tragfähige Beziehungen zu erfahren und Lebensperspektiven zu entwickeln, obwohl sie bisher nur eine Karriere des Scheiterns und des Versagens erleben durften.
Und dann versuchen wir ihnen die Augen zu öffnen für ihre ganz spezifischen Fähigkeiten, die oftmals nie eine Chance hatten, hervortreten zu dürfen. Und dies alles können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unendlichen Mühen tagtäglich nur, weil sie überzeugt davon sind, dass ausnahmslos in jedem jungen Menschen Fähigkeiten stecken, die es gilt hervorzulocken und hervorzuholen, auch die Fähigkeit zum Guten. Dann erst kann Arbeit jenseits aller wirtschaftlichen Gesichtspunkte zu sinnvollem, ja sinnerfülltem Leben heranreifen. Ja, diese Jugendlichen benötigen in ganz besonderem Maße die Erfahrung, dass wir ihnen trauen, dass wir an sie glauben. Und deswegen dürfen wir nie zulassen und hinnehmen, dass irgendein junger Mensch auf dem Standstreifen des Lebens abgestellt, erst recht nicht durch komplizierte gesetzliche Regelungen dorthin ausgegrenzt wird. Umso mehr bin ich dankbar dafür, dass die heutige Tagung sich dieser Probleme annimmt.
Natürlich gibt es trotz mancher komplizierten gesetzlichen Regelungen in der sozialen Praxis kreative und engagierte Menschen, die nach konkreten Lösungen suchen und deshalb oftmals auch an die Ränder gesetzlicher Regelungen gehen, um den konkreten jungen Menschen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Nun könnte man sicherlich manche positiven Beispiele finden, wenn man in unserer Republik auf Suche gehen würde; das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Initiativen im Sande bürokratischer Hemmnisse steckenbleiben und sich nicht immer wagemutige Kooperationspartner finden, die auch unkonventionelle neue Wege versuchen.
Der Gesetzgeber soll durch die Praxis angeregt werden, entsprechende Regelungen so zu überarbeiten, dass Hilfen für betroffene junge Menschen schneller und effektiver greifen können.“
Quelle: BAG KJS; BAGFW