Systematisierung in der beruflichen Benachteiligtenförderung

RECHTLICHE ZUSTÄNDIGKEIT UND KONKURRIERENDES RESSORTDENKEN BEHINDERN KOHÄRENTES FÖRDERSYSTEM

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebene Gutachten gibt einen Einblick, wie das bisherige System funktioniert, und spricht realisierbare Empfehlungen aus, wie das jetzige Fördersystem besser systematisiert und aufeinander abgestimmt werden könnte. Die Gutachter analysieren zudem Möglichkeiten, inwieweit Finanzierungsinstrumente von Bund, Ländern und Kommunen sowie gesetzliche Rahmenbedingungen ein in sich stimmiges System der Benachteiligtenförderung in Gang bringen und gestalten könnten. Die Gutachter sind auf viele Verbesserungsmöglichkeiten gestoßen. Für die eine optimale Lösung oder die eine erfolgreiche Struktur sei das System, so die Autoren, jedoch zu komplex.

Auszüge aus den wesentlichen Schlussfolgerungen des Gutachtens zur Systematisierung der Fördersysteme, -instrumente und –maßnahmen in der beruflichen Benachteiligtenförderung.

>> KLARERE ZUSTÄNDIGKEITEN DURCH VERÄNDERTEN RECHTLICHEN RAHMEN
Seit Jahren gibt es immer mehr Jugendliche, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, eine Ausbildung zu absolvieren. … Trotz eines enormen Einsatzes von öffentlichen Mitteln wird das politische Ziel „Ausbildung für Alle“ bisher nicht zufriedenstellend erreicht. Die Ursache dafür liegt weniger an der Qualität der Programme. Probleme verursachen vielmehr die unterschiedlichen ordnungs- und förderpolitischen Zuständigkeiten und die Vielfalt an Programmen, Instrumenten und Maßnahmen. … An ihrer Umsetzung sind die unterschiedlichsten Einrichtungen beteiligt wie z. B. die Agentur für Arbeit, Schulen, Sozialämter, Kommunen, Unternehmen. Es entstand ein Dickicht von Programmen, Instrumenten und Maßnahmen, das sowohl von den Experten, die die Förderungen umsetzen, als auch von den Jugendlichen, die sie nutzen sollen, nur schwer zu durchschauen ist. Das birgt die Gefahr, dass die Programme und Maßnahmen nicht so leistungsfähig sind, wie sie sein sollten.

Für die Benachteiligtenförderung sind vor allem die Sozialgesetzbücher SGB II, SGB III und SGB VIII zuständig. Die Programme des SGB II sollen Jugendliche möglichst schnell in eine Ausbildung oder in ein Arbeitsverhältnis vermitteln. Die Leistungen des SGB III tragen dazu bei, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. SGB VIII finanziert sozialpädagogische Förderungen. Diese Programme werden von unterschiedlichsten Trägern wie z. B. der Agentur für Arbeit oder kommunalen Einrichtungen umgesetzt. Dabei kommt es immer wieder zu Reibungsverlusten. Die Programme überschneiden sich zum Teil und lassen keine klare Zuständigkeit zu. … Versuche, dies rechtlich verbindlich zu regeln, greifen bislang nicht durchgängig.

Die Experten, die die Leistungen bewilligen, sind sich über die Zuständigkeit nicht immer einig. … Unklare Zuständigkeiten werden aber auch dazu missbraucht, die damit verbundenen Kosten zurückzuweisen – zulasten der benachteiligten Jugendlichen. Diese wissen zudem oft nicht, auf welche Programme sie Anspruch besitzen oder welche Stelle für ihre Förderung zuständig ist.

Damit die Jugendlichen die Förderprogramme ausschöpfen können, müssen die Programme und Zuständigkeiten leicht zu durchschauen sein. Das ließe sich erreichen, wenn man die inhaltlichen Regelungen in den entsprechenden Leistungsgesetzen des SGB II, des SGB III und des SGB VIII in Anlehnung an § 14 SGB IX ändert und die „Zuständigkeit“ an einfachen sachlichen Grundkriterien und dem Erstzugang ausrichtet.

Eine einfache und klare Regelung könnte wie folgt aussehen: Für die Beratung, Vermittlung und Förderung der Berufsausbildung sind primär die SGB-III-Träger zuständig. Für Arbeitsangelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen sind primär die SGB-II-Leistungsträger Ansprechpartner. Die Leistungsträger des SGB VIII kümmern sich um junge Menschen, die allgemeine Leistungen nach dem SGB VIII erhalten. Dieser Katalog lässt sich ausdifferenzieren. Er muss jedoch für benachteiligte Jugendliche leicht zu durchschauen sein.

Primär zuständig ist der Träger, bei dem der Förderantrag gestellt wird. Fühlt er sich nicht zuständig, leitet er den Antrag an die seines Erachtens verantwortliche Stelle weiter. Dieser übernimmt dann die Kosten. Unklarheiten über Zuständigkeiten werden nicht mehr wie bisher auf dem Rücken der Jugendlichen ausgetragen. Ein neues Gesetz sollte verbindlich regeln, dass die Träger bei Konflikten unter sich klären müssen, wer letztlich zuständig ist. Hat ein Träger die Leistungen zu Unrecht bezahlt, erstattet ihm der letztendlich zuständige Träger die Kosten zurück. Es sollte eine Einigungsstelle etabliert werden, die bei strittigen Fragen eine verbindliche Klärung herbeiführt.

VERBUNDENE KOSTENTRÄGERSCHAFTEN BIETEN MEHR SPIELRAUM
Von großem Vorteil könnten verbundene Kostenträgerschaften sein, die im Rahmen von Vereinbarungen zwischen Ländern und Kommunen auf den Weg gebracht werden. Eine verbundene Kostenträgerschaft könnte so gestaltet werden, dass auf der Basis vorhandener Erkenntnisse Beitragsmittel von Versicherten aus dem SGB-III-Bereich, Bundesmittel für die SGB-II-Leistungen und kommunale Mittel für die SGB-VIII-Leistungen in einem „Topf zusammengeführt“ und daraus die entsprechenden Leistungen finanziert werden. So könnten Leistungen erbracht werden, die sich stärker an dem Förderungsbedarf der benachteiligten jungen Menschen orientieren. Flankiert werden müsste ein derartiges Modell durch entsprechende strategische und operative Gremien der beteiligten Leistungsträger.

Da die Fördermittel von unterschiedlichen Hoheitsträgern verwaltet werden, müssten zwischen ihnen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden. Dafür gilt es, einschlägige Rechtsgrundlagen zu schaffen. …

VERSTÄRKTE ANSTRENGUNGEN GEGEN SCHULVERWEIGERUNG
Schulverweigerung und Ausbildungslosigkeit hängen eng zusammen. Jugendliche erhalten oft keinen Ausbildungsplatz, weil sie keinen Schulabschluss besitzen bzw. schlechte Noten mitbringen. Experten sind sich einig, dass die Benachteiligtenförderung hier noch gezielter ansetzen sollte.

Es müssen Identifizierungsverfahren gefunden werden, die eine beginnende Schulaversion frühzeitig signalisieren. Es be- stehen bereits in der Praxis erprobte Modellverfahren, die man weiterentwickeln könnte. Eine Möglichkeit wäre die Fortentwicklung der Kompetenzfeststellungsverfahren, die bisher im Übergang von der Schule in die Ausbildung eingesetzt werden. Lehrer und Lehrerinnen müssen für die Symptome von Schulmüdigkeit sensibilisiert werden und Kommunikationsregeln schaffen, die es möglich machen, rasch zu reagieren. …

Viele potenzielle Schulverweigerer könnten durch ein alternatives, praxisorientierteres Lernangebot zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Andere Studien der letzten Jahre haben ergeben, dass manche Jugendliche aus unterschiedlichen Gründen nicht mit den klassischen schulförmigen und theoretischen Lehr- und Lernprozessen erreicht werden können. Für sie wäre ein Stundenplan besser, in dem sich Theorie und Praxis abwechseln. Die Umsetzung solcher Curricula erfordert eine stärkere Verknüpfung zwischen Schule und Arbeitswelt und die Gestaltung von Kooperationsprozessen zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren.

MEHR PRAXIS UND KOORDINATION IN DER BERUFSVORBEREITUNG

Eine optimale Berufsvorbereitung verläuft institutionell und curricular eher auf einem kontinuierlichen Weg zwischen der Schule und dem Betrieb. Bisher ist sie meist eine von beiden Lernorten losgelöste und zeitlich dazwischen liegende Maßnahme. Ausschlaggebend für den Erfolg ist eine effizientere berufliche Verwertung des erworbenen Wissens. Die Normierung von Qualifizierungsbausteinen in der Berufsvorbereitung ist ein erster Schritt. Diese Qualifizierungsbausteine müssen jedoch noch stärker in ein Förderkonzept für Jugendliche integriert werden.

In der Praxis konnten bereits eine Vielzahl qualitativ hochwertiger Ansätze erprobt werden. Diese betreffen z. B. die Kompetenzfeststellung und -entwicklung, individuelle Förderplanungen, die Entwicklung von Selbstlernkompetenz als Grundlage für das Lebenslange Lernen, Berufswegeplanungen, sozialpädagogisch betreute lange Betriebspraktika, die Zertifizierung von (Teil-)Qualifikationen und einen integrierten Schulabschluss. Diese Ansätze gehen jedoch selten in Güte- oder Qualitätskriterien ein, wenn doch, sind sie oftmals so weich formuliert, dass sie im Rahmen von Förderprogrammen und Maßnahmen kaum als Qualitätssicherung genutzt werden. Die Entwicklung möglichst konkreter Qualitätsstandards sollte daher rasch vorangetrieben werden.

Unternehmen müssen stärker in die Berufsvorbereitung einbezogen werden, sowohl als Kooperationspartner von anderen Lernorten als auch als alleinige Akteure. … Das Ziel einer höheren Kooperation zwischen den Trägern der berufsvorbereitenden Maßnahmen und den Betrieben stellt dabei auch neue Anforderungen an Sozialarbeiter. Neben den Kenntnissen und Kompetenzen in der Arbeit mit Jugendlichen verlangt sie von den Fachkräften auch das Verständnis für betriebliche Abläufe, Grundlagen der Personalentwicklung und für das Arbeitsrecht. Diese Kenntnisse müssen stärker als bisher Bestand sozialpädagogischer Ausbildung sein.

AUSBILDUNGSASSISTENZEN VERANKERN UND FLEXIBLERE AUSBILDUNGSWEGE SCHAFFEN
In der fast dreißigjährigen Geschichte der Benachteiligtenförderung wurden unterschiedliche Ansätze entwickelt, die der Berufsausbildung Benachteiligter dienen. Ihr Schwerpunkt lag jedoch immer bei der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE) und den ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH). Diese beiden Möglichkeiten entsprechen aber nicht dem meist sehr differenzierten Benachteiligtenstatus der betroffenen Jugendlichen. Die außerbetriebliche Berufsausbildung ist eine gute Möglichkeit für Jugendliche mit relativ komplexem Förderbedarf. Gleichzeitig sind viele weniger schwer benachteiligte Jugendliche zwar zu fit für eine außerbetriebliche, aber immer noch zu schwach für eine betriebliche Berufsausbildung, selbst wenn sie durch ausbildungsbegleitende Hilfen unterstützt werden.

Es fehlt an einem Set begleitender Hilfen für Jugendliche und Betriebe, die sowohl die Jugendlichen als auch die Betriebe in der Berufsausbildung Benachteiligter unterstützen – wie das z. B. Ausbildungsassistenten tun könnten. Sie identifizieren für die Betriebe geeignete Jugendliche, bereiten sie auf die Anforderung einer betrieblichen Berufsausbildung vor und leisten während der Berufsausbildung bedarfsorientierte, fachliche und sozialpädagogische Unterstützung. … Die Umsetzung war jedoch mit den bisherigen Förderinstrumenten nur fragmentarisch möglich, weil sie insbesondere für die Aufgaben im Vorfeld der Berufsausbildung nicht förderfähig waren. Von der Bundesagentur für Arbeit jetzt bereitgestellte Fördermittel für eine sozialpädagogische Begleitung und ein Ausbildungsmanagement könnten die Verankerung der Ausbildungsassistenz vorantreiben.

Da benachteiligte Jugendliche kontinuierlichen Anforderungen oft nicht standhalten, sollten die Ausbildungsgänge stärker flexibilisiert werden und in einem bestimmten Rahmen oder Zeitfenster den Aus- und Wiedereinstieg ermöglichen. … Voraussetzung ist die Modularisierung der Berufsausbildung in Berufsausbildungsbausteinen. Diese würde gleichzeitig eine arbeitsmarktrelevante Zertifizierung von Teilqualifikationen ermöglichen und den Jugendlichen bessere Chancen auf eine Erwerbstätigkeit eröffnen.

Das Spektrum der angebotenen Ausbildungsberufe, die man in der außerbetrieblichen Ausbildung erwerben kann, ist zudem viel zu eng und fokussiert sich oft auf Berufe, für die am Arbeitsmarkt wenig Bedarf besteht. Hier nutzt die Bundesagentur für Arbeit ihren Gestaltungsspielraum viel zu wenig.

NACHQUALIFIZIERUNG ZENTRAL STEUERN UND DURCH FLEXIBLE FINANZIERUNGSSTRUKTUREN STÄRKEN
Trotz vielfältiger Angebote und Unterstützungsstrukturen gelingt es in Deutschland nicht, alle Jugendlichen zu einem anerkannten Berufsabschluss zu führen. Laut dem Berufsbildungsbericht von 2007 beträgt die Ungelerntenquote bei Jugendlichen zwischen 20 und 25 Jahren zirka 15 %, dabei sind die ausländischen Jugendlichen mit einer Quote von rund 36 % besonders stark betroffen.

… Es fehlt jedoch nach wie vor ein „Regelangebot“ der Nachqualifizierung im Weiterbildungssystem. Dieses Regelangebot könnte betriebliche Arbeitsverhältnisse mit berufsbegleitender Qualifizierung verbinden und damit für die Zielgruppe motivierende Lernsituationen schaffen. Die Qualifizierung erfolgt in Bausteinen und Modulen. Die darin erworbenen Kompetenzen werden dokumentiert und anerkannt zertifiziert. Flexible Weiterbildungssysteme vor Ort gewährleisten einen an biografische Gegebenheiten angepassten Bildungsweg.

Für eine effiziente Umsetzung könnte eine neu zu schaffende, zentrale und neutrale Koordinierungsstelle in der jeweiligen Region sorgen. Diese organisiert und begleitet die erforderlichen Aktivitäten wie die Gewinnung von Betrieben und Jugendlichen, die Entwicklung von Qualitätsstandards oder die regionale Abstimmung mit Wirtschafts- und Sozialpartnern. Darüber hinaus sollten Finanzierungsstrukturen etabliert werden, die Nachqualifizierungen so lange wie erforderlich und so flexibel wie nötig fördern. Um die Qualität der betroffenen Maßnahmen zu sichern, bedarf es ausreichender Ressourcen z. B. für die fachliche Qualifizierung der Akteure. Zu ihnen zählen u. a. Unternehmen, Leistungs- oder Bildungsträger. …

BETROFFENE JUGENDLICHE ERNST NEHMEN
Nur in wenigen konzeptionellen Ansätzen wird die Selbstbestimmung des Jugendlichen in den Vordergrund gestellt. Gute Erfahrungen hat man in der Rehabilitation (SGB IX) mit „Persönlichen Budgets“ gemacht. Jeder Betroffene erhält ein persönliches Budget und damit automatisch Mitspracherecht über die Verwendung der finanziellen Unterstützungsleistungen. Das motiviert, eigenverantwortlich zu handeln. Solche persönliche Budgets könnten sich auch in der Integration benachteiligter Jugendlicher als sehr wirkungsvoll erweisen.

Um selbst entscheiden zu können und eine Wahl zu treffen, muss ein junger Mensch das System und seine Fördermöglichkeiten jedoch verstehen und überblicken. Dazu könnte, neben klaren Zuständigkeiten und einfachen Beschreibungen, eine jugendspezifisch aufgebaute Öffentlichkeitsarbeit beitragen. << Die vom BMBF beauftragten Gutachter und Autoren der Veröffentlichung waren Susanne Kretschmer und ulrike Amann von der BBJ Consult AG, von Prof. Dr. jur. Johannes Münder von der TU Berlin sowie von Dr. Jörn Sommer, Dr. Thomas Gericke und Anne-Kathrin Will und die GIB – Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung mbH. http://www.bmbf.de/pub/band_drei_berufsbildungsforschung.pdf Quelle: BMBF
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