Integrationsunwillige Muslime?

„Zwangsheirat, Kopftuch, Ehre und Gewalt sind zentrale Stichworte in der Diskussion über die „Integrationsunwilligkeit“ muslimischer Migranten. In seinem neuen Buch lässt Prof. Dr. Ahmet Toprak diese Gruppe selbst zu Wort kommen – mit differenzierten und überraschenden Ergebnissen.

Für die Studie „Integrationsunwillige Muslime?“ interviewte der Professor vom Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund in den Großstädten Berlin, Dortmund und München 124 Menschen mit Migrationshintergrund zwischen 15 und 74 Jahren, unter anderem aus Kulturvereinen, Jugendzentren, Schulen, Frauengruppen oder Anti-Aggressionstrainings.

Ein zentraler Punkt in der Debatte um die angebliche Integrationsunwilligkeit ist das Tragen des Kopftuches. Im Gegensatz zur deutschen Debatte, die das Kopftuch grundsätzlich als Zeichen für die Unterdrückung der Frau wertet, ergab Topraks Studie, dass muslimische Frauen sehr viel differenziertere Motive haben. „Das Kopftuch ist nicht zwangsläufig ein Unterdrückungsmerkmal, sondern hat oft schlichtweg eine Schutzfunktion für die Frauen – vor der Witterung ebenso wie vor Belästigungen“, bringt Ahmet Toprak eines der Ergebnisse auf den Punkt. Bei vielen seiner Interviewpartnerinnen, so Toprak, sei eine innere Unsicherheit und Zerrissenheit in Bezug auf das Kopftuch spürbar gewesen. Es gebe Frauen, die sich als einzige in der Familie ganz bewusst und aus religiösen Motiven für ein Kopftuch entscheiden. Andere seien zum Kopftuch nicht gezwungen, aber dahingehend über Jahre hinweg sozialisiert worden. In diesem Zusammenhang stellt Ahmet Toprak die These auf, dass das Tragen des Kopftuchs bei Mädchen unter 14 Jahren keinesfalls eine freie Willensentscheidung sein kann.

Weiteres heiß diskutiertes Thema in Punkto Integration ist die Zwangsverheiratung. Diese wird von einem Großteil der Befragten entschieden abgelehnt. Das Thema „Zwangsehe“ stellt sich indes komplex und mit überraschenden Facetten dar: „Eine postmoderne arrangierte Ehe ist nicht gleichbedeutend mit Zwangsheirat“, sagt der Erziehungswissenschaftler. Arrangierte Ehen, die von einer Mehrheit favorisiert werden, beruhen häufig auf dem Wunsch, Familienbündnisse durch Heirat zu besiegeln. Die beiden miteinander vertrauten Familien sorgen dafür, dass die Kinder sich kennen lernen, was aber durchaus dazu führen kann, dass diese einvernehmlich einer Heirat nicht zustimmen. Bei einer Zwangsverheiratung spielen dagegen soziale Komponenten und wirtschaftliche Interessen eine Rolle: Zwangsverheiratung gebe es häufig, um „Heiratsmigration“ zu ermöglichen und sei Antwort auf die reglementierte Zuzugspolitik in Deutschland.

Insgesamt wird die Debatte um die Integrationsunwilligkeit – auch das ein Ergebnis der Studie – in der muslimischen Gemeinde wenig bis gar nicht wahrgenommen. Darauf angesprochen, reagieren die meisten Befragten mit Überraschung. Die fehlende Integrationsbereitschaft in Teilen der muslimischen Gemeinde wird aus Sicht der Migranten mit den schlechten Grundbedingungen in Deutschland oder mit persönlichen Misserfolgen beispielsweise im Bereich Bildung begründet. Ahmet Toprak: „Der Rückzug in die eigenethnischen Milieus erfolgt, weil eine immer größer werdende Minderheit sich in Deutschland wirtschaftlich, sozial und bildungspolitisch abgehängt fühlt.“ Und das, so Toprak, betreffe auch viele Menschen, die eine deutsche Abstammung haben. Einen Weg aus der Misere könne es nur über ein steigendes Bildungsniveau geben.“

Die Studienergebnisse in vollem Umfang sind der Veröffentlichung zu entnehmen:
Ahmet: Toprak: Integrationsunwillige Muslime? Ein Milieubericht. Lambertus-Verlag: Freiburg 2010

Quelle: Fachhochschule Dortmund: Ahmet Toprak

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