Auch wenn Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg weniger verbreitet ist als in anderen Bundesländern, ist die Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit auch hier ausgeprägt. Im Oktober 2012 hat die Landesregierung deshalb im Rahmen des Landesprogramms „Gute und Sichere Arbeit“ das Modellprojekt „Passiv-Aktiv-Tausch“ gestartet. Unmittelbar hat die Förderung zum Ziel, Langzeitarbeitslose mit mehreren Vermittlungshemmnissen über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Der erste Zwischenbericht aus der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Programms, die vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG), in Kooperation mit dem IAB Baden-Württemberg durchgeführt wird, wurde nun veröffentlicht.
Jeder zweite privatwirtschaftliche Arbeitgeber sieht Übernahmechancen, aber nur 17 Prozent der gemeinnützigen Arbeitgeber
Aus der Arbeitgeberbefragung geht hervor, dass die positiven Wahrnehmungen der geförderten Beschäftigungsverhältnisse überwiegen. Derweil sind die Weiterbeschäftigungsperspektiven seitens der Betriebe insgesamt noch sehr unsicher. Interessant ist mit Blick auf die privatwirtschaftlichen Arbeitgeber, dass diese mit fast der Hälfte deutlich eher zu einer optimistischen Einschätzung der Übernahmechancen neigen, während nur 17 Prozent der gemeinnützigen Arbeitgeber die Übernahmechancen optimistisch beurteilen.
Rahmenbedingungen für das Modellprojekt „Passiv-Aktiv-Tausch“
Die Maßnahme baut auf der Förderung nach § 16e SGB II (Förderung von Arbeitsverhältnissen) auf und sieht für Arbeitgeber einen Zuschuss von bis zu 75 Prozent des Arbeitsentgelts vor. Voraussetzung hierfür ist, dass die Geförderten langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 SGB III sind und in ihren Erwerbsmöglichkeiten durch mindestens zwei weitere in ihrer Person liegende Vermittlungshemmnisse besonders schwer beeinträchtigt sind. Darüber hinaus müssen sie für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten verstärkte vermittlerische Unterstützung erhalten haben, und es darf eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die Dauer der Zuweisung ohne die Förderung voraussichtlich nicht möglich sein.
Außerdem wurde den Arbeitgebern pro Gefördertem und Monat ein pauschaler Zuschuss in Höhe von 400 € vom Stadt- oder Landkreis gewährt, der aus Landesmitteln finanziert wurde. Schließlich wurde vom Stadt- oder Landkreis eine Betreuungsfachkraft bereitgestellt, die sowohl den Arbeitgebern als auch den PAT-Geförderten als ständige Ansprechperson helfend und begleitend zur Verfügung stehen soll. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, gewährt das Land Baden-Württemberg den Stadt- und Landkreisen Zuschüsse von insgesamt 600 € pro Monat und Gefördertem.
Seit Projektstart im Oktober 2012 sind rund 500 Personen auf diese Weise gefördert worden, sowohl bei Arbeitgebern aus der Privatwirtschaft als auch bei kommunalen Beschäftigungsträgern und anderen gemeinnützigen Arbeitgebern. Insgesamt beteiligen sich 40 Jobcenter (JC) in Baden-Württemberg an dem Programm. Darunter befinden sich auch elf zugelassene kommunale Träger (zkT).
Mit dem Modellprojekt sind zwei zentrale Zielsetzungen verbunden:
- Die Beschäftigungschancen der Projektteilnehmer langfristig verbessern.
- Den Sinn eines Passiv-Aktiv Tauschs durch eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe der Geförderten belegen.
Zwischenbericht der Programmevaluation „Modellhafte Entwicklung eines sozialen Arbeitsmarktes, Passiv-Aktiv-Tausch (PAT)“
Die wissenschaftliche Begleitung hat folgende Datenquellen erhoben und ausgewertet:
- Befragung der am Programm beteiligten Jobcenter,
- Befragung der Kommunen, in deren Zuständigkeitsbereich sich eine gemeinsame Einrichtung (gE) am Programm beteiligt,
- Befragung von geförderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
- Befragung von Betrieben mit geförderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
- Prozessdaten der Bundesagentur für Arbeit,
- Fallstudien an fünf ausgewählten Standorten.
Auszüge aus der Evaluation:
„(…) Einstellungen der an der Umsetzung beteiligten Akteure/-innen zum sozialen Arbeitsmarkt und PAT
Unter den Jobcentern und Kommunen lassen sich sowohl explizite Befürworter/-innen als auch dezidierte Skeptiker/-innen des sozialen Arbeitsmarkts im Allgemeinen und des PAT im Besonderen finden.
Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Widerspruch zwischen der Einrichtung einer dauerhaft geförderten Beschäftigung und dem Aktivierungsauftrag des SGB II wahrnehmen, die Zielgruppe des PAT auch über andere Wege als eine öffentlich geförderte Beschäftigung für vermittelbar halten und keine grundsätzliche Notwendigkeit für eine langfristige Beschäftigungsförderung im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik sehen. Fast die Hälfte aller Jobcenter hat einer dieser drei Aussagen zugestimmt. (…)
Am geringsten fällt die Zustimmung zu der Aussage aus, dass das bestehende Förderinstrumentarium für die Zielgruppe des PAT ausreiche. Diese Einschätzung wird in noch stärkerem Maße von den Integrationsfachkräften und den Geförderten selbst aufgrund der erfolglosen Vermittlungsbemühungen in der Vergangenheit geteilt.
Aus Sicht eines großen Teils der Jobcenter und einer deutlichen Mehrheit der Kommunen zielt das Programm PAT den Befragungsergebnissen zufolge weniger auf die langfristige Etablierung geförderter Beschäftigungsmöglichkeiten für chancenlose Langzeitarbeitslose denn mehr auf eine mittelfristige Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Mit anderen Worten variiert die Einstellung zu einem sozialen Arbeitsmarkt und die Einordnung des PAT in den „Instrumentenkasten“ des SGB II innerhalb der Jobcenter und Kommunen erheblich, ein Eindruck, der sich auch in den Fallstudien bestätigt. (…) Es werden sowohl für als auch gegen PAT bzw. einen sozialen Arbeitsmarkt ökonomische Argumente bemüht. Die Befürworter/-innen sehen in einem „echten“ Passiv-Aktiv-Transfer eine weitgehend kostenneutrale Möglichkeit der Förderung marktferner Erwerbsloser, zumal angesichts potenzieller und bisher nicht beachteter Folgekosten von Langzeitarbeitslosigkeit, etwa innerhalb des Gesundheitssystems. Kritiker/-innen hingegen bezweifeln nicht nur den Sinn und die Machbarkeit eines Passiv-Aktiv-Transfers, sondern geben zudem zu bedenken, dass man aktuell im Rahmen des PAT eine kleine Gruppe von Personen mittels eines kostenintensiven Instruments fördere, während gleichzeitig der verfügbare Eingliederungstitel erheblich gesunken sei. Letzteres stellt eine Gerechtigkeitsfrage mit Blick auf die Verteilung knapper Fördermittel dar, die sich auch für Befürworter des PAT-Programms mit Blick auf dessen Finanzierung stellt. (…)
Zustandekommen der Beschäftigungsverhältnisse und Allokation der Teilnehmer/-innen
(…) Aus der Arbeitgeberbefragung geht in diesem Zusammenhang hervor, dass nicht-private Betriebe signifikant häufiger als private angeben, die Initiative für das Zustandekommen der Beschäftigungsverhältnisse sei von ihnen ausgegangen und sie hätten gleichzeitig die Auswahlentscheidung beeinflusst. Dabei spielen die Betriebsgröße und das Motiv zur Beteiligung am Programm keine systematische Rolle. (…) Eine Erklärung hierfür könnte darin bestehen, dass die Jobcenter bei privatwirtschaftlichen Arbeitgebern von vornherein eine auf deren Interessen und Motivlagen ausgerichtete Auswahl an Geförderten treffen, sodass ein Einfluss auf diesen Prozess seltener notwendig ist, was durch Beobachtungen in den Fallstudien tendenziell gestützt wird. Möglicherweise ist allerdings auch die informelle Bande zwischen Jobcentern und nicht-privaten Arbeitgebern (z.B. aufgrund intensiverer Kooperationen in der Vergangenheit) größer, sodass es nicht-privaten Arbeitgebern leichter fällt, die Auswahlentscheidung zu beeinflussen und Beschäftigungsverhältnisse eigeninitiativ zustandekommen zu lassen.
Insgesamt wird die Auswahlentscheidung der PAT-Geförderten in den Jobcentern deutlich aufwendiger und somit aller Voraussicht nach auch sorgfältiger durchgeführt als dies noch beim BEZ der Fall war. So erfolgt beim Programm PAT mehrheitlich eine Poolbildung, was beim BEZ (auf Bundesebene) lediglich in einer Minderheit aller Grundsicherungsstellen der Fall war. (…)
Charakteristika der geförderten Beschäftigungsverhältnisse
Den Angaben der Betriebe zufolge ist in der Mehrheit aller Fälle für die ausgeübten Tätigkeiten keine abgeschlossene Berufsausbildung erforderlich, auch wenn in der Privatwirtschaft signifikant häufiger eine solche Qualifikation erwartet wird, so dass die qualifikatorischen Anforderungen an die Geförderten hier systematisch höher ausfallen. Von den Jobcentern scheinen somit tendenziell leistungsfähigere Geförderte für die Besetzung solcher Stellen ausgesucht worden zu sein, womöglich als Zugeständnis an die Anforderungen profitorientierter Arbeitgeber. (…) Die geförderten Beschäftigungsverhältnisse umfassen nach Aussage der Beschäftigten überwiegend handwerkliche Tätigkeiten, Reinigungsarbeiten sowie Arbeit an oder mit Maschinen. Demgegenüber kommen der großen Mehrheit der Befragten zufolge Küchenarbeit, Garten- und Landschaftspflege, Fahrertätigkeiten sowie Botendienste an einem durchschnittlichen Arbeitstag nie oder nur selten vor. Ähnliches gilt auch für Bürotätigkeiten sowie Arbeiten in Lager und Versand.
Die Tätigkeiten der Geförderten sind (…) geprägt von Routinetätigkeiten und werden zudem in der Mehrheit kooperativ mit Kollegen/-innen sowie im Kontakt mit Kunden/-innen und Auftraggebern erledigt. Letzteres tritt signifikant häufiger bei Frauen auf, so dass sich auch im PAT geschlechtsspezifische Berufsbilder reproduzieren, etwa durch überproportionale Vermittlungen von Frauen in den Verkauf, wie sich dies exemplarisch in den Fallstudien bestätigt. Weiterhin übt fast die Hälfte der Geförderten die zugewiesenen Tätigkeiten zumindest in Teilen selbstständig aus.
In mehr als zwei Dritteln der Fälle hat sich zudem der anfänglich zugewiesene Tätigkeitsbereich erweitert, was sich in etwa mit den Einschätzungen der Arbeitgeber deckt und signifikant häufiger der Fall ist, wenn das Beschäftigungsverhältnis bereits vorher bestand. Diese Personengruppe, bei der es sich vermutlich um vorherige AGH-Teilnehmer/-innen handelt, ist somit schon länger im gleichen Betrieb und hatte daher mehr Zeit sich zu bewähren und ihren Aufgabenbereich zu erweitern. (…)
Erfahrungen mit und Bewertung von geförderten Beschäftigungsverhältnissen
Betrachtet man abschließend die bilanzierenden Einschätzungen zur Beschäftigung an sich, so geben fast alle Befragten an, ein gutes Verhältnis zu den Kollegen/-innen zu haben, von diesen wie auch von Vorgesetzten mit Respekt behandelt zu werden und einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Die Geförderten werden somit offenbar nicht als „Beschäftigte 2. Klasse“ behandelt, sondern sind in der Regel gut in das betriebliche Gefüge integriert. (…)
Insgesamt sind die Erfahrungen der PAT-Geförderten (…) durchweg als positiv bis sehr positiv zu erachten. Dementsprechend fällt auch die Gesamtbeurteilung der Arbeitnehmer/-innen zur Sinnhaftigkeit ihrer Beschäftigung aus. Demnach bezeichnet die übergroße Mehrheit der Befragten diese als sehr sinnvoll oder als sinnvoll. (…)
Auch aus Sicht der Betriebe überwiegen insgesamt die positiven Wahrnehmungen. So integrieren sich die Geförderten der standardisierten Befragung zufolge nicht nur in der überwiegenden Mehrheit in die betriebliche Gemeinschaft, sondern ordnen sich überwiegend gut in die bestehenden Hierarchien ein, erweisen sich eher als Hilfe denn als Belastung sowie als leistungsfähiger als erwartet. Gleichwohl bestätigen die Betriebe in der Befragung auch in der großen Mehrheit, dass die Geförderten einen besonderen Bedarf an Anweisung und Anleitung aufweisen und ihr Einsatz nur dank der Förderung rentabel sei. (…)
Wesentliche Voraussetzungen für eine Weiterbeschäftigung sind laut Interviews mit Arbeitgebern zudem ein Rückgang des Bedarfs an Anleitung und Kontrolle der geleisteten Arbeit der Geförderten, die selbstständige Strukturierung der Arbeit durch die Geförderten sowie ein möglichst stabiles Leistungsniveau. Gelingt eine solche Entwicklung, werden den Geförderten sukzessive neue und zusätzliche Aufgaben durch die Arbeitgeber übertragen, so dass mittelfristig ein hinreichend wertschöpfender Einsatz und damit eine ungeförderte Weiterbeschäftigung möglich werden. (…)“
Quelle: IAB Regional; Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH