Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf des Nationalen Sozialberichts 2015

Zum Entwurf des Sozialberichts 2015 nimmt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) Stellung. Sie bemängelt, dass im Bericht ein Hinweis auf den flächendeckenden Aufbau von „Jugendberufsagenturen“ fehlt und fordert die Bundesregierung auf, konzeptionelle Eckpunkte vorzulegen und eine gesetzliche Verpflichtung zur rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit anzustreben. Die besonderen Sanktionsregeln für Jugendliche im SGB II sollen abgeschafft werden. Die im Koalisionsvertrag verankerte „Ausbildungsgarantie“ wird begrüßt, aber gleichzeitig eine zügige Umsetzung angemahnt. Im Zuge der „Ausbildungsgarantie“ müssen alle Jugendlichen ein Angebot zur Ausbildung unterbreitet werden.

Gemeinsam in Europa gegen Armut und Ausgrenzung

Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf gemeinsame Ziele im Bereich Sozialschutz und soziale Inklusion geeinigt. Mit der Strategie „Europa 2020“ hat auch Deutschland sich verpflichtet, Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Der Nationale Sozialbericht legt zur Zielerreichung Rechenschaft ab. Die Bundesregierung veröffentlicht darin Informationen zu erbrachten Sozialleistungen und deren Finanzierung und bietet einen Überblick über Maßnahmen und Vorhaben der Gesellschafts- und Sozialpolitik.

Auszüge aus der „Stellungnahme der BAGFW zum Entwurf des Nationalen Sozialberichts 2015„:

Armutsrisiko und Ungleichheit in Deutschland nehmen zu

“ (…) Das Bundesarbeitsministerium betont einleitend die gute Arbeitsmarktsituation und verweist auf den Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und die rückläufige registrierte Arbeitslosigkeit. Bei dieser Gesamtschau bleibt die Problematik der hohen und verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit ebenso wie das Ausmaß des verfestigten Langzeitleistungsbezugs in der Grundsicherung für Arbeitsuchende unerwähnt, obwohl diese Probleme im Berichtszeitraum bundespolitisch und auch in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert worden sind. (…) Trotz einer insgesamt rückläufigen Zahl der Arbeitslosen ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen zuletzt auf über 1,3 Mio. Menschen angestiegen. (…) Besonders kritisch ist auch der Umstand zu werten, dass Ende 2012 zwei Drittel der mehr als 4 Mio. erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bereits über zwei Jahre im Leistungsbezug waren; jede(r) vierte sogar durchgängig seit 2005.

Sorge bereitet auch die Entwicklung des Armutsrisikos. Gesamtwirtschaftlicher Erfolg und die Zunahme privaten Reichtums führen nicht mehr dazu, dass das Armutsrisiko in Deutschland geringer wird, sondern das Armutsrisiko und Ungleichheit nehmen zu. (…)

Beiträge zur Erreichung der Ziele der Strategie Europa 2020 im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung

Die BAGFW sieht weiterhin Korrekturbedarf an der Stelle, an der die Bundesregierung ihren Erfolg bei der die Verminderung von Armut und sozialer Ausgrenzung innerhalb der EU-2020-Strategie primär über die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit misst. Die Bundesregierung hat sich im Bereich „soziale Inklusion“ die Senkung der Zahl der Langzeitarbeitslosen um 20 Prozent gegenüber 2008 vorgenommen. Dieses Ziel ist erreicht. Die Europäische Kommission hat Deutschland aber in den länderspezifischen Empfehlungen von 2013 und 2014 unzureichende Fortschritte bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt, bei der Anhebung des Bildungsniveaus benachteiligter Gruppen sowie bei der Umwandlung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen, wie Minijobs, in nachhaltigere Beschäftigungsformen bescheinigt. (…)

Handlungsbedarf sehen die Verbände bei der Regelbedarfsermittlung. Die BAGFW bewertet die vorgenommene Abgrenzung der Referenzgruppen und die Herausnahme einzelner Konsumausgaben und ihre Einstufung als nicht verbrauchsrelevant nach wie vor kritisch. Dringenden Handlungsbedarf sehen die Verbände bei der Berechnung der Kinderregelbedarfe. Viele der für Kinder und Jugendliche als relevant festgeschriebenen Verbrauchsausgaben sind aufgrund der geringen Stichprobenfälle der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe statistisch nicht hinreichend signifikant oder werden wie beim Teilhabedarf zweckgebunden unter abschließender Aufzählung der Teilhabemöglichkeiten mit einer Pauschale berücksichtigt. (…)

Die BAGFW ist der Auffassung, dass das Reformvorhaben zur „Rechtsvereinfachung im SGB II“ dazu genutzt werden sollte, Verbesserungen bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II auf den Weg zu bringen. Zumindest sollten die Leistungen des BuT gleichzeitig mit dem ALG II (Globalantrag) beantragt werden können. Die Wohlfahrtsverbände würden es außerdem begrüßen, wenn die Bundesregierung Ausführungen in den Nationalen Sozialbericht aufnehmen würde, wie sie den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 23. Juli 2014 zur Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und XII nachkommen will, auch um eine zügige Umsetzung der angemahnten Korrekturen anzuzeigen. (…)

Die BAGFW regt (…) dringend eine gesetzliche Novellierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente im Zuge des bevorstehenden Neunten SGB-II-Änderungsgesetzes an. An einigen Stellen fehlen die passenden Förderinstrumente für Langzeitarbeitslose. Der Reformbedarf betrifft u.a. die Arbeitsgelegenheiten. Arbeitsgelegenheiten sind sinnvoll, um sehr arbeitsmarktferne Menschen (…) sozial zu stabilisieren und ihre Beschäftigungsfähigkeit schrittweise zu verbessern. Die derzeitige Begrenzung der Förderdauer auf zwei Jahre innerhalb von fünf Jahren ist aufzuheben, da sie zum Ausschluss gerade derjenigen Leistungsberechtigten führt, die längerfristige Unterstützung benötigen, und die Wirkung dieses Instruments auf diese Weise ins Leere läuft. Bei den Arbeitsgelegenheiten muss es zukünftig wieder möglich sein, sozialpädagogische Begleitung oder arbeitsbegleitende Qualifizierung direkt mit dem Instrument zu verknüpfen, ohne diese begleitenden Angebote umständlich zukaufen zu müssen. (…)

Unterstützung Jugendlicher beim Berufseinstieg

Die Wohlfahrtsverbände sehen wie auch die Bundesregierung noch großen Handlungsbedarf bei der Unterstützung Jugendlicher am Übergang von Schule und Beruf. Nach wie vor sind rund 1,4 Mio. junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsausbildung. Berichtszeitraum des Berufsbildungsberichts 2014 ist die Zahl der Ausbildungsverträge (…) zurückgegangen. Die demographische Entwicklung lässt dies nicht begründen, da nach wie vor eine große Zahl unversorgter Jugendlicher zu verzeichnen ist. Immer noch gelangen jährlich rund 270.000 Schulabgänger/innen in Maßnahmen des Übergangsystems. Die Wohlfahrtsverbände unterstützen deshalb die Bemühungen der Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag verankerte „Ausbildungsgarantie“ rasch umzusetzen und hierfür u.a. zügig mit der Assistierten Ausbildung zu starten. Letztlich muss es im Zuge der Ausbildungsgarantie gelingen, mehr Ausbildungsplätze – betriebliche und außerbetriebliche – bereitzustellen, damit allen Jugendlichen ein Angebot zur Ausbildung unterbreitet werden kann.

Die Wohlfahrtsverbände sehen es zugleich mit Sorge, dass Jugendliche im SGB II-Leistungsbezug in der Förderung zusehends ins Hintertreffen geraten. Die mit Inkrafttreten der Hartz-Reformen initiierte intensive Förderung von Jugendlichen ist mittlerweile aufgegeben worden. (…) In den ersten Jahren des SGB II haben die Jobcenter die Förderung von Jugendlichen kontinuierlich aufgebaut, so dass im Jahr 2008 knapp 37 Prozent aller Jugendlichen eine Förderung erhalten haben (wobei Arbeitsgelegenheiten hierbei eine große Rolle eingenommen haben). Heute sind es nur noch 25 Prozent der Jugendlichen. Die Verbände fordern, das Förderangebot auszubauen und qualitativ hochwertig (in Richtung qualifizierender Maßnahmen und gemeinsamer Angebote mit den Trägern der Jugendhilfe) auszugestalten. Im Zuge des bevorstehenden Neunten SGB II-Änderungsgesetzes müssen die besonderen Sanktionsregelungen für Jugendliche abgeschafft werden. Sie haben sich für eine gute Förderung nicht bewährt, sondern im Gegenteil einige Jugendliche ins soziale Abseits gedrängt. (…)

Im Entwurf des Nationalen Sozialberichts fehlt ein Hinweis auf den im Koalitionsvertrag angekündigten flächendeckenden Aufbau von „Jugendberufsagenturen“, obwohl im Berichtszeitraum auch unter Beteiligung der Bundesregierung schon ein intensiver Diskussionsprozess begonnen hat. Die damit intendierte Zusammenarbeit von Jugendhilfe, Grundsicherung und Arbeitsförderung ist für eine gute Förderung von Jugendlichen sehr wichtig. (…) Die BAGFW schließt sich den Forderungen des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit zum verbindlichen Aufbau einer Zusammenarbeit der Akteure in den Jugendberufagenturen an. Die Bundesregierung sollte in Abstimmung mit Ländern, Kommunalen Spitzenverbänden und den auf Bundesebene vertretenen freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe konzeptionelle Eckpunkte für die Etablierung der „Jugendberufsagenturen“ vorlegen und eine gesetzliche Verpflichtung zur rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit anstreben. (…) “

Quelle: BAG FW

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