Was versteht man unter Inklusion und welche Rolle spielt sie in der Jugendsozialarbeit?

Auszüge aus der Veröffentlichung
„Inklusion in der Katholischen Jugendsozialarbeit in Bayern – Eine Annäherung“:
“ Versteht man den Begriff der Inklusion als Vision einer Gesellschaft, in der ihre Mitglieder in allen Bereichen selbstverständlich teilnehmen können und die Bedürfnisse aller Mitglieder ebenso selbstverständlich berücksichtigt werden, als Vision einer Gesellschaft, in der wertgeschätzt wird, dass alle Menschen unterschiedlich sind und dass jede Person mitgestalten und mitbestimmen darf, als Vision einer Gesellschaft, in der sich die Gesellschaft ihren Mitgliedern anpasst, und nicht bestimmte Gruppen an die Gesellschaft angepasst werden sollen, wird der gesellschaftliche Perspektivenwechsel deutlich, der im Inklusionsbegriff mitschwingt. Inklusive Pädagogik „nimmt Vielfalt (Diversität) in Bildung und Erziehung wahr und ernst, begegnet ihr mit Wertschätzung und versteht sie als Normalität. Inklusive Pädagogik definiert keine unterschiedlichen Gruppen von Schülerinnen und Schülern …, sondern sieht Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen und Bedürfnissen“.

Macht Inklusion die Jugendsozialarbeit entbehrlich?
Ausgehend von einem konsequent verstandenen Inklusionsbegriff, könnte die Frage, ob Inklusion die Angebote der Jugendsozialarbeit entbehrlich macht, mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. So ist in einem vollständig inklusiven Bildungssystem ein paralleles System, das sich um die Exkludierten und Segregierten kümmert, notwendigerweise ein Paradoxon. Ein konsequent gedachtes inklusives Bildungssystem, in dem die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes bzw. jedes einzelnen Jugendlichen wahrgenommen und befriedigt werden, darf in eben dieser Konsequenz zu keinem Ausschluss führen, der einer anschließenden „Bearbeitung“ in Angeboten und Maßnahmen der Jugendsozialarbeit bedarf.

Umgekehrt bedeutet dies allerdings nicht, dass in einem inklusiven System sozialpädagogische Kompetenzen, Konzepte und Kenntnisse überflüssig sind. Ganz im Gegenteil: Diese sind in einem inklusiven System wichtiger Bestandteil und zwingend erforderlich, um Inklusion zu gewährleisten. Entsprechende Konzepte sind dann aber eben Bestandteil dieses inklusiven Systems und keine nachfolgende Maßnahmen, die eingesetzt werden, nachdem das Kind bereits in den Brunnen bzw. aus dem System gefallen ist.

Jugendsozialarbeit ist kein Auslaufmodell.
Allerdings: Unter den aktuell gegebenen Rahmenbedingungen ist ein konsequent gedachtes inklusives System eher eine gesellschaftliche Vision oder gar Utopie als eine kurzfristig umsetzbare Strategie. Der beschriebene gesellschaftliche Perspektivenwechsel ist so umfangreich, dass die Ausgangsfrage mittel- und auch langfristig mit einem deutlichen „Nein“ beantwortet werden muss. Auch in nächster und weiterer Zukunft werden die besonderen Angebote der Jugendsozialarbeit benötigt um benachteiligten und von sozialem Ausschluss betroffenen Jugendlichen eine Perspektive zu ermöglichen und die vorhandenen Ressourcen junger Menschen zu stärken. …

Inklusion kann einen „kulturellen Rahmen“ für die Jugendsozialarbeit bieten
Unter den aktuell gegebenen Rahmenbedingungen geht es derzeit also (…) darum, wie der Grundgedanke inklusiver Pädagogik in der Jugendsozialarbeit verstanden und umgesetzt werden kann. Inklusion kann dabei einen kulturellen Rahmen für die Jugendsozialarbeit bieten. „Kultureller Rahmen“ wird hierbei verstanden als Haltung, Wertvorstellung oder Maßstab, an dem sich die Jugendsozialarbeit ausrichten kann. … So bietet der Inklusionsbegriff eine Hintergrundsfolie, vor der das eigene Handeln und die eigene Haltung bewertet werden und eigene (unbeabsichtigte) Ausgrenzungsmechanismen reflektiert werden können. …

Jugendsozialarbeit ist „Expertin“ in der Arbeit mit sozial Exkludierten
Jugendsozialarbeit dient der Stabilisierung und der bedarfsgerechten und individuellen Förderung junger Menschen in sehr schwierigen persönlichen Lebenslagen und vermittelt ihnen oft erstmals in ihrem Leben Erfolge und Handlungsoptionen. Im Rahmen der aktuellen Debatte um Inklusion kann Jugendsozialarbeit daher als Expertin in der Arbeit mit jungen Menschen, die von sozialer Exklusion betroffenen sind, verstanden werden. „Mit dem Perspektivenwechsel, den der Inklusionsbegriff impliziert, müssen die Institutionen viel stärker als ein organisationaler Handlungsrahmen verstanden werden, der einerseits aktiv von den Menschen mitgestaltet wird, wodurch sie an ihm teilhaben, und der andererseits sehr flexibel auf die verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen Bedürfnissen eingehen kann, ohne sie wieder in separate Maßnahmen zuweisen zu müssen. Wenn die Jugendsozialarbeit nicht hinter diesen Stand zurückfallen und die Problematik der verwehrten gesellschaftlichen Teilhabe ihrer Adressaten grundlegend aufgreifen will, sollte sie zukünftig verstärkt an professionellen Handlungskonzepten für eine inklusive Pädagogik des Übergangsarbeiten, die wiederum eine flexible, regional abgestimmte Hilfe- bzw. Unterstützungsstruktur erfordert“ …

Katholische Jugendsozialarbeit in Bayern ist inklusiv

Ein so beschriebenes Verständnis von Inklusion in der Jugendsozialarbeit bietet eine gute Grundlage für inklusives Handeln auch in der Katholischen Jugendsozialarbeit in Bayern. Die Träger und Einrichtungen Katholischer Jugendsozialarbeit in Bayern gestalten in diesem Sinne inklusive Angebote und Maßnahmen für alle ihre Zielgruppen. Die in der KJS Bayern zusammengeschlossenen kirchlichen Verbände und Organisationen sehen sich dabei insbesondere einem christlichen Menschenbild verpflichtet, in dem keine Form von Ausgrenzung toleriert, die Stärke jedes Menschen wertgeschätzt und echte, gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen gelebt wird.
Katholische Jugendsozialarbeit in Bayern trägt in allen ihren Handlungsfeldern schon jetzt zur Inklusion bei. Beispielhaft bedeutet dies … ## in Angeboten der Arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit, dass berufsorientierende, berufsvorbereitende, ausbildungsunterstützende und ausbildende sowie berufsschulische Maßnahmen stets auf eine Einmündung in den allgemeinen Arbeitsmarkt ausgerichtet sind,
## in der praktischen wie politischen Arbeit, dass Wertschätzung von und Vermittlung in Werker- und Fachpraktiker-Berufe(n) aktiv gefördert werden,
## in der Jugendsozialarbeit an Schulen, dass die Arbeit der JaS-Fachkräfte zu einem gelingenden Zusammenleben in der Schulfamilie beiträgt und den einzelnen Schüler(inne)n mit sozialpädagogischem Förderbedarf Wege zur Teilhabe gebahnt werden,
## in der migrationsbezogenen Jugendsozialarbeit, dass die Jugendmigrationsdienste Jugendlichen mit Migrationshintergrund Beteiligung am Bildungs- und Ausbildungssystem ermöglichen und zu erlebbarer Vielfalt in der Gesellschaft beitragen,
## im Jugendwohnen, dass auch bauliche Voraussetzungen geschaffen werden, um jedem jungen Menschen mit Wohn-Bedarf den ganz praktischen Zugang zu den Einrichtungen des Jugendwohnens mit ihren vielfältigen Angeboten zu ermöglichen. Hierfür sind vielerorts noch erhebliche Investitionen notwendig.
Die gedanklichen Ausarbeitungen zum Inklusionsbegriff und seiner Rolle in der Jugendsozialarbeit gehen zurück auf Tim Rietzke: Inklusion und Jugendsozialarbeit. Inklusion in der Jugendsozialarbeit? Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit Nordrhein-Westfalen, Juni 2012

Quelle: LAG KJS Bayern; LAG JSA NRW

Dokumente: Inklusion_Annaeherung_KJS_Bayern_Oktober_2013-1.pdf

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