Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund

ABSCHLUSSBERICHT Auf Grundlage von Geschäftsdaten, von repräsentativen telefonischen Befragungen und von qualitativen Interviews mit Betroffenen und Fallmanagern wurden die Wirkungen der ‚Grundsicherung für Arbeitsuchende‘ auf Migrant/innen untersucht. Ihr Anteil an allen ALG II Beziehenden beträgt im bundesweiten Durchschnitt 28 Prozent. Im Vergleich zu denjenigen ohne Migrationshintergrund sind sie im Durchschnitt jünger und haben häufiger keinen, aber auch häufiger höhere (Aus-)Bildungsabschlüsse. Die häufig fehlende Anerkennung ausländischer Abschlüsse wirkt sich auf die Arbeitsmarktchancen ebenso negativ aus wie das Fehlen jeglicher Ausbildung. Migrant/innen erhalten bei den Grundsicherungsstellen im Vergleich zu Deutschen ohne Migrationshintergrund mehr Beratungsgespräche, schließen jedoch seltener Eingliederungsvereinbarungen ab und nehmen seltener an Maßnahmen teil. Einige Herkunftsgruppen werden deutlich häufiger mit Sanktionen belegt, andere Herkunftsgruppen deutlich seltener. Die Studie wurde vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen koordiniert. An der Forschungsarbeit beteiligt waren neben dem IAQ das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die Universität Magdeburg, Stiftung Zentrum für Türkeistudien, das Team Dr. Kaltenborn, TNS Emnid und Prof. Dr. Dorothee Frings. Auszüge aus dem Abschlussbericht der Untersuchung ‚Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund‘: „LEBENSLAGEN IM VERGLEICH Die Mehrheit der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Migrationshintergrund stammt aus Osteuropa einschl. GUS (vor allem in Ostdeutschland) sowie aus der Türkei (vor allem in Westdeutschland). Die Aufenthaltsdauern derer aus Osteuropa und den GUS-Staaten sind deutlich kürzer als die von Migrant/innen aus der Türkei und den südeuropäischen Anwerbeländern. … Die Hilfequote – der Anteil einer Bevölkerungsgruppe im erwerbsfähigen Alter, die Leistungen nach dem SGB II beziehen – ist am höchsten unter den Migrant/innen aus Osteuropa/GUS (einschließlich [Spät-]Aussiedler/innen), gefolgt von Migrant/innen aus der Türkei. … Im Vergleich zu Migrant/innen in der Bevölkerung insgesamt sprechen erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund im Haushalt und im Freundeskreis seltener Deutsch, wobei dieser Unterschied bei Frauen stärker zu Tage tritt als bei Männern. … Erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund sind im Durchschnitt jünger und haben häufiger keinen, aber auch häufiger höhere Schul- und Be-rufsabschlüsse … erworben als erwerbsfähige Hilfebedürftige ohne Migrationshintergrund. Hierin spiegelt sich, dass mittlere Berufsabschlüsse, wie sie das deutsche Duale System der Berufsausbildung vermittelt, in den Herkunftsländern geringere oder keine Bedeutung haben. Die fehlende Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen behindert die Erwerbsintegration von Migrant/innen und trägt damit zur Verfestigung ihrer Hilfebedürftigkeit bei. … Die Hilfequote ausländischer Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 63 Jahre) wie auch bei jenen mit Migrationshintergrund lag bei 17 Prozent bis 19 Prozent, bei Deutschen bzw. Personen ohne Migrationshintergrund war sie nur gut halb so hoch. In Ostdeutschland liegt der Anteil der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter durchgängig doppelt bis dreimal so hoch wie in Westdeutschland. Differenziert nach Altersgruppen bezieht in der zweiten PASS-Welle sogar ein Drittel aller Mitgrantinnen und Migranten im Alter bis 24 Jahre Arbeitslosengeld II … Bei der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund ist es lediglich ein Zehntel. … WIE SIND DIE GRUNDSICHERUNGSSTELLEN HINSICHTLICH DER ERWERBSINTEGRATION VON MIGRANTEN/INNEN AUFGESTELLT? Die Führungs- und Fachkräfte der im Rahmen der Fallstudien untersuchten Grundsicherungsstellen sind sich der Tatsache bewusst, dass Migrant/innen einen relevanten Anteil ihres Kundenkreises bilden und teilweise besondere Unterstützungsbedarfe aufweisen. Als statistische Größe steht ihnen jedoch nur das Merkmal „Staatsangehörigkeit“ zur Verfügung, und auch mit diesem Merkmal wird nicht strategisch gearbeitet. Informationen über die Zuordnung zu Betreuungsstufen oder zum spezialisierten Fallmanagement, über die Zuweisung in Maßnahmen oder über erfolgte Erwerbsintegrationen liegen weder nach Herkunftsgruppen noch für Ausländer/innen insgesamt vor. Es besteht große Zurückhaltung, derartige Betrachtungen zu vertiefen, da dieses zu Stigmatisierungen oder zu Diskriminierungsvorwürfen in der einen oder anderen Richtung führen könnte. Statt auf Controllingdaten verlässt man sich auf die normative Grundorientierung der Gleichbehandlung. Abgesehen von der Zuweisung in Sprachkurse bzw. in Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vermeiden es die Grundsicherungsstellen, Migrant/innen als eigenständige Zielgruppe der Aktivierung und Arbeitsförderung zu behandeln. Der gesetzliche Integrationsauftrag des SGB II wird im Hinblick auf Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund von den Grundsicherungsstellen nicht als Bestandteil von „Integrationspolitik in Deutschland“ verstanden, sondern als ausschließlich arbeitsmarktpolitische Eingliederungspolitik, die zufällig auf Migrant/innen trifft. Soweit es in den Grundsicherungsstellen eine(n) „Migrationsbeauftragte (n)“ gibt, hat diese Person zusätzlich zur normalen Aufgabenlast die Funktionen unterschiedlich definierter Informationsbündelung und Koordination inne, nimmt aber nirgends die Aufgaben eines Fürsprechers für die Belange der Kunden mit Migrationshintergrund oder des strategischen integrationspolitischen Planers wahr. … INTENSITÄT UND INTEGRATIONSWIRKUNGEN VON AKTIVIERUNG … Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund haben mehr Beratungsgespräche bei den Grundsicherungsstellen als Hilfebedürftige ohne Migrationshintergrund, und hierbei sind häufiger mehrere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft beteiligt. Bezogen auf einen Katalog von Themen, die für alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen relevant sind, werden jedoch mit Migrant/innen in den Beratungsgesprächen weniger Themen angesprochen. Es kommt auch seltener zum Abschluss von Eingliederungsvereinbarungen mit Migrant/innen. … Erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund geben häufiger als diejenigen ohne Migrationshintergrund an, ein Stellen- oder Ausbildungsangebot erhalten zu haben dieses gilt für Männer ebenso wie für Frauen jeweils im Vergleich zu Männern bzw. Frauen ohne Migrationshintergrund. Jedoch erhielten Männer häufiger ein Ausbildungsplatzangebot oder ein Angebot für eine Vollzeitstelle als Frauen, Frauen dementsprechend häufiger ein Teilzeitangebot. … Erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund berichten nicht generell häufiger oder seltener von Sanktionen als Hilfebedürftige ohne Migrationshintergrund, sondern dieses differiert in auffälliger Weise nach der Herkunft: Personen mit türkischer oder südeuropäischer Herkunft werden deutlich häufiger sanktioniert als Deutsche ohne Migrationshintergrund, (Spät-) Aussiedler/innen und Personen aus Mittel- und Osteuropa einschl. GUS dagegen deutlich seltener. Dieses gilt sowohl in deskriptiver Betrachtung als auch nach Kontrolle für sozio-demographische Merkmale die Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen sind also nicht durch z.B. unterschiedliche Altersstrukturen oder unterschiedliche Verteilung nach Geschlechtern zu erklären. … MASSNAHMEFÖRDERUNG UND IHRE WIRKUNGEN … Ausländer nehmen signifikant seltener als Deutsche ohne erkennbaren Migrationshintergrund an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil für Eingebürgerte und (Spät-)Aussiedler ist dagegen ein derartiger Unterschied nicht festzustellen. Unabhängig vom Migrationshintergrund werden Männer deutlich stärker gefördert als Frauen. Die Förderung konzentriert sich auf Personen mit mittlerem Schulabschluss, die vor dem Zugang in den SGB II-Leistungsbezug am Arbeitsmarkt partizipiert haben, also mutmaßlich dem Arbeitsmarkt näher stehen. Bezüglich des Maßnahmemix ist festzustellen, dass die beiden am häufigsten eingesetzten Maßnahmen unabhängig vom Migrationshintergrund Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante („Ein-Euro-Jobs“) und Trainingsmaßnahmen zur Eignungsfeststellung sind. … Im Hinblick auf das eingesetzte Instrumentarium zeigen die Trainings- und die Weiterbildungsmaßnahmen positive Wirkungen. Hierbei sind die Effekte auf die Aufnahme einer Beschäftigung in der Regel stärker als auf den Abgang aus der Hilfebedürftigkeit. Enttäuschend sind hingegen die festgestellten Wirkungen der Ein-Euro-Jobs und der Vermittlung durch Dritte. Während letztere überwiegend erfolglos ist, aber keine negativen Auswirkungen auf die Chancen der Erwerbsintegration nach Beendigung der Maßnahme hat, wirken Ein-Euro-Jobs auch nach Beendigung im begrenzten Beobachtungszeitraum dieser Untersuchung deutlich negativ sowohl auf die Beschäftigungschancen als auch auf den Abgang aus Hilfebedürftigkeit. Dieses Ergebnis gilt unabhängig vom Vorliegen eines Migrationshintergrundes. Die untersuchten Maßnahmen ähneln sich in ihren Wirkungen auf Personen mit und ohne erkennbaren Migrationshintergrund. … Eine besondere Bevorzugung bzw. Benachteiligung im Erfolg der Maßnahmen am Arbeitsmarkt allein durch das Vorliegen eines Migrationshintergrunds kann statistisch nicht bestätigt werden. Dieses ist ein wichtiges Ergebnis, da es deutlich eine mögliche Diskriminierung von Personen mit Migrationshintergrund gegenüber anderen Hilfebedürftigen in der Grundsicherung ausschließt. Die festgestellten Unterschiede sind vielmehr ein Ergebnis der Unterschiede in der Qualifikation und anderer den Arbeitsmarkterfolg beeinflussender Größen … HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Handlungsempfehlungen aus den Untersuchungsbefungen an die Grundsicherungsstellen, ihre jeweilige Fachaufsicht, das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und den Gesetzgeber: • Diversität unter den Fachkräften der Grundsicherungsstellen erhöhen • auf Kunden mit sprachlichen Verständigungsproblemen aktiv zugehen • Sprachstand standardisiert erfassen und Sprachförderung stärker durch die Grundsicherungsstellen steuern • mehr Unterstützung bei der Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse geben • nicht zertifizierte Kompetenzen entwickeln und für die Vermittlung nutzen • Migrationshintergrund zusätzlich zur Staatsangehörigkeit über Geburtsland und ggf. Sprachförderungsbedarf statistisch abbilden und für das Monitoring nutzen • Rückstand von Ausländern beim Zugang in Maßnahmeförderung überwinden • bei Erreichen bestimmter Schwellenwerte hinsichtlich der Anteile von Kund/innen mit Migrationshintergrund Integrationsbeauftragte bei den Grundsicherungsstellen bestellen • fremdsprachiges Material im Internet-Angebot der Bundesagentur für Arbeit erweitern und mit mehrsprachigem und leichter erkennbarem Zugang platzieren • Auflegen eines mehrjährigen Bundesprogramms „Regionale Beschäftigungs- und Ausbildungspakte für Arbeitsuchende mit Migrationshintergrund“ nach der Steuerungsphilosophie des Bundesprogramms „Perspektive 50plus – Beschäftigungspakte in den Regionen“ • Überwindung von migrationsbedingten Nachteilen in den Zielkatalog der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 1 Abs. 1 SGB II aufnehmen.“ Den vollständigen Untersuchungsbericht entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link oder dem Anhang.

http://www.bmas.de/portal/39960/f395__forschungsbericht.html

Quelle: BMAS IAQ

Dokumente: Abschlussbericht_Wirkungen_des_SGB_II_auf_Personen_mit_Migrationshintergrund.pdf

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