Gesundheit – (k)ein Thema in der Jugendsozialarbeit?

Auszüge aus den Perspektiven und Empfehlungen für die Jugendsozialarbeit:
„… Die Häufigkeit verschiedener psychosomatischer Beeinträchtigungen, psychischer Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen nimmt ab dem Schulalter zu und hält sich bis ins Jugend- und frühe Erwachsenenalter auf einem relativ hohen Niveau. Dabei sind Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien gesundheitlich besonders belastet. Sie haben es besonders schwer, ihre altersrelevanten Entwicklungsthemen und Probleme, die aus den sozialen Benachteiligungen resultieren, zu bewältigen. In besonderem Maße ist es daher in der Jugendsozialarbeit erforderlich, eine gesundheitsbezogene Perspektive als fachlichen Standard in die sozialpädagogische Arbeit zu implementieren. …

Gesundheit im Fokus einer ganzheitlichen Bildung
… Bildung und Gesundheit hängen eng zusammen. Dies ist ein wesentlicher Aspekt, den es bei der Implementierung einer gesundheitsförderlichen Perspektive zu beachten gilt. Das Aufwachsen unter gesunden, kinder- und jugendgerechten Bedingungen ist ein unverzichtbarer Bestandteil für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen. Gleichzeitig ist ein gesundheitsbewusstes Verhalten eng an Bildungsprozesse gebunden.

Angesichts einer zunehmenden Verschärfung sozialer Problemlagen sind die Erziehungs-und Bildungsinstitutionen mehr denn je aufgefordert, Kinder und Jugendliche, insbesondere aus sozial benachteiligten Familien, zu befähigen, das eigene Leben selbstverantwortlich und zuversichtlich zu gestalten, um vorhandene Talente und Potentiale aktiv und kreativ ausschöpfen zu können.

Die Ausbildung von personalen und sozialen Kompetenzen, die sich auf die Gestaltung des eigenen Lebens und jenes in sozialer Gemeinschaft beziehen, ist dabei zentral. Das Erleben von Vielfalt, ein gesundes Aufwachsen oder auch das Gefühl sozialer und kultureller Teilhabe ermöglichen Kindern und Jugendlichen eine kreative und phantasievolle Wahrnehmung und Gestaltung ihrer äußeren und inneren Welt. …

Um emotionale Fähigkeiten und Kompetenzen wie Ich-Stärke, Kritik-, Konflikt- und Reflexionsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit oder auch Entscheidungs- und Problemlösefähigkeiten zu fördern, sollte Jugendsozialarbeit sowohl das nötige Handlungswissen pädagogisch vermitteln, als auch die entsprechende Motivation und das Bewusstsein für eine gesundheitsbewusste Gestaltung des eigenen Lebens bei Kindern und Jugendlichen wecken.

Gesundheitsförderung als fachlicher Standard
Gesundheitsförderung als fachlichen Standard in der Jugendhilfe zu verankern, bedeutet, Gesundheit weniger als Voraussetzung für die bestehende Praxis, sondern vielmehr als Ziel allen fachlichen Handelns zu verstehen. Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention sollten flächendeckend in bestehende soziale Angebote integriert werden.

Neben gesundheitlichen Risiken und Defiziten sind dabei vor allem die Ressourcen und Potentiale von Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Über Ansätze von Empowerment sollen junge Menschen befähigt und begeistert werden, sich aktiv für ihre eigene Gesundheit und
eine gesunde Umgebung einzusetzen und sich engagiert an Diskussions- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. …

Gesundheitsbezogene Inhalte und Angebote sollten nicht zusammenhaltlos nebeneinander existieren, sondern in Bausteine sozialen Lernens inkludiert sein. Themen wie Sucht, Gewalt, Aggression, Ess- und Ernährungsverhalten oder auch Sexualität besitzen einen direkten Bezug zum menschlichen Körper, zum eigenen Selbstwertgefühl und zur Lebenskompetenz und Lebenskohärenz.

Jugendlichen ein erlebnisorientiertes Bewusstsein für den eigenen Körper zu vermitteln, die Wahrnehmung des eigenen Körpergefühls zu fördern, sowie Emotionen und Verhaltensweisen aufeinander zu beziehen, stellen wichtige pädagogische Themen der Jugendsozialarbeit dar, anhand derer sich gesundheitsförderliche Perspektiven vermitteln und aneignen lassen.

Gesundheitsbezogene Aus- und Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte
Die Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften stellt in diesem Sinne einen wichtigen Bezugspunkt dar, um entwicklungsrelevante
Themen des Jugendalters mit gesundheitsförderlichen Aspekten zu verbinden. Dies setzt voraus, dass sich die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe verstärkt und intensiv mit gesundheitsbezogenen Wissensbeständen, Kenntnissen und Methoden vertraut machen und entsprechende Angebote in der interdisziplinären Aus-, Fort- und Weiterbildung bereitstehen.

Für eine gesundheitsbewusste Perspektive ist die » Achtsamkeit der Fachkräfte gegenüber der Körperlichkeit und ihrer Bedeutung für die individuelle Identitätsentwicklung Heranwachsender « erforderlich.
Dies bedeutet für Fachkräfte, die jeweilige » Körpersprache « der Kinder und Jugendlichen zu entschlüsseln und als Ausdruck der eigenen sozialen Definition des Geschlechts, der Sexualität, der sozialen und kulturellen Herkunft sowie der aktuellen Lebenssituation und Lebensgeschichte zu verstehen.

In Bezug auf Jugendliche, die sich in ihrem Aufwachsen in besonderem Maße mit gesellschaftlichen Normvorstellungen auseinandersetzen müssen … gilt es, den Einfluss dieser Identitätskategorien auf ihre gesundheitliche Situation nicht zu überschätzen, aber auch nicht zu unterschätzen . Vielmehr ist es erforderlich, Jugendlichen in ihrer Auseinandersetzung und Identitätssuche Verständnis, geschützte Räume und begleitende Angebote anzubieten.

Schaffung gesundheitsfördernder Lebenswelten
… Die Implementierung einer gesundheitsförderlichen Perspektive in bereits bestehende Angebote und Konzeptionen zielt dabei sowohl auf eine Stärkung der individuellen Ressourcen, als auch auf die Schaffung und Gestaltung von gesundheitsfördernden Lebensbedingungen.

Die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen beschränken sich dabei
nicht nur auf die Schulen und Freizeiteinrichtungen, sondern auch auf durch Kinder und Jugendliche besetzte nicht-institutionelle Räume wie öffentliche Plätze, Parks oder auch Half-Pipes, die wichtige Settings der Gesundheitsförderung und Prävention darstellen.

Neben Angeboten, die sich auf das Verhalten von jungen Menschen beziehen, sind auch verhältnisbezogene Maßnahmen erforderlich, die die Schaffung einer gesundheitsförderlichen Kultur in Schulen, Berufsschulen und in den Angeboten und Einrichtungen der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und der Jugendberufshilfe zum Ziel haben. Jugendsozialarbeit sollte sowohl Anregungen zu einer gesunden Ernährung und zu genügend Bewegung geben, als auch das soziale » Klima « (in Schulen oder Einrichtungen der Jugendberufshilfe) insgesamt gesundheitsförderlich gestalten. …

Jugendtypische Problemlagen und Traumatisierungen erkennen
Jugendsozialarbeit hat häufig Kinder und Jugendliche zur Zielgruppe, die unter den Folgen ihres Aufwachsens in Armut leiden und oft wenig gesundheitsförderliche Bewältigungsstile für ihre sozialen Probleme
entwickelt haben. …

Etwaige Traumatisierungen fachgemäß zu erkennen und professionelle Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten, ist daher eine wichtige Aufgabe der Jugendsozialarbeit in Kooperation mit dem Gesundheitssystem
und Schule. Dies bedeutet eine gesundheitsbezogene Fort-, Aus- und
Weiterbildung der sozialpädagogischen Fachkräfte anzuregen und den Kontakt und Austausch mit Einrichtungen und Diensten des Gesundheitssystems zu intensivieren.

Kompetenzen junger Eltern stärken
Jugendsozialarbeit begleitet, unterstützt und fördert junge Menschen beim Übergang ins Erwachsenenalter. Eine besondere Zielgruppe stellen minderjährige Mütter und Väter dar. Diese sind zur frühzeitigen und
regelmäßigen Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen zu motivieren. Ebenso sollte eine Sensibilisierung für Früherkennungs-, Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen des Kindes nach der Geburt stattfinden.

Weitere wichtige Ziele in der Arbeit mit jungen Eltern beziehen sich auf eine umfassende Vorbereitung auf die Schwangerschaft und Elternschaft, die Stärkung der Elternkompetenzen (Körperpflege, Bewältigung von Schlaf- und Schreiproblemen, Krankheitswissen und erste Hilfe, Wissen über kindliche Entwicklungsphasen) und auf die Vermittlung von sozialen Kompetenzen im Umgang mit Kindern. …

Förderung gesundheitsbezogener Alltags- und Lebenskompetenzen
… Jugendliche benötigen vielfältige Gelegenheiten, ihren Körper, ihr Aussehen, körperliche Signale und Bedürfnisse wahrzunehmen und in ein positives Selbstbild zu integrieren. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper ist Voraussetzung dafür, dass Jugendliche ihrer Gesundheit einen Wert beimessen und sich selbst und andere Menschen respektieren und achten. Jungen Menschen die biographische Bedeutung ihres eigenen Lebens über kreative und partizipative Konzepte der
Gesundheitsbildung nahezubringen, ist Aufgabe von Jugendsozialarbeit. Das Konzept der » Lebenskompetenzen « bzw. der Life Skills ist ein wichtiger Bezugspunkt bei der Vermittlung gesundheitsbezogener Kompetenzen und bei der Unterstützung und Begleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihrer »Identitätssuche«.

Jugendliche brauchen eine kompetente Begleitung bei der Ausbildung und Entwicklung wirksamer Formen der Alltagsbewältigung, bei der Entwicklung realistischer und erreichbarer Lebensziele oder bei der
Ausbildung einer tragfähigen Lebenskohärenz. Der Umgang mit auftretenden Belastungen, Krisen oder als defizitär erlebten
Eigenschaften und Merkmalen sollte im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen, Eltern und pädagogischen Fachkräften stehen. Dies beinhaltet die Förderung sprachlicher, reflexiver und kommunikativer Kompetenzen, den Aufbau eines positiven Selbstbildes und die Entwicklung von eigenen Zukunftsperspektiven.“

Entstanden ist die Broschüre in Kooperation mit Dr. Hanna Permien vom Deutschen Jugendinstitut und kostenfrei bestellbar bei:

Peggy Ziethen
DRK-Generalsekretariat
Carstennstr.58
12205 Berlin
E-Mail: ziethenp@drk.de oder unter
Tel. 030/85 404-123
Fax 030/85 404-468

www.drk.de

Quelle: DRK Generalsekretariat

Dokumente: DRK_Gesundheitsfoerderung_.pdf

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