Konsequenzen der Arbeitsmarktreformen für die berufliche Bildung und Integration junger Menschen am Beispiel Baden-Württemberg

Konsequenzen der Arbeitsmarktreformen für die berufliche Bildung und Integration junger Menschen in Baden-Württemberg Die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V. hat in ihrer am 19. Mai 2005 veröffentlichten Situationsanalyse und Handlungserfordernisse aus Sicht der Freien Jugendhilfe in Baden-Württemberg Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung und Integration junger Menschen gegeben, die durchaus auch überregionale Gültigkeit haben: “ … 3. Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung und Integration junger Menschen … Angesichts teils nicht abschließend geklärter Regelungen, insbesondere aber angesichts anhaltender Umsetzungsschwierigkeiten des SGB II sehen wir einen hohen Handlungsbedarf in der Unterstützung junger Menschen hinsichtlich Qualifizierung und Ausbildung. Prämisse ist dabei zunächst, dass die berufliche Integration junger Menschen selbstverständlich im Rahmen des neuen SGB II zu befördern ist. Daneben sehen wir die Akteure der Jugendhilfe in der Pflicht, in ihrer Gesamtverantwortung nach dem SGB VIII diesem weiterhin gerecht zu werden. Mit anderen Worten: Jugendhilfe ist aus unserer Sicht hinsichtlich der Integration junger Menschen in Ausbildung und Arbeit doppelt gefordert, zum einen auf der Grundlage des SGB VIII, zum anderen in der konstruktiv-kritischen Begleitung der Umsetzung des SGB II. 3.1 Die öffentliche und freie Jugendhilfe bleiben originär gefordert Die Leitthese Nr. 1 Jugendhilfe mit Kompetenz untermauert die Grundlage des Handelns öffentlicher und freier Jugendhilfe, die noch immer zentral in §1 SGB VIII zu finden ist: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Die Jugendhilfe – öffentliche wie freie Jugendhilfe – muss Sorge mit dafür tragen, dass in Bezug auf die Beurteilung einer erfolgreichen Integration von jungen Menschen – auch „neben“ dem SGB II – die Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage, die Beratungsform sowie ebenso das qualitative und quantitative Angebot der verschiedensten Dienstleister für Jugendliche am Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf betrachtet werden. Unseres Erachtens bietet die erforderliche Umsetzung der Arbeitsmarktreformen auch neue Chancen zur Gestaltung bewährter wie auch zu entwickelnder Strukturen und Angebote. 3.1.1 Prozessorientierte Bedarfsplanung vor Ort In Konsequenz der erforderlichen kleinräumlicheren Betrachtungsweise ist der Fokus auf die Ebene der Stadt- und Landkreise zu richten. Vor Ort spart die Planung und Entwicklung eines Gesamtkonzepts zur gezielten Förderung und Vermittlung von Jugendlichen mit allen Akteuren vor Ort aus den Rechtskreisen des SGB II, SGB III sowie SGB VIII auf lange Sicht Zeit und Geld. Etablierte Instrumente der Jugendhilfeplanung sind zu kombinieren mit den neuen Erfordernissen. Eine differenzierte Statistik zur Situation der Jugendlichen und der vorhandenen Angebotsstruktur können miteinander abgestimmt werden. Mit transparenten und prozessorientierten Planungen können staatliche Finanzmittel gezielt und erfolgreich eingesetzt werden. Damit werden alle Jugendlichen erreicht. Die Befassung mit dieser Thematik im Jugendhilfeausschuss sollte selbstverständlich sein. Parallel dazu sind die in der Umsetzung des SGB II vorgesehenen Jugendkonferenzen zu realisieren. 3.1.2 Bedarfsgerechte Angebote sind zu entwickeln Bisher war die Jugendhilfe vor allem im Rahmen des §13 SGB VIII in der Lage, den Hinführungsprozess für Jugendliche zu einer Beratung im Rahmen der Arbeitsförderung erfolgreich zu gestalten. Durch die gesetzliche Nachrangsregelung des §13 SGB VIII in Bezug zum SGB II droht die Entstehung einer Lücke in der Hilfekette. Bei der Umsetzung des SGB II hat die Jugendhilfe darauf hinzuwirken, dass dieser Teil der Infrastruktur im Unterstützungskatalog für junge Menschen solange erhalten und aufgebaut wird, bis es nach SGB II einen adäquaten Ersatz gibt. Daneben sind auch weiterhin Angebote für die jungen Menschen zur Verfügung zu stellen, die vor und neben dem SGB II einen Unterstützungsbedarf haben. Mit anderen Worten: Im Rahmen von SGB II und „neben SGB II“ sind neue Formen der Unterstützung junger Menschen zu entwickeln, die auf den vielfältigen Angeboten der Jugendsozialarbeit/Jugendberufshilfe aufbauen können, die bisher benachteiligte Jugendliche im Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf durch professionelle Fachkräfte und qualifizierte Einrichtungen und Dienste erfolgreich unterstützen konnten. Der Ausbau von modellhaften Praxisprojekten sowie der Erhalt von effektiven Modellen vor Ort muss gefördert und überörtlich in gemeinsamer Verantwortung aller Bereiche und Akteure koordiniert und evaluiert werden, um gemeinsame Qualitätskriterien für die nachhaltige berufliche und soziale Integration von benachteiligten Jugendlichen zu entwickeln. 3.2 Die Umsetzung des SGB II ist adressatengemäß zu gestalten 3.2.1 Neue Strukturen und die Implementierung Angesichts der großen Zielgruppe, die zudem mit einer Aktivierungsquote von 53 % verbunden ist, muss die Jugendhilfeperspektive in der Umsetzung von SGB II bereits strukturell Berücksichtigung finden. … Um das Fachwissen und die Erfahrungen der Freien Jugendhilfe in den neuen Strukturen etablieren zu können, sind verlässliche Ansprechpartner einerseits und das Interesse an einer jugendgerechten Arbeit in den neuen Trägerorganisationen des SGB II andererseits erforderlich. Eine Einbindung der Kompetenz der Freien Jugendhilfe erscheint uns in den neuen Trägerorganisationen zum SGB II nach Maßgabe des § 18 SGB II als grundlegend wichtig und ist flächendeckend in Baden-Württemberg umzusetzen. Genauso selbstverständlich wie die Tatsache, dass auf das Know-how der Sozialverwaltung und aus der Sozialhilfegewährung zurückgegriffen wird, sollte Jugendhilfe-Know-how für die Zielgruppe U25 eingebracht werden, auch das von freien Trägern. Die in den vergangenen Jahren festzustellende besondere Motivation und Engagement der MitarbeiterInnen in den Arbeitsagenturen für die Belange junger benachteiligter Menschen sollte wünschenswerter Weise zukünftig nicht nur Bestand haben, sondern auch bereits in den Planungs- und Entscheidungsgremien verankert sein. Dies alles gilt gleichermaßen für ARGEN, für Optionskommunen sowie für Kommunen mit getrennter Aufgabenwahrnehmung. 3.2.2 Qualifizierte JobCenter In Konkretisierung des Vorangegangenen folgt die Einrichtung qualifizierter JobCenter für die Zielgruppe der U25. Grundvoraussetzung hierfür ist die Entwicklung eines Konzeptes zur beruflichen und sozialen Integration von jungen Menschen. Die Einrichtung spezieller Job-Center bzw. Organisationseinheiten für Jugendliche ist bisher nur in Ausnahmefällen geschehen oder in der Planung. Dies muss sich zwingend ändern. Die flächendeckende Etablierung von Job-Centern bzw. Organisationseinheiten speziell für Jugendliche ist notwendig, da sie am ehesten auf die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Jugendlichen Rücksicht nehmen können. In der personellen Besetzung der JobCenter ist zu bedenken, dass bisher jugendspezifisches Know-how für einen adäquaten Umgang mit Jugendlichen im Wesentlichen nur in Ausnahmefällen (z.B. wenn Personal aus der Berufsberatung in das Job-Center gewechselt ist) vorhanden ist. Beide Personalbestände hatten sich bisher entweder auf arbeitslose Erwachsene oder erwachsene Sozialhilfeempfänger spezialisiert. Spezifische Schulungen für eine jugendgerechte Beratung sind weiterhin erforderlich, auch wenn – nach Auskunft der Regionaldirektion Baden-Württemberg – flächendeckend der angestrebte Schlüssel von 1:75 erreicht werden kann. Die Jugendhilfe hat vielfältige Ansätze aus der Pädagogik, Therapie, Beratung und Begleitung von jungen Menschen in ihrem Handlungsrepertoire. Schulungen der Akteure des SGB II mit diesen Methoden bieten eine sinnvolle und jugendgerechte Ergänzung zur Beratungspraxis in den neuen Trägerorganisationen des SGB II. 3.2.3 Eingliederungsvereinbarung Der Leitfaden der BA zur Beratung für die Zielgruppe U25 ist – wie dargestellt – unvereinbar mit den Intentionen des SGB VIII und auch unvereinbar mit dem Prinzip des individuellen und passgenauen Förderns nach §14 SGB II. Angesichts der mit der Eingliederungsvereinbarung verbundenen Weichenstellung ist alles dafür zu tun, dass der Leitfaden modifiziert und jugendgemäß angewandt wird, um so das Ziel einer erfolgreichen Eingliederung des jungen Menschen zu erreichen. Fachpersonal mit jugendhilfespezifischem Know-how bildet die Grundlage. Des weiteren sollte eine Methode etabliert werden, die dem jugendspezifischem Verhalten und der besonderen Situation von Jugendlichen im Sinne einer partnerschaftlichen Aushandlung gerecht wird. Die Zielorientierung der Eingliederungsvereinbarung für Jugendliche hat vorrangig die Förderung und nachrangig die Sanktionen zum Ziel zu haben. Schließlich sollte die Eingliederungsvereinbarung – altersgemäß – prozessorientiert gestaltet sein, sodass bei Bedarf eine flexible Handhabung möglich ist. 3.2.4 Arbeitsgelegenheiten Mit Ergänzung der Richtlinien hat die BA Anfang des Jahres den Vorrang von Ausbildung vor Arbeitsgelegenheiten klar gestellt. Dennoch werden auch für die Zielgruppe der U25 Arbeitsgelegenheiten angeboten. Dies erfolgt noch in vielen Fällen undifferenziert. Arbeitsgelegenheiten können eine Möglichkeit im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf bilden, sind aber grundsätzlich mit qualifizierenden Bestandteilen auszustatten bzw. müssen die persönliche und berufliche Entwicklung der jungen Menschen insgesamt und langfristig im Blick behalten. Je nach Bedarf, den die Fallmanager festzustellen haben, müssen die Arbeitsgelegenheiten für die Zielgruppe der jungen Menschen zwingend qualifizierend gestaltet sein. Mit der Ausweitung und Abstimmung des Förderspektrums ist zudem darauf zu achten, dass die Maßnahme der Arbeitsgelegenheiten in ihrem eigentlichen Sinn als das nachrangigste Instrument zur Eingliederung eingesetzt wird. 3.2.5 Evaluation Eine Evaluation der bestehenden Maßnahmen für junge Menschen kann sich aus Sicht der Jugendhilfe nicht nur auf die Aspekte „Aktivierungsquote“, „Abgangsrate“ und „Sanktionsquote“ beschränken vielmehr sollte eine Evaluation vorrangig vor dem Hintergrund einer nachhaltigen sozialen und beruflichen Integration von jungen Menschen erfolgen. Diese Nachhaltigkeit ist nach den Erfahrungen der Jugendhilfe am ehesten dann zu erreichen, wenn der Beratungs- und Eingliederungsprozess sich an den Prinzipien der Lebensweltorientierung, Dezentralität, Niederschwelligkeit, Subjektorientierung, Integration und der partnerschaftlichen Teilhabe von jungen Menschen am Eingliederungsprozess orientiert. 3.3 Die Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen ist anzupassen Die besondere Herausstellung der Zielgruppe U25 im SGB II und der aktuellen Arbeitsmarktpolitik der BA zielt auf eine Erhöhung der Wirksamkeit der Förder- und Angebotsstruktur für junge Menschen. In Verbindung zur Leitthese Nr. 3 Arbeitsförderung mit neuem Gesicht halten wir eine Umorientierung in der Angebotssteuerung der Arbeitsförderung für angezeigt: Bewährte örtliche Vernetzungsstrukturen sollen im Interesse der Zielgruppe der U25 erhalten bleiben und die örtlich verankerten Träger sollten gleiche Wettbewerbsbedingungen haben. Hierzu sollten für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen im Dreiecksverhältnis Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsberechtigter eigenständige Verfahren installiert werden, die sich gleichermaßen an den Prämissen von Qualität und Wirtschaftlichkeit orientieren und die sich überdies auf örtlicher Ebene in sozialpolitische Planungs- und Steuerungselemente integrieren lassen. 3.4 Neue Kooperationsformen sind zu nutzen In Anlehnung an die Leitthese Nr. 4 Strukturaufbau mit neuen Partnern ist es geboten, die Planungs- und Steuerungsinstrumente nach SGB II, III und VIII aufeinander abzustimmen. Es gilt zunächst, die bestehenden Gremien und Instrumente (Jugendhilfeausschuss, Jugendhilfeplanung, Runde Tische, Ausbildungskonferenzen, regionale ESF-Arbeitskreise, Arbeitsgemeinschaften nach §78 SGB VIII etc.) zu nutzen und neue Instrumente aufzugreifen. Die Jugendkonferenzen bieten die Chance, alle Verantwortlichen an einen Tisch zu bringen. Mit dieser neuen Form von Kooperation und Abstimmung sollen bedarfsgerechte Angebote entwickelt und der Entstehung von möglichen Lücken im Hilfesystem entgegengewirkt werden. Nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten sind die geplanten Jugendkonferenzen mit allen beteiligten Partnern des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes baldmöglichst zu installieren. 4. Zentrale Forderung Die Betriebe, die Schulen und die Einrichtungen stellen vielfach übereinstimmend fest, dass einer Vielzahl von Jugendlichen soziale Kompetenzen und das grundsätzliche Allgemeinwissen für einen gelingenden Übergang fehlen. Die Jugendlichen sind aus Sicht der Freien Jugendhilfe in den meisten Fällen motiviert, werden jedoch in den öffentlichen Schulen und Maßnahmen der Arbeitsförderung aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht so gefördert, wie es nötig wäre. Ein gemeinsames Konzept der beteiligten Akteure – Schulen, Kammern, Betriebe, Freie und Öffentliche Jugendhilfe, Arbeitsverwaltung und Politik – zur sozialen und beruflichen Bildung von jungen Menschen könnte diesen Mangel durch zielorientierte und abgestimmte Förderung beseitigen. Nach den Erfahrungen der Freien Jugendhilfe sind junge Menschen erst dann erfolgreich und nachhaltig integriert, wenn sich der Beratungs- und Integrationsprozess an den Prinzipien der Lebensweltorientierung, der partnerschaftlichen Teilhabe der jungen Menschen am Integrationsprozess und der Ressourcenorientierung ausrichtet. Für die Interessen der Zielgruppe U25 ist bei der Umsetzung des SGB II zunächst nicht die Etablierung von Organisationseinheiten für junge Menschen, die Qualifizierung des Personals, die Ausweitung des Förderspektrums und die abgestimmte Planung der Förderstruktur in Form von Jugendkonferenzen u.a.m. vorrangig. Vielmehr sollten sich die beteiligten Akteure bei allen ausbildungs- und arbeitsmarktrelevanten Angelegenheiten die zentrale Frage stellen: Was brauchen junge Menschen für eine gelingende berufliche Bildung und Integration? Ein verbindlicher Fokus der Landesregierung und der Entscheidungsträger der unterschiedlichen Ebenen auf diese Fragestellung fördert die Umsetzung des SGB II für die Zielgruppe der U25. Unsere zentrale Forderung ist es daher, die Zielgruppe der U25 in den Mittelpunkt zu stellen und für sie im Kontext der Rechtsbereiche der SGB II, III und VIII lokale Konzepte zu entwickeln. Anlässlich der Einführung des SGB II ist hierzu ein unterstützendes Landesprogramm hinsichtlich Strukturaufbau, Schulung des Personals und Verbreitung von Good-Practice-Ansätzen zu installieren. Die Jugendhilfe beteiligt sich aktiv an diesem Prozess….“ – Grundlagenpapier 19-05-05-ligaagjbh.pdf

Quelle: 

Dokumente: Grundlagenpapier_19_05_05_ligaagjbh.pdf

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