Produktionsorientiertes Lernen für benachteiligte Jugendliche

ARBEITEN UND LERNEN MITEINANDER VERBINDEN Das Deutsche Jugendinstitut und der Paritätische haben jeweils eine Veröffentlichung zu Produktionsschulen herausgegeben. Die Handreichung des DJI beschreibt, wie produktionsorientiertes Lernen in der allgemeinbildenden Schule, in der Berufsvorbereitung, in der Berufsausbildung und als Maßnahme zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt funktionieren kann. Der Paritätische möchte mit seiner Arbeitshilfe die Diskussion über die Weiterentwicklung der beruflichen Qualifizierung unter Einbeziehung des zentralen Merkmals der Produktionsschule fördern: der Integration von Produktion und Dienstleitungen in den Qualifizierungsprozess für Zielgruppen, die aufgrund ihres besonders intensiven Förderbedarfs zunächst außerbetrieblich qualifiziert werden. “ Die Idee der Produktionsschule hat eine lange Geschichte. Wesentliche Elemente und Ziele des produktionsorientierten Lernens finden sich bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägte der Münchner Stadtschulrat Georg Kerschensteiner den Begriff der Arbeitsschule als Gegenentwurf zur herkömmlichen inzwischen etablierten Lernschule („Buchschule“). Später hat sich im Anschluss an die Reichschulkonferenz 1920 im Umfeld der Reformpädagogen in den 20er Jahre der Begriff Produktionsschule durchgesetzt. In den 90er Jahren hat man in Deutschland die Produktionsschule als ein „altes Konzept für aktuelle Probleme“ (Biermann 1994) neu entdeckt. Das Vorbild für deutsche Produktionsschulen heute sind häufig die dänischen Produktionsschulen, die eine anerkannte selbstständige Schulform auf gesetzlicher Basis darstellen. Zu unterscheiden ist allerdings zwischen Produktionsschulen im engeren Sinn, die sich an das dänische Vorbild anlehnen, und Schulen und anderen (Aus-)Bildungseinrichtungen, die Elemente und Ziele des Produktionsschulansatzes (insbesondere die Realitäts- und Marktnähe der Ausbildung) übernehmen. Produktionsorientiertes Lernen will die Praxis- und Arbeitsmarktferne von Förderstrategien überwinden, indem die Jugendlichen unter betriebsförmigen oder -ähnlichen Bedingungen Produkte und Dienstleistungen erarbeiten, die auf dem Markt ihre Abnehmer finden müssen. Das Prinzip des produktionsorientierten Lernens wird derzeit in Deutschland für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf im Rahmen von Projekten für unterschiedliche Zielgruppen realisiert: von Schülerfirmen für Jugendliche in allgemeinbildenden Schulen über Produktionsschulansätze innerhalb und außerhalb des regulären Schulsystems, für Jugendliche in Berufsvorbereitung bis hin zu Juniorfirmen und Jugendhilfebetrieben für Auszubildende in außerbetrieblichen Einrichtungen. Die Verknüpfung des Produktionsschulansatzes mit dem allgemeinbildenden Schulsystem ist derzeit noch wenig ausgeprägt. Dagegen gelingt es in der Berufsvorbereitung für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf gut, produktionsorientierte Ansätze mit beruflichem Lernen zu verbinden. Bei Angeboten der außerbetrieblichen Ausbildung stellen Berufsausbildung in Jugendhilfebetrieben oder Juniorfirmen eine besondere Form der Zusammenführung beruflichen Lernens mit produktionsorienten Ansätzen dar. Für Jugendliche, die durch Schulverweigerung, Schul- oder Ausbildungsabbruch aus dem Bildungs- und Ausbildungssystem herauszufallen drohen oder bereits herausgefallen sind, wurden verschiedene Förderstrategien entwickelt, damit sich für sie Chancen eröffnen, schulische Abschlüsse nachzuholen und in Ausbildung oder Arbeit einzumünden. Außerhalb des regulären Schulsystems haben sich für diese Zielgruppen Angebote etabliert, die produktionsorientiertes Lernen in den Mittelpunkt ihres Förderkonzeptes stellen. Diese Förderkonzepte arbeiten auf dem Gebiet der vorberuflichen Bildung und Qualifizierung, der Berufsvorbereitung und Berufsorientierung und der Berufsausbildung. Die Produktionsschule (PS) bildet eine Brücke zwischen Schule und Arbeitswelt und ist ein effektives Modell zur Berufsorientierung und -vorbereitung für die stetig wachsende Gruppe der benachteiligten Jugendlichen. Anders als das traditionelle Schulsystem setzt Produktionsschule auf „Anschlussorientierung statt Abschlussorientierung“. Deutsche Produktionsschulen arbeiten in unterschiedlichen Trägerschaften und Rechtsformen und werden aus verschiedenen Töpfen finanziert. Ihre Existenz ist daher in aller Regel nicht langfristig gesichert und sie sind deshalb auf (weitere) Förderprogramme angewiesen oder darauf, dass die zuständigen Landesministerien/ Kommunen gegenüber dem Ansatz der Produktionsschulen aufgeschlossen sind und eine Anschluss- bzw. eine Regelfinanzierung übernehmen. Die Vielzahl an Programmen und Geldgebern mit ihren unterschiedlichen Modalitäten ist auch dafür verantwortlich, dass sich unter dem Label „Produktionsschule“ Projekte versammeln, die sich hinsichtlich ihrer Zielgruppen, ihrer Konzepte, ihrer Laufzeiten etc. deutlich unterscheiden. MERKMALE VON PRODUKTIONSSCHULEN IN DEUTSCHLAND * Ziele Durch das Konzept der Produktionsschulen sollen Jugendliche, die in der Schule Erfahrungen des Scheiterns gemacht haben und aus dem herkömmlichen Schul- und Bildungssystem heraus gefallen sind und/oder noch keinen Schulabschluss erlangt haben, in ein alternatives Lern- und Arbeitssystem integriert werden, damit sie vor dem Abgleiten in Perspektivlosigkeit bewahrt werden und sich ihnen wieder Chancen eröffnen. Oft kann in Produktionsschulen die Schulpflicht der berufsbildenden Schule bzw. der allgemein bildenden Schule erfüllt werden. Einige Produktionsschulen nehmen von Ausgrenzung bedrohte Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8 auf, bereiten sie auf die Rückkehr in Regelschulen vor oder vermitteln ihnen selber einen Schulabschluss. Teilweise bieten Produktionsschulen eine außerbetriebliche Ausbildung an. Konkret sollen die Jugendlichen in der Produktionsschule Unterstützung bei beruflicher Orientierung bzw. Umorientierung erhalten, fachliche und ggf. schulische Qualifizierung erwerben können und Unterstützung bei Kompetenzentwicklung sowie Hilfe beim Übergang ins Berufsleben erhalten. Die Förderung in Produktionsschulen schließt auch die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen ein sowie Unterstützung bei der Bewältigung persönlicher Probleme und Schwierigkeiten. Produktionsschulen sind ein zeitlich flexibles Baukastensystem von Förderstrategien für unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen. * Zielgruppen In Produktionsschulen werden Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 25 Jahren aufgenommen. Die Zielgruppe ist sehr heterogen: von Förderschülerinnen und Schüler über Hauptschülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss bis hin zu ehemaligen Realschülerinnen und Schüler (mitunter sogar Abiturientinnen und Abiturienten) Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher und schulmüde Jugendliche junge Menschen ohne Ausbildungsplatz, Ausbildungsabbrecher und arbeitslose junge Erwachsene Jugendliche mit besonderem individuellen sozialpädagogischem Hilfebedarf sowie Jugendliche mit Sprachproblemen, gesundheitlichen Problemen, Suchtproblemen, finanziellen und familiären Problemen. Gemeinsam ist diesen Jugendlichen, dass sie Brüche in ihren Lern- und Lebensbiographien aufweisen und vom herkömmlichen Schulsystem nicht mehr erreicht werden können. Die Verweildauer bemisst sich nach dem individuellen Förderbedarf der Teilnehmenden und der stattfindenden Qualifizierung. * Wie werden die Jugendlichen in die Produktionsschulen vermittelt? Entsprechend der Heterogenität der Zielgruppe sind die Zugangswege der Jugendlichen in die Produktionsschulen sehr unterschiedlich: Teilweise sind es allgemeinbildende (hauptsächlich Haupt- und Förderschulen) und berufsbildende Schulen (Produktionsschule als Ersatz für das schulische Berufsvorbereitungsjahr bzw. Berufsgrundbildungsjahr), die die Jugendlichen in die Produktionsschule vermitteln, teilweise sind es die Institutionen der Arbeitsverwaltung (Arbeitsgemeinschaften, optierende Kommunen, Arbeitsagenturen) sowie die kommunalen Institutionen und privaten Einrichtungen der Jugendhilfe oder der Jugendberufshilfe. Produktionsschulen bedürfen der freiwilligen Entscheidung der Jugendlichen. In der Regel bewerben sie sich für die Mitarbeit in der Produktionsschule. Ausführliche Aufnahmegespräche und ggf. mehrtägige Praktika sind notwendig, damit sich alle Beteiligten ein gutes Bild machen und eine qualifizierte Entscheidung treffen können. * Kompetenzfeststellung und –entwicklung, pädagogische Leitlinien In Produktionsschulen erfolgt die Förderung der jungen Menschen – ansetzend an ihren Kompetenzen – ganzheitlich und so weit wie möglich individualisiert. Die berufsfachliche Qualifi zierung wird durch Angebote ergänzt, die das Sozial- und Arbeitsverhalten des jungen Menschen stabilisieren, seine Interessen erweitern und aktives und demokratisches Bürgerengagement entwickeln. Die Kompetenzfeststellung ist in vielen Produktionsschulen mit der individuellen Entwicklungsplanung der jungen Menschen untrennbar verbunden. Gemeinsam mit den Jugendlichen wird ein individueller Bildungs-, Entwicklungs- und Arbeitsplan erarbeitet, der arbeitswelt-, fachbezogene und sozialpädagogische Lernschritte enthält und biographie- und lebensweltorientiert angelegt ist. Junge Menschen können auf sehr unterschiedlichen Niveaustufen in die Produktionsschule aufgenommen werden, der Einstieg der Jugendlichen sollte daher über erprobte Verfahren zur Kompetenzfeststellung stattfinden: Eingangsgespräche oder Eingangsfeststellung mit z.T. standardisierten Verfahren der Kompetenzfeststellung, wie z.B. Profi l-AC, Hamet II, Potenzialanalyse. Zur Gewährleistung einer systematischen und transparenten Vorgehensweise müssen regelmäßig stattfindenden Reflexionsgespräche bzw. Förderplangespräche mit den Jugendlichen ausführlich dokumentiert werden. Die Dokumentation des individuellen Entwicklungsverlaufes der jungen Menschen sollte auch eine Dokumentation der erreichten fachlichen Kompetenzen einschließen, wie z. B. Qualifizierungs- oder Lernbausteine, Maschinenbedienungsschein, Gabelstaplerführerschein, Führerschein. Durch eine Differenzierung des Lernangebots soll dem unterschiedlichen Leistungsvermögen der Teilnehmenden Rechnung getragen werden. Junge Menschen mit Migrationshintergrund erhalten bei Bedarf eine besondere Förderung, wenn es z. B. um die Verbesserung ihrer Sprachkompetenz geht. Anders als in schulischen Angeboten erfolgt die Teilnahme der Jugendlichen auf freiwilliger Basis und die Verweildauer bemisst sich nach dem individuellen Förderbedarf und dem jeweiligen Förderziel. In den Produktionsschulen bleiben die Jugendlichen in der Regel solange, wie es für ihre individuelle Entwicklung notwendig ist. Die Verweildauer ist nicht an Schuljahre gebunden, der Ein- und Ausstieg ist in der Regel jederzeit möglich. * Das Besondere am Lernort „Produktionsschule“ An Produktionsschulen werden die Jugendlichen in ihren Fähigkeiten und Stärken wahrgenommen (Kompetenzansatz), um die Kette bisheriger Defizit- bzw. Misserfolgserfahrungen zu durchbrechen. Dies kann nur gelingen, wenn diese Jugendlichen einen Lernort erleben, mit dem sie sich identifizieren können, an dem sie sich gerne aufhalten (Atmosphäre), der auch ein stückweit „Lebensort“ (Jugendkultur) für sie ist. Die Produktionsschule zeigt sich als Lernort, an dem sich Arbeiten und Lernen gegenseitig bedingen. Produktionsschule ist aber mehr als Arbeiten und Lernen, mehr als die Verknüpfung von Produktions- und Lernprozessen: Produktionsschule ist ein Arbeits-, Lern- und Lebensort. Dies stellt neue Ansprüche und hohe Herausforderungen an eine neue, spezifische Lern- und Arbeitskultur. Im Rahmen der Produktionsschule wird dem Anspruch nach vorrangig in Werkstätten an Produkten gelernt (Berechnungen, Messen, Materialkunde, Maschinenbedienung, Erstellen von Zeichnungen und Plänen). Lerninhalte sind die Bereiche, die unmittelbar für das Arbeitsleben relevant sind. Zielgruppen, die in Produktionsschulen lernen und arbeiten, sind häufig so unterschiedlich, dass eine besondere Herausforderung darin besteht, ein Curriculum auszuarbeiten und individuelle und gruppenspezifische Förderaspekte gleichzeitig zu berücksichtigen. Die Jugendlichen werden in den gesamten Prozess einbezogen. Die Produktionsschule sollte tunlichst alles vermeiden, was an Schule erinnert bzw. wie Schule wirkt, er sollte „unschulisch“ sein. Die Jugendlichen sollen diesen als ihren Lebens- und Lern-Ort erleben, mit dem sie sich identifizieren können und an dem sie sich gerne aufhalten: * Anforderungen an das Personal Das System der Förderung in Produktionsschulen stellt spezifische Anforderungen an die Fachkräfte, sowohl im Hinblick auf ihre Qualifikationen und pädagogischen Kompetenzen als auch in Bezug auf organisatorische Aspekte. Die Fachkräfte sollten neben einer abgeschlossen Ausbildung in dem jeweiligen Gewerk und einer langjährigen Berufserfahrung auch über sozialpädagogische Qualifikationen verfügen, denn sie arbeiten mit Jugendlichen, die verschiedene Kompetenzen aber auch Probleme und Defizite mitbringen. Das pädagogische Handeln der Fachkräfte an Produktionsschulen ist geprägt durch eine respektvolle Haltung gegenüber den jungen Menschen und ihren Lebensentwürfen. Neben der pädagogischen Arbeit ist die Akquisition und Abwicklung von Kundenaufträgen eine zentrale Aufgabe, für die die Fachkräfte Managementqualifikationen benötigen. “ Sie können die Veröffentlichung des DJI für einen Versandkostenbeitrag von EUR 1,45 pro Exemplar in Briefmarken mit dem angehängtem Bestellformular anfordern. Das Handbuch steht auch als kostenloser Download auf der Homepage des DJI zur Verfügung. Die Arbeitshilfe des Praitätischen steht Ihnen auf der entsprechenen Internetseite ebenfalls als Download zur Verfügung.

http://www.jugendsozialarbeit-paritaet.de
http://www.dji.de
http://www.produktionsschule-altona.de
http://www.werkstattschule.de
http://www.buntstift-kassel.de
http://www.produktionsschulen-mv.de
http://www.ps-westmecklenburg.de
http://www.fach-werk-minden.de
http://www.produktionsschule-barth.de
http://www.werkstatt-im-kreis-unna.de
http://www.bv-produktionsschulen.de/
http://www.kolping-bfz-gt.de/

Quelle: Deutsches Jugendinstitut (DJI), Der Paritätische

Dokumente: ArbeitenundLernen_Bestellzettel.pdf

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