Digitalisierung der Arbeitswelt: Sind Ungelernte die Verlierer?

Auszüge aus dem IAB-Bericht zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland
von Dr. Florian Lehmer und Dr. Britta Matthes:
„(…) Auswirkungen auf die Beschäftigung
(…) Die Gesamtbeschäftigung der Vorreiter-Betriebe, die in den Jahren 2012 bis 2015 stark in neue digitale Technologien investierten, steigt (…) um 7 Prozent von im Schnitt 12,0 auf 12,8 Beschäftigte pro Betrieb, deutlich stärker als im Hauptfeld, in dem die Beschäftigtenzahl um 4 Prozent von 11,9 auf 12,4 Beschäftigte anstieg. Auf den ersten Blick mag erstaunen, dass die mittlere Beschäftigung bei den „Nachzüglern“, die im Schnitt eine deutlich kleinere Betriebsgröße aufweisen, von 6,0 auf 6,6 Beschäftigte mit 9 Prozent relativ am stärksten gewachsen ist.

Neben den Unterschieden in der Betriebsgröße ergeben sich zwischen Vorreitern, dem Hauptfeld und den Nachzüglern weitere Unterschiede in Bezug auf Sektorzugehörigkeit und Beschäftigungsstruktur. So sind Vorreiter-Betriebe verstärkt im Dienstleistungssektor zu finden, Nachzügler-Betriebe eher im produzierenden Bereich. In Vorreiter-Betrieben ist der Frauenanteil geringer und die Belegschaft jünger. Auch die Berufsstrukturen unterscheiden sich stark. So ist in Vorreiter-Betrieben der Anteil von Berufen mit hohen kognitiven und interaktiven Tätigkeiten deutlich höher als in Nachzügler-Betrieben. Auch die Anforderungen differieren. Die Berufsklassifikation unterscheidet vier Anforderungsniveaus, die unterschiedliche Komplexitätsgrade innerhalb der Berufe abbilden und sich an den formalen Bildungsabschlüssen orientieren: Helfer (keine berufliche Ausbildung oder eine einjährige Berufsausbildung), Fachkräfte (mindestens zweijährige Berufsausbildung oder berufsqualifizierender Abschluss einer Berufsfach- oder Kollegschule), Spezialisten (Meister- oder Technikerausbildung bzw. weiterführender Fachschul- oder Bachelorabschluss) und Experten (mindestens vierjähriges abgeschlossenes Hochschulstudium). In den Vorreiter-Betrieben ist der Anteil an Experten im Schnitt fast dreimal so hoch wie bei den Nachzügler-Betrieben, bei den Helfern zeigt sich hingegen das umgekehrte Bild. Bei Fachkräften und Spezialisten sind die Unterschiede weniger stark ausgeprägt. (…)

Zuwächse im IKT-Bereich, Verluste bei wissensintensiven Produzenten
Die (…) Ergebnisse zeigen bei den Vorreiter-Betrieben im IKT-Bereich starke Beschäftigungszuwächse. Diese betreffen insbesondere die Beschäftigtengruppe der Experten. Die mittlere Zahl der Beschäftigten insgesamt steigt um 10 Prozent.

Nachzügler im IKT-Bereich bauen hingegen Beschäftigung in starkem Maße ab. Dieser Rückgang betrifft vor allem Fachkräfte. Diese verlieren auch in den Vorreiter-Betrieben Beschäftigungsanteile, dort wird der Abbau jedoch durch einen starken Zuwachs von Experten überkompensiert, also Personen, die hochkomplexe Tätigkeiten ausüben. (…)

Die deskriptive Auswertung zeigt höhere Beschäftigungszuwächse in Vorreiter-Betrieben auch bei nicht-wissensintensiven Produzenten (z. B. Möbelhersteller, Baubetriebe). Anders als in den IKT-Betrieben profitieren dort aber nicht die Experten, sondern die Fachkräfte.

In den übrigen Sektor-Aggregaten – wissensintensive Produzenten (z. B. Fahrzeughersteller, Maschinenbauer), nicht-wissensintensive Dienstleister (z. B. Gastronomiebetriebe, Logistikbetriebe) und wissensintensive Dienstleister (z. B. wissenschaftliche und ingenieurtechnischer Dienstleistungsbetriebe, Versicherungen und Banken) – wächst die Beschäftigung in den Vorreiter-Betrieben weniger stark als in den Nachzügler-Betrieben. Negative Beschäftigungseffekte ergeben sich dort am ehesten für ungelernte Beschäftigte, die Helfertätigkeiten ausüben. (…)

Fazit
(…) Die Digitalisierung in den letzten Jahren auf aggregierter Ebene weder zu massiven Beschäftigungsverlusten noch zu deutlichen Gewinnen geführt hat. Positive Effekte lassen sich für Beschäftigte finden, die hochkomplexe Expertentätigkeiten in technologieaffinen IKT-Betrieben, aber auch in bisher nicht-wissensintensiven Dienstleistungen ausüben. Tendenziell ergeben sich Verluste am ehesten für Beschäftigte, die Helfertätigkeiten im Bereich der nichtwissensintensiven Dienstleistungen ausüben. Diese Tendenzaussagen lassen sich aber nicht ohne weiteres auf andere Bereiche der Wirtschaft übertragen.

Festzuhalten bleibt, dass keine pauschalen Aussagen über Gewinne und Verluste von bestimmten Beschäftigtengruppen aufgrund der Digitalisierung getroffen werden können. Vielmehr sind die Auswirkungen nach Sektor- und Betriebsmerkmalen sehr unterschiedlich.“

Den IAB-Bericht in vollem Textumfang lesen Sie über aufgeführtem Link.

Link: www.iab.de

Link: http://doku.iab.de/aktuell/2017/aktueller_bericht_1705.pdf

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

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