Vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge in Baden-Württemberg

Auszüge aus dem IAB-Regionalbericht „Vorzeitig gelöste Ausbildungsverträge in Baden-Württemberg“ von Oliver Thoma und Katharina Wedel:
„In Baden-Württemberg wurden zwar 2014 mit 74 Tsd. minimal weniger neue Ausbildungsverträge als im Vorjahr abgeschlossen, quantitativ gesehen geht die Bedeutung des dualen Systems, gemessen an der Zahl Auszubildender, seit 2008 langsam aber stetig zurück. Diesen rückläufigen Tendenzen steht allerdings ein Anstieg beim Phänomen vorzeitiger Vertragslösungen gegenüber. (…) Mit Blick auf die Betriebe wird in diesem Zusammenhang der zukünftige Fachkräftebedarf und auf die nachwachsende Generation die Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe diskutiert.

Vertragslösung und Abbruch
Zunächst ist die begriffliche Unterscheidung zwischen „vorzeitiger Vertragslösung“ und „Ausbildungsabbruch“ notwendig. Beide Begriffe werden häufig synonym und deckungsgleich verwendet, obwohl sie unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen. Eine vorzeitige Vertragslösung kann einen Ausbildungsabbruch nach sich ziehen, muss es aber nicht. Die Fortsetzung in einem anderen Beruf oder Betrieb, oder die Aufnahme eines Bildungsganges außerhalb des dualen Systems ist anders zu bewerten, als die komplette Einstellung aller (formalen)
Bildungsanstrengungen. (…)

Vorzeitige Vertragslösungen sind Ausdruck der vielfältigen Mobilität im dualen System, „echte“ Ausbildungsabbrüche stehen eher mit sozialen Problemlagen in Verbindung. Dabei können die Wirkungen einer vorzeitigen Vertragslösung für den Auszubildenden vielfältig sein. (…) Die Unterscheidung zwischen Ausbildungsabbrüchen und vorzeitigen Vertragslösungen ist auch aus methodischen Gründen wichtig: Während Aussagen zu Ausbildungsabbrüchen nur aus einer Lebensverlaufsperspektive getroffen werden, die biographische Daten von Einzelpersonen erfordert, erfordern Aussagen zu vorzeitigen Vertragslösungen Daten über Ausbildungsverträge, wie sie für die Berufsbildungsstatistik umfangreich erhoben werden.

Empirische Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der Auszubildenden im Anschluss an eine vorzeitige Vertragslösung nach kurzer Zeit eine neue Berufsausbildung beginnt. Nur ein geringer Anteil zieht sich komplett zurück und bleibt langfristig ohne Berufsausbildung oder Studium, Schätzungen beziffern diese Gruppe auf eine Spanne von 6 bis 10 Prozent. Folgeprobleme einer vorzeitigen Vertragslösung zeigen sich aber nicht nur auf Seiten der Auszubildenden, auch viele Betriebe haben Schwierigkeiten, die frei werdenden Ausbildungsstellen neu zu besetzen. (…)

Fazit
In Baden-Württemberg wird mehr als jeder fünfte (21,4 %) Ausbildungsvertrag vor Ablauf der regulären Ausbildungszeit beendet. Damit hat das Land die niedrigste Lösungsquote in Deutschland (24,6 %). Schaut man sich das Lösungsgeschehen genauer an, trifft man auf ein Bild mit vielen Facetten: Auf Seiten des Auszubildenden spielt der erreichte Schulabschluss eine wichtige Rolle, Hauptschüler haben ein höheres Risiko als etwa Realschüler oder Studienberechtigte. Auch auf Ebene der Ausbildungsbereiche variiert die Lösungsquote stark, im Handwerk z. B. ist die Wahrscheinlichkeit um ein vielfaches höher als im Öffentlichen Dienst. Aber auch mit Blick auf die Berufe zeigt sich eine weite Spanne, während bei Köchen, Friseuren und Fachverkäufern im Lebensmittelhandwerk mehr als 40 Prozent aller Ausbildungsverträge betroffen sind, spielt eine vorzeitige Vertragslösung in anderen Berufen wie Mechatronikern (4,7 %), Bankkaufleuten (5,2 %), Industriemechanikern (6,4 %) und Industriekaufleuten (6,5 %) kaum eine Rolle. (…)

In einer Bewertung der vorzeitigen Vertragslösung sind zwei Aspekte hervorzuheben. Der erste Aspekt bezieht sich auf die Deutung der Lösungsquote. Nicht jede vorzeitige Vertragslösung ist per se ein negatives Ereignis, nicht jede Vertragslösung mit einem Scheitern in der beruflichen Bildung gleichzusetzen. (…) Die Menge der Vertragslösungen ist (auch) Ausdruck der Mobilität im dualen System, neben Berufs- und Betriebswechsel stehen dahinter auch Übergänge in andere Bildungswege. (…) Praktiker und Experten schätzen, dass sechs bis zehn Prozent der vorzeitigen Vertragslösungen zu „echten“ Abbrüchen werden, wenn diese auch auf lange Sicht keinen Berufsabschluss erwerben. (…) Im dualen System besteht eine ungleiche Verteilung und Kumulation von (Vertragslösungs-)Risiken und damit droht – in den besonders betroffenen Segmenten – die Reproduktion sozialer Ungleichheit. (…)

Um vorzeitige Vertragslösungen zu reduzieren, ist ein differenziertes Vorgehen erforderlich. Im Vorfeld der Ausbildung gilt es, die schulischen Voraussetzungen zu optimieren. Einerseits kann so möglichen Lern- und Leistungsproblemen präventiv begegnet werden, andererseits haben Berufswähler dadurch bessere Chancen auf eine Ausbildung in ihrem Wunschberuf. Auch der Berufsorientierung und der beruflichen Beratung kommt eine wichtige Rolle zu. Umfassende Informationen, persönliche Kontakte und Unterstützung bei der Stellensuche tragen dazu bei, eine „optimale“ Passung zwischen Ausbildungsberuf, Ausbildungsbetrieb und Auszubildenden zu finden. Während der Ausbildung treten unterstützende oder begleitende Maßnahmen in den Vordergrund. Damit sind nicht nur klassische Lernhilfen oder eine materielle Unterstützung gemeint, sondern ebenso ein umfassendes Spektrum sozialpädagogischer Angebote. Aber auch mit Blick auf die betriebliche Seite gibt es viele Möglichkeiten, wie die Qualität der Ausbildung verbessert werden kann, um vorzeitigen Vertragslösungen entgegenzuwirken.

Es ergibt sich die Notwendigkeit nach differenzierten Lösungen: Erforderlich sind Maßnahmen, die zielgruppenspezifisch, regional, betriebs- und/ oder branchenspezifisch ansetzen. Es gilt, eine solche differenzierte Vorgehensweise, die etwa durch die Einrichtung der Jugendberufsagentur oder durch assistierte Ausbildung eingeschlagen wurde, weiter auszubauen.“

Link: www.iab.de

Quelle: IAB

Dokumente: regional_bw_0116_1_.pdf

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