Integration junger Geflüchteter in die berufliche Bildung – Stärken des dualen Systems nutzen

Die BIBB-Veröffentlichung ist in der Task Force Flüchtlinge entstanden unter der Mitarbeit von Mona Granato, Frank Neises, Monika Bethscheider, Birgit Garbe-Emden, Christoph Junggeburth, Yuliya Prakopchyk, Kornelia Raskopp.

Auszüge aus dem BIBB-Positionspapier:
„(…) Potenziale und Kompetenzen wahrnehmen und anerkennen
(…) ## Potenzialanalyse und Kompetenzfeststellungsverfahren sollten bei Geflüchteten frühzeitig zum Einsatz kommen und an jeder Bildungsetappe (erneut) erfolgen. Eine kontinuierliche Begleitung – beginnend mit Potenzialanalysen in der Phase der Berufsorientierung über die Kompetenzfeststellung informell erworbener Kompetenzen vor Beginn der Qualifizierungsphase bzw. der Anerkennung von Berufsqualifikationen – trägt dazu bei, Potenziale, Kompetenzen und Qualifikationen Geflüchteter kennenzulernen. Nur wenn Bildungsinstitutionen die Potenziale und Kompetenzen (junger) Geflüchteter frühzeitig erkennen, können sie optimal genutzt und gefördert werden. So ist beispielsweise der verbindliche Einsatz von Potenzialanalysen und Kompetenzfeststellungsverfahren im Regelbetrieb der Berufsorientierung erforderlich. (…)
## Für die Zertifizierung informell erworbener Kompetenzen existieren in Deutschland – anders als in anderen europäischen Ländern – bisher keine rechtlichen Grundlagen und keine Strukturen. Die Einführung eines entsprechenden Verfahrens erscheint, u.a. vor dem Hintergrund der qualifikationsadäquaten Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, wünschenswert, ist jedoch ein sehr komplexes und zeitintensives Unterfangen. Seit Jahren wird jedoch die Erhöhung der Durchlässigkeit gefordert sowie die Chancengleichheit im Bildungssystem kritisch hinterfragt. Für Geflüchtete könnte ein solches Verfahren der zweite oder dritte Schritt der Kompetenzfeststellung sein. Möglichst früh nach Ankunft sollten Kompetenzen zumindest schematisch erfasst werden mit einem niedrigschwelligen Verfahren, das geringe Ansprüche an deutsche oder englische Sprachkenntnisse stellt und idealerweise bildgestützt und computerbasiert durchgeführt werden kann. Sollte dieses Verfahren Hinweise auf substantielle Arbeitserfahrungen aufdecken, könnten berufspraktische Kompetenzfeststellungen in Werkstätten, Übungsbüros etc. folgen. Beratungsangebote mit Bezug zum Arbeitsmarkt sollten das gesamte Verfahren begleiten. Solange kein geregeltes Zertifizierungsverfahren zur Verfügung steht, könnten sich die mit der Betreuung von Geflüchteten beauftragten Institutionen auf eine Regelung zur einheitlichen Dokumentation von Kompetenzen einigen. Diese Dokumentation sollte auch den Geflüchteten zur Unterstützung einer Beschäftigungsaufnahme ausgehändigt werden. Davon ausgehend gilt es abschlussorientierte Qualifizierungen, die mit einer systematischen, berufsorientierenden Sprachförderung verknüpft sind, anzubieten. (…)
## Die Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation verbessert die Erfolgsaussichten auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Ein Rechtsanspruch auf das Anerkennungsverfahren besteht dabei unabhängig von Staatsangehörigkeit, Wohnort, Aufenthaltstitel oder Arbeitserlaubnis, so dass auch Geflüchtete, Asylsuchende oder Geduldete einen Antrag auf Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation stellen können. Die bisherigen Erkenntnisse des Monitorings des Anerkennungsgesetz (…) zeigen, dass die Finanzierung des Verfahrens oftmals eine Hürde auf dem Weg zur beruflichen Anerkennung darstellt. Die Gesamtkosten der Anerkennung fallen individuell sehr unterschiedlich aus und können über die eigentlichen Verfahrensgebühren hinausgehen. (…) Nicht immer ist es den Antragstellenden möglich oder zumutbar, alle für die Anerkennung notwendigen Dokumente zu beschaffen. Das kann häufig bei Geflüchteten der Fall sein. Eine Anerkennung der Berufsqualifikation ist auch in diesen Fällen möglich. Die Anerkennungsstelle kann eine Qualifikationsanalyse zur Feststellung von beruflichen Kompetenzen durchführen, die für die Ausübung des inländischen Berufsbildes maßgeblich sind – zum Beispiel mittels Fachgespräch, Arbeitsprobe oder Probearbeit im Betrieb. Die Qualifikationsanalyse ist damit ein Instrument, das ergänzend zur vorgeschriebenen Dokumentenprüfung herangezogen werden kann. (…)
Berufsorientierung nutzen und ausbauen
Berufsorientierung ist ein Prozess mit zwei Seiten: Zum einen geht es um den Jugendlichen und seine Fähigkeit, eine selbstbestimmte Entscheidung im Rahmen des Berufswahlprozesses treffen zu können; zum anderen um die Vermittlung von Wissen zu Berufen oder Berufsfeldern, zu Zugangsvoraussetzungen und Karrierewegen.
Junge Geflüchtete – (…) – haben kaum Kenntnisse über das Bildungssystem und die Vielfalt der Berufsbilder in Deutschland. Um sich für einen Bildungsweg oder einen Beruf zu entscheiden, brauchen junge Menschen, (…), neben einer grundlegenden Erstberatung und -informationen zur Funktionsweise des Bildungssystems, insbesondere handlungsorientierte Angebote der Berufsorientierung, die reflexive Elemente beinhalten. Berufsorientierung ist allen Geflüchteten zu ermöglichen, als wichtiger Baustein für berufliche Integration. (…)

Junge Geflüchtete durchgängig begleiten
Die kontinuierliche Begleitung junger Menschen im Verlauf des Übergangs zu einer beruflichen Ausbildung und Qualifizierung aber auch im Ausbildungsprozess selbst ist ein weiterer wesentlicher Schlüssel zum Erfolg, gerade bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass quantitativ genügend Bildungsangebote bereitgestellt werden, diese qualitativ gut ausgearbeitet und in Bezug auf die Bedarfe von Geflüchteten erweitert werden. (…) ## Berufseinstiegsbegleitung ist gerade für junge Geflüchtete besonders wichtig, um den
Übergang zu begleiten, Unsicherheiten zu überwinden und bei Betrieben als „Türöffner“ zu
wirken, auch weil familiäre Unterstützung beim Übergang in eine berufliche Ausbildung und
Qualifizierung (oft) nicht möglich ist. (…) Eine Berufseinstiegsbegleitung ist dann besonders
erfolgreich, wenn sie mit berufsorientierenden Angeboten (z.B. Praktika, Eignungstests) oder
auch vermittlungsorientierten Angeboten (z.B. Bewerbungstraining, Hilfe bei
Bewerbungsunterlagen) kombiniert wird. Daher sollte die Berufseinstiegsbegleitung für junge Geflüchtete ausgeweitet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass eine verlässliche Beziehung zum BerEB stattfindet und diese nicht durch personelle Wechsel unterbrochen wird. (…)
## Der Übergangsbereich bietet – (…) – Bildungs- und Qualifizierungsangebote, um bestimmte Personengruppen junger Menschen
bildungspolitisch nicht abzukoppeln. Die Angebote müssen aber auf Kohärenz und
Wirksamkeit überprüft und im Hinblick auf die Förderung junger Geflüchtete weiterentwickelt
werden. Vorhandene niedrigschwellige arbeitsweltbezogene Angebote sollten zur Förderung
von jungen Menschen mit Fluchterfahrung genutzt werden, um sie für eine Ausbildung und
die Arbeitswelt vorzubereiten und zu qualifizieren. Hierzu sind berufsvorbereitende Angebote
auszubauen und vom Angebotsspektrum zu erweitern. Dies beinhaltet zum einen die
Einbindung durchgängiger Sprachförderangebote. Zum anderen sollen werkpädagogische
Angebote wie Jugendwerkstätten und Produktionsschulen, die Lebenswelt- und
Arbeitsweltthemen sowie handlungsorientiertes Lernen vereinen und durch die Marktnähe
realitätsnah Arbeitsprozesse abbilden, als Ergänzung zu den klassischen Angeboten der
Berufsvorbereitung ausgeweitet und mit durchgängigen Sprachfördermöglichkeiten
ausgestattet werden. (…)
## Die zunehmenden Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt stellen
neue Herausforderungen für die Ausbildungsvorbereitung und -förderung dar. Gerade kleine
Unternehmen und Kleinstbetriebe haben Schwierigkeiten Ausbildungsplätze zu besetzen. So
bleibt bei Kleinstbetrieben bis 19 Mitarbeiter/-innen jede dritte Ausbildungsstelle unbesetzt. Unterstützungsangebote sind daher stärker an den individuellen
Bedarfen der einzelnen jungen Erwachsenen und der einzelnen Betriebe auszurichten, um den Ausbildungserfolg junger Geflüchteter zu sichern.
## Gerade für junge Geflüchtete, die im Herkunftsland maximal eine Grundschule besucht haben, ist es sehr wichtig, die außerbetriebliche Ausbildung (BaE) auszubauen und ihnen den Zugang zu ermöglichen. Die Anzahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze in allen relevanten Berufsfeldern muss erhöht werden. Zudem muss eine intensive Sprachförderung und engmaschige sozialpädagogische Begleitung sichergestellt werden. Beim Übergang in eine reguläre Ausbildung ist die außerbetriebliche Ausbildung stärker mit anderen Instrumenten zu verzahnen und Angebote der Ausbildungsbegleitung (abH, AsA etc.) sind zu vermitteln. In der kooperativen Form können in der BaE schneller Betriebskontakte für junge Geflüchtete aufgeschlossen werden, was von Fall zu Fall zu entscheiden wäre. Auch das integrative Modell mit seiner Nähe zum regulären Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist als Ausbildungsmodell für junge Geflüchtete geeignet. (…)
## Von den jungen, 2015 registrierten Geflüchteten im Alter von 25-34 Jahren, hat jede/-r Vierte/-r (26%) nur maximal die Grundschule besucht (IAB 2016). Angebote einer breit angelegten modularen Nachqualifizierung sind hier erforderlich, um gerade jungen Geflüchteten einen anerkannten Berufsabschluss zu ermöglichen. (…)
Ausbildungserfolg sichern
„Gute“ Ausbildung fördert den erfolgreichen Abschluss einer beruflichen Ausbildung. Hierfür braucht es entsprechende Rahmenbedingungen in Betrieb und Berufsschule, u.a. einen kontinuierlichen Austausch mit den Ausbildenden und Berufsschullehrerinnen und -lehrern. Im Ausbildungsprozess gilt es Vertragslösungen zu vermeiden und alle Auszubildenden erfolgreich zum Abschluss ihrer Ausbildung zu begleiten. (…)

Auch bei jungen Menschen, die erst als Jugendliche oder junge Erwachsene nach Deutschland eingereist sind, gelingt die berufliche Ausbildung dann besonders häufig, wenn sie durchgehend eine fachliche und sprachliche Begleitung während der Ausbildung erhalten. Gerade junge Geflüchtete benötigen im Verlauf der beruflichen Ausbildung neben einer sprachlichen und fachlichen Unterstützung, lernförderliche
Ausbildungsbedingungen, um die Ausbildung erfolgreich durchlaufen und abschließen zu können.

(…) Dem Ausbildungspersonal als zentralem Ansprechpartner im betrieblichen Alltag kommt hierbei eine herausragende Rolle zu: Zur lernförderlichen Gestaltung betrieblicher Arbeits-, Lern- und insbesondere Feedbackprozesse benötigen Ausbilder/-innen Zeit und Raum. Existierende Regelungen zur flexiblen Gestaltung der dualen Ausbildung (Verlängerung, Teilzeit u.a.) sollten verstärkt genutzt werden.“

Die Veröffentlichung kann unter www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/id/8033 kostenlos heruntergeladen werden.

Link: www.bibb.de

Quelle: Bundesinstitut für Berufliche Bildung

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