PISA offenbart: von Bildungsgerechtigkeit ist Deutschland noch immer weit entfernt

Die am 6. Dezember 2016 vorgestellten PISA-Ergebnisse bestätigen Deutschland zwar eine gute Platzierung, offenbaren abera auch einen Mangel an Bildungsgerechtigkeit: ## In den Naturwissenschaften haben sich die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen seit 2006 zugunsten der Jungen um 3 Punkte vergrößert und sind jetzt mit 10 Punkten signifikant.
## In Mathematik verfügen Jungen (514 Punkte) über eine signifikant höhere Kompetenz als Mädchen (498). Diese Differenz fällt größer aus als im OECD-Durchschnitt.
## Es gibt in Deutschland weiterhin einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem sozialen Status der Eltern und den PISA-Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler.
## Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund ist von 19,9% (2006) auf 27,9% gestiegen; sie kommen aus deutlich mehr Herkunftsländern als noch 2006. Sie erreichen durchschnittlich eine niedrigere naturwissenschaftliche Kompetenz (471 Punkte) als Fünfzehnjährige ohne Zuwanderungshintergrund (532 Punkte). Besonders schwach ausgeprägt ist die Kompetenz bei Jugendlichen der sogenannten ersten Generation.
Somit „bleibt das Bemühen um eine Verringerung sozialer Disparität beim Kompetenzerwerb und bei der Bildungsbeteiligung nach wie vor eine vorrangige bildungspolitische Aufgabe“, findet Christiane Giersen, die Sprecherin des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit. „Als Jugendsozialarbeit wollen wir dies nicht akzeptieren. Ohne adäquaten Schulabschluss bleiben junge Menschen meist chancenlos beim Übergang in das Berufs- und Erwachsenenleben.“ Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit trägt mit den niedrigschwelligen Angeboten seiner Mitglieder dazu bei, herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen und Chancengleichheit zu erhöhen. „Der flächendeckende Ausbau der Schulsozialarbeit an allen Schulformen muss gerade mit Blick auf die PISA-Ergebnisse forciert werden.“ fordert Giersen.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende, Elke Hannack, fordert eine gesellschaftliche Bildungsstrategie. Die soziale Schieflage des deutschen Bildungssystems sei auch 15 Jahre nach dem PISA-Schock noch nicht behoben. Konkret fordert Hannack:
„Wir brauchen verbindliche Qualitätsstandards für die frühkindliche Bildung, einen Rechtsanspruch auf eine qualitativ hochwertige Ganztagsschule und den Ausbau der Schulsozialarbeit. Wir brauchen mehr Lehrer, Schulpsychologen und vor allem auch Sprachkurse und dafür qualifiziertes Personal.“

Mehr als 7 Millionen Menschen können nicht richtig lesen und schreiben. Rund 14 Prozent der Jugendlichen haben keine abgeschlossene Ausbildung, mehr als 45.000 verlassen in jedem Jahr die Schule ohne Abschluss. Selbst bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine drei Mal so große Chance das Gymnasium zu besuchen. Damit seien die Aufgaben klar, die es zu lösen gelte. Hannack plädierte dafür, dass Bund und Länder das Kooperationsverbot aufheben. Damit würde eine finanzielle Hilfe des Bundes zur Bewältigung dieser Aufgaben möglich.

Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann, resümiert:“„Die Ergebnisse der PISA-Studie zeigen: Auch wenn sich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler sich in den letzten Jahren verbessert haben, gibt es weiterhin Schwachpunkte. Für Selbstzufriedenheit besteht deshalb kein Anlass. Die Daten zeigen immer noch ein gravierendes Problem im Bildungswesen auf. Zwar haben sich die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien in den letzten Jahren leicht verbessert, aber sie liegen weiterhin unter dem OECD-Durchschnitt.“

Vergleichbar dem jüngst beschlossenen Hochbegabtenprogramm fordert Rossmann ein Förderprogramm für die leistungsschwächeren und benachteiligten Kinder und Jugendlichen.

Das Deutsche Kinderhilfswerk appelliert an Bildungspolitiker und Schulen, die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit zu nehmen. Aus Sicht des Verbandes weisen die Ergebnisse der neuen PISA-Studie auf die weiterhin vorhandenen Schwachstellen in Bezug auf die Chancengerechtigkeit hin. „Wenn PISA-Koordinator Andreas Schleicher feststellt, dass kein Bildungssystem langfristig erfolgreich sein kann, ohne Chancengerechtigkeit sicherzustellen, sollten wir uns das nicht nur zu Herzen nehmen, sondern endlich handeln. Wir vermissen an vielen Stellen den politischen Willen, sich dem drängenden, strukturellen Problem der schlechten Bildungschancen der von Armut betroffenen Kinder in Deutschland anzunehmen. Das bittere Problem der Bildungsbenachteiligung ist skandalös und hängt Deutschland nun schon seit so vielen Jahren nach. Fortschritte sind zwar erkennbar, reichen aber bei weitem nicht aus“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Krüger führt die erfolgreichen PISA-Länder als Positiv-Beispiel an. Diese Länder investieren auch in Kinder und Schulen mit schwierigen Rahmenbedingungen. Sie hätten entsprechende langfristige und kohärende Strategien.“

Quelle: BMBF; Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit; Deutsches Kinderhilfswerk; DGB; Ernst Dieter Rossmann MdB

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