Studie: Forscher*innen sehen große Einkommensunterschiede als Gefahr für die Demokratie

Zunehmende Armut sowie eine sich verschärfende Ungleichheit bei den Einkommen in Deutschland stellen nach Einschätzung des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung eine zunehmende Gefahr für den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie dar. Der WSI-Verteilungsbericht 2023 dokumentiert, wie sich die Kluft zwischen Arm und Reich über die letzten Jahre und Jahrzehnte verbreitert hat. Den Angaben zufolge stieg seit 2010 der Anteil armer Haushalte von 14,5 Prozent auf 16,7 Prozent im vergangenen Jahr. In den 1990er Jahren lag der Wert noch bei rund 11 Prozent. Der Anteil der reichen Haushalte schwanke in den vergangenen Jahren um 8 Prozent.

Die Verfestigung von Armut sehen die WSI-Forscher*innen als zentralen Trend in Bezug auf die Entwicklung sozialer Ungleichheit. Überdurchschnittlich oft von Armut betroffen seien Arbeitslose, Minijobber*innen, Frauen*, Alleinerziehende, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Singles und Personen mit Hauptschulabschluss oder Personen unter 25 Jahren. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. verwies schon im Monitor „Jugendarmut in Deutschland 2018“ auf das Problem der verfestigten Armut. Mindestens ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, sind auch als junge Erwachsene noch arm. Langzeitstudien des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) im Auftrag der AWO belegen, das Verharren junger Menschen in der Armutsspirale.

Bei Personen mit geringem Einkommen überwiegt ein geringes Vertrauen in staatliche oder politische Institutionen

Mit Armut geht laut dem Bericht bei vielen Betroffenen ein Gefühl geringer gesellschaftlicher Anerkennung einher. Dies führe wiederum zu einer Distanz zu staatlichen und politischen Institutionen. Mehr als die Hälfte der Armen habe nur wenig Vertrauen in Parteien und Politiker*innen. Dem Bundestag sprechen knapp unter 50 Prozent dauerhaft armer Menschen ein geringes Vertrauen aus. Rund ein Drittel vertraue dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße.

Die Autor*innen fordern mehr und wirksameres politisches Engagement gegen Armut und Ungleichheit. Aus ihrer Sicht ist das wesentlich, um die Gesellschaft zusammen- und funktionsfähig zu halten. Das Auseinanderklaffen der Lebensrealitäten von Armen und Reichen sei eine schwere Hypothek für die Gesellschaft in Deutschland.

Für den WSI-Verteilungsbericht wurden die neuesten verfügbaren Daten aus zwei repräsentativen Befragungen genutzt: dem sozio-ökonomischen Panel (SOEP) und dem Mikrozensus, die Erkenntnisse für das Jahr 2022 liefern.

 

Den Bericht lesen Sie in: Brülle, Jan; Spannagel, Dorothee: Einkommensunterschiede als Gefahr für die Demokratie. WSI Report Nr. 90, November 2023

Quellen: WSI; KNA; epd; BAG KJS; AWO

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