Migrationsgipfel von Bund und Ländern setzt auf Tempo und Konsequenz

Bund und Länder haben sich bei einem Treffen im Kanzleramt auf das weitere Vorgehen in der Migrationspolitik verständigt. Zentrale Punkte sind die stärkere Unterstützung der Länder und Kommunen bei Unterbringung und Integration, eine schnellere Aufnahme von Arbeit für Geflüchtete und eine solidarische Verteilung der Kosten. Der Beschluss sieht zudem Beschleunigungen bei Asylverfahren und Rückführungen vor, eine effizientere Zusammenarbeit der Verwaltungen sowie eine stärkere Befestigung der europäischen Grenzen und starke Kontrollen an den nationalen Grenzen.

Geflüchtete in Kategorien eingeteilt

Grundsätzlich unterscheiden Bund und Länder zwischen Geflüchteten, die einen anerkannten Schutzgrund haben, und Geflüchteten, die nach einem besseren Leben in Europa suchen. Letztere sollen Deutschland schnell wieder verlassen müssen durch konsequente Abschiebung; vor allem, wenn sie irregulär eingereist sind oder Straftaten begangen haben. Im Beschluss heißt es: „Eine der größten Hürden bei Rückführungen ist die Weigerung vieler Herkunftsländer, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen oder bei ihrer Identifizierung mitzuwirken“. Durch Migrationsabkommen mit Drittländern sollen deren Staatsbürger*innen künftig einen geregelten Zugang als Fachkräfte erhalten, wenn im Gegenzug Geflüchtete ohne Schutzstatus aus diesen Ländern zurückgenommen werden. Der Bund soll entsprechende Gespräche intensivieren.

Beschleunigung von Prozessen prüfen

Asyl- und anschließende Gerichtsverfahren sollen jeweils in drei Monaten abgeschlossen werden. Dazu wollen Bund und Länder die personellen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen. Im Fokus steht dabei, „alle Arbeitsprozesse der beteiligten Behörden und Einrichtungen so schnell und umfassend wie möglich zu automatisieren, den Datenaustausch medienbruchfrei zu gestalten und die Speicherung und Weiterverarbeitung von Daten in einheitlichen Standards umzusetzen“, heißt es im Beschluss. Durch eine bessere Koordination und reibungslose Zusammenarbeit der Behörden sollen ebenfalls die Abschiebungsmaßnahmen schneller umgesetzt werden.

Auffallend ist, dass die Passagen zur Beschleunigung von Prozessen sehr viele Prüfaufträge und gegenseitige Bitten enthalten. Aus der Perspektive vieler geflüchteter Menschen wären mehr Zusammenarbeit der Behörden und effiziente rechtsstaatliche Verfahren sinnvoll, damit Klarheit über Aufenthaltsstatus und persönliche Perspektiven bestehen.

Leistungen für Asylsuchende

Mit einer bundeseinheitlichen Bezahlkarte inklusive Mindeststandards sollen Barauszahlungen an Leistungsempfänger*innen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eingeschränkt und zugleich Verwaltungsaufwand bei Kommunen minimiert werden. Bis Januar 2024 soll eine Arbeitsgruppe ein Modell zur Einführung erarbeiten.

Zugleich stellen Bund und Länder klar, dass die Vorgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingehalten werden: „Diejenigen, deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, die aber (noch) nicht abgeschoben werden können, weil tatsächliche, rechtliche, dringende humanitäre oder persönliche Gründe entgegenstehen (Duldung), erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, heißt es in dem Beschluss. Ebenso wird klargestellt, dass anerkannte Schutzberechtigte und Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, sowie Geduldete nach 18 Monaten Aufenthalt Anspruch auf Sozialhilfe bzw. auf Bürgergeld haben, wenn sie hilfebedürftig sind.

Um dennoch Anreize für eine Sekundärmigration innerhalb Europas nach Deutschland zu senken, soll der bisherige automatische Anspruch auf die sogenannten Analogleistungen statt bisher nach 18 Monaten künftig erst nach 36 Monaten eintreten. Eine entsprechende Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes will der Bund auf den Weg bringen.

In einer Protokollnotiz äußern die Länder Thüringen und Bremen Bedenken und machen deutlich, dass der spätere Anspruch auf Analogleistungen insbesondere für Kinder integrationspolitisch kontraproduktiv sei. Auch Kindeswohlgesichtspunkte seien zu bedenken.

Bayern und Sachsen gehen die Beschlüsse zugleich nicht weit genug. Sie fordern eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik: Obergrenzen, eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU, Sachleistungen statt Geldleistungen.

Druck bei der Unterbringung

Mit Blick auf einen äußerst angespannten Wohnungsmarkt und mangelnde Kapazitäten bei der Unterbringung vereinbarten Bund und Länder Ausnahmen beim Planungsrecht. Der Bund will eine Sonderregelung im Baurecht schaffen, damit Unterkünfte schneller entstehen können. Verstärkt soll auf modulare Bauweise gesetzt werden.

Im Kontext des Treffens zwischen Ministerpräsident*innen und Bundeskanzler wurde ein „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ vereinbart, der neben anderen Punkten jene Beschleunigung für den Bau von Unterkünften und Wohnraum vorsieht. Auch bei sozialen Einrichtungen, Schulen und Kitas sollen künftig Erleichterungen von bau- und vergaberechtlichen Regelungen geschaffen werden.

Politik mit den Zahlen

Gemessen am Raum, den das Thema Flucht und Migration in der innenpolitischen und europäischen Debatte einnimmt, ist ein Blick auf die Zahlen relevant. Im Beschluss von Bund und Ländern wird festgestellt, dass die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine deutlich abgenommen habe, näher beziffert wird sie nicht. Bis Ende September seien zugleich mehr als 230.000 Menschen aus Drittstaaten nach Deutschland gekommen, die einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben. Bis Jahresende rechnet die Bundesregierung mit 300.000 Menschen, knapp 80.000 mehr als im Jahr 2022. Angesichts einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen Menschen in Deutschland stellt sich die Frage nach der Dramatik in der Zuwanderung. Denn zugleich herrscht extremer Fachkräftemangel, der sich künftig noch verstärken wird.

Die BAG KJS hat in der Position Bedingungen für eine menschenwürdige und gerechte Flüchtlings- und Migrationspolitik deutlich gemacht, dass gerade Deutschland aus historischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen eine Verantwortung für Menschen hat, die nach ihrer Flucht in Sicherheit leben wollen. Deswegen hat die BAG KJS Forderungen und Ansprüche formuliert, die besonders in der gegenwärtigen Debatte an Bund und Länder adressiert sind:

  • Die bestehende Ungleichbehandlung von geflüchteten jungen Menschen nach Herkunftsländern muss aufgelöst werden.
  • Bürokratische Prozesse müssen deutlich kürzer und bürokratische Hürden abgebaut werden, beispielsweise durch eine personelle Verstärkung der zuständigen Ämter sowie eine schnelle Digitalisierung der Ausländerbehörden in Ländern und Kommunen, um einen bundesweiten Bewegungsradius möglich zu machen.
  • Die Wahrung von Menschenrechten und Kindeswohl müssen die Leitlinien von Politik sein. Dazu ist ein effektiver Rechtsschutz in Screening, Alterseinschätzung, Zuständigkeits- und Grenzverfahren notwendig. Es darf keine Haft oder haftähnliche Unterbringung von Kindern und Jugendlichen geben.
  • Eine Überstellung von Kindern und Jugendlichen in sogenannte „sichere Drittstaaten“ muss ebenso ausgeschlossen sein wie die Überstellung von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen in den Herkunftsstaat. Es darf keine Einschnitte bei innereuropäischen Familienzusammenführungen geben.

Quellen: Bundesregierung, BAG KJS

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