Solidarisches Grundeinkommen – ein Instrument für mehr Teilhabe

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat sich für die Einführung eines solidarischen Grundeinkommens ausgesprochen. Ein solches, durch öffentliche Mittel finanziertes Grundeinkommen soll an die Aufnahme einer „gesellschaftlich relevanten“ Erwerbstätigkeit geknüpft werden. Ziel der Initiative ist, künftig „Teilhabe“ statt „Ausschluss“ zu finanzieren, und den Zusammenhalt in Zeiten von Modernisierung und Digitalisierung zu stärken. Dr. Stefan Bach und Prof. Dr. Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) stellen die zentralen Elemente des Reformvorschlags im DIW aktuell vom 13.2.2018 vor.

Alternative zu Langzeitarbeitslosigkeit

Müllers Konzept des Solidarischen Grundeinkommens (SGE) fußt auf der Grundannahme, dass Arbeit der Schlüssel für soziale Teilhabe ist. Dem gegenwärtigen System um Hartz IV soll etwas Neues entgegengesetzt werden. Insbesondere soll das Sozialsystem, das die Langzeitarbeitslosigkeit oft nur verwaltet, eine Alternative bieten. Eine zentrale Herausforderung dabei besteht darin, Menschen, die schon länger arbeitslos sind, eine nicht-prekäre Beschäftigung anbieten zu können. Die Idee des SGE basiert auf der Annahme, dass die öffentlichen Finanzmittel für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit zielführender verwendet werden können.

Definition und Funktionsweise eines SGE

  • Bach und Schupp erläutern die Grundsätze des SGE:Das solidarische Grundeinkommen erhalten ausschließlich erwerbslose Arbeitslosengeld-II-BezieherInnen, die freiwillig ein entsprechend gefördertes Arbeitsverhältnis aufnehmen. Denjenigen, die das SGE nicht in Anspruch nehmen wollen oder können, bleibt weiterhin die Alternative, ALG II oder Sozialhilfe zu beziehen oder sich auf einen alternativen Job zu bewerben.
  • Nicht jeder Job, sondern nur „gesellschaftliche“ Tätigkeiten werden mit einem Anspruch auf ein SGE öffentlich gefördert. (…)So sollen beispielsweise Dienstleistungen erbracht werden, für die es gegenwärtig keinen Markt gibt, weil diejenigen, die sie benötigen, sie nicht bezahlen können.
  • Das Beschäftigungsverhältnis wird regulär und sozialversicherungspflichtig geschlossen. Die Stellen werden ausschließlich durch kommunale oder landeseigene Unternehmen angeboten. (…)
  • Die Tätigkeit soll nicht befristet werden. Um gleichwohl Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern, werden auch Umschulungs- und Qualifizierungsangebote unterbreitet.
  • Die Vermittlung der geförderten Tätigkeiten soll von den Arbeitsagenturen durchgeführt werden mit dem Ziel, kommunale Arbeitsangebote und Arbeitssuchende zusammen zu bringen.

Im Koalitionsvertrag für eine neue Bundesregierung vom 7. Februar 2018 wird die Schaffung eines unbürokratischen Regelinstruments im SGB II angekündigt: „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“. Zur Finanzierung von bis zu 150.000 Geförderten soll jährlich zwischen 2018 und 2021 eine Milliarde Euro zur Integration in sozialversicherungspflichtig bezuschusste Arbeitsverhältnisse bereitgestellt werden. Zudem ist vorgesehen, den Ländern das Instrument des Passiv-Aktiv-Transfers zu ermöglichen.

Die Einführung des SGE setzt voraus, dass „gesellschaftlich relevante Tätigkeiten“ definiert werden. Gut vermittelte Grundkenntnisse sollen ausreichen, um diese Tätigkeiten auszuüben.

Folgende Tätigkeiten kommen für ein SGE in Betracht:

  1. HausmeisterIn in kommunalen Einrichtungen
  2. Betreuung für Kleinkinder (Babysitting) in Privatwohnungen insb. von Alleinerziehenden
  3. Betreuung von Älteren, z.B. für Besorgungen, Alltagsbegleitung
  4. Begleit- und Einkaufsdienste für erkrankte Menschen, Menschen mit Behinderung oder mit eingeschränkter Mobilität
  5. Tätigkeiten in der Flüchtlingshilfe, insbesondere Unterstützung bei der Integration
  6. Tätigkeiten in der Jugend- und Familienhilfe
  7. Beratung zu gesunder und ausgewogener Ernährung
  8. ÜbungsleiterIn-Tätigkeiten in Vereinen
  9. Tätigkeiten bei kommunalen Kulturangeboten sowie der kulturellen Bildung

Die Einführung eines SGE soll die Politik nicht von der Aufgabe entbinden, Arbeitslosen wie Beschäftigten ein umfassendes Angebot für Qualifizierung und Umschulungen anzubieten.

Modellrechnungen des DIW zeigen, ein solches Instrument könnte mit moderaten fiskalischen Kosten umgesetzt werden, sofern der Mindestlohn nicht überschritten wird und keine zu hohen Verwaltungskosten bei den Trägern bzw. Arbeitgebern entstehen. Das DIW hat eine Modellrechnung für eine alleinstehende Person sowie für ein alleinerziehendes Elternteil mit 2 jugendlichen Kindern durchgeführt.

Einkommenseffekte und fiskalische Wirkungen

Beide waren bisher nicht erwerbstätig und beziehen Arbeitslosengeld II. Sie nehmen eine SGE-Stelle auf, bei der sie 39 Stunden in der Woche arbeiten und einen Stundenlohn von 9,00 Euro verdienen. Daraus erzielen sie ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.521 Euro. Weitere Lohnbestandteile sind nicht vorgesehen, etwa Urlaubs- und Weihnachtsgeld, zusätzliche Monatsgehälter, betriebliche Altersvorsorge oder sonstige Sachleistungen.

Einschließlich Arbeitgeberbeiträge, Unfallversicherung und Umlagen ergibt sich ein Arbeitgeberbrutto von 1.847 Euro im Monat. Ferner ein pauschaler Zuschlag von 40 Prozent auf das Arbeitgeberbrutto berücksichtigt, der Sachkosten, sonstige Personalnebenkosten und Gemeinkosten der Träger für die SGE-Stelle abdecken soll. Insgesamt ergeben sich Gesamtkosten der SGE-Stelle in Höhe von 2.217 Euro im Monat oder 25.818 Euro im Jahr. Diese Kosten müssten von den Trägern aufgebracht beziehungsweise von staatlichen Förderprogrammen erstattet werden.

Die Einkommenswirkungen bei den Geförderten hängen vom Familienstand ab. Der Alleinstehende erzielt ein Nettoeinkommen von 1.154 Euro im Monat. Anspruch auf Wohngeld oder sonstige Sozialleistungen hat er bei diesem Einkommen nicht mehr. Die Alleinerziehende zahlt etwas weniger Lohnsteuer, bezieht Kindergeld sowie ergänzende Sozialleistungen (SGB II, Kinderzuschlag, Wohngeld), so dass sie insgesamt auf ein verfügbares Einkommen von 2.230 im Monat kommt. In beiden Fällen steigt das verfügbare Einkommen gegenüber dem Arbeitslosengeld II – im Fall des Alleinstehenden ohne Kinder um knapp 200 Euro im Monat, im Fall der Alleinerziehenden um knapp 400 Euro im Monat.

Insgesamt entstehen für den gesamten Staatssektor nach Abzug der zusätzlichen Steuer- und Beitragseinnahmen und unter Berücksichtigung der verbleibenden Sozialtransfers zusätzliche Kosten der SGE-Stelle von 346 Euro im Monat für den Alleinstehenden und 540 Euro im Monat für die Alleinerziehende. Im Jahr sind dies 3.364 Euro beziehungsweise 5.694 Euro.

Dem stehen die positiven Einkommenseffekte bei den Geförderten gegenüber. Der Saldo der Einkommenseffekte bei Geförderten und Staatssektor in Höhe von 148 Euro im Monat entspricht der Differenz aus gesparten Eingliederungs- und Verwaltungskosten sowie Krankenkassenbeiträgen beim ALG II einerseits und den zusätzlichen Gemeinkosten für die SGE-Stelle andererseits.

Bei einer Inanspruchnahme von 100.000 Fällen wäre mit fiskalischen Kosten von 500 Millionen Euro im Jahr zu rechnen, bei 150.000 Geförderten von 750 Millionen Euro.

Mehr zu den Analysen und Modellrechnungen des DIW lesen Sie hier oder auf www.diw.de

Quelle: DIW Berlin

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