Wie ticken Jugendliche? – die „U18“ Sinus-Jugendstudie

Zentrale Erkenntnisse der Sinus Jugendstudie
“ Die Jugend gibt es nicht. Jugendliche bewegen sich in unterschiedlichen Lebenswelten und im Gegensatz zu anderen Studien setzt die Sinus-Methode bei dieser Vielfalt an. Die … Jugend-Studie … hat sieben Lebenswelten von Jugendlichen identifiziert und geht der Frage nach, wie Jugendliche in diesen Welten ihren Alltag erleben. Die 14- bis 17-Jährigen beschreiben ihre Wertevorstellung und ihre Einstellungen zu Themen wie Schule, Berufswünschen, Glaube, Engagement und Medien. Sie schildern ihre Hoffnung, ihre Ängste, ihre Art zu leben. Die Lebenswelten (Konservativ-Bürgerliche, Adaptiv-pragmatische, Sozialökologische, Experimentalistische Hedonisten, Materialistische Hedonisten, Expeditive und Prekäre) unterscheiden sich zum Teil eklatant.

Bei allen Unterschieden zwischen den Jugendlichen fasst die Studie auch allgemeine Befunde zusammen. So gibt es zum Beispiel in allen Lebenswelten trotz unterschiedlicher Wertevorstellungen ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit, Freundschaft und Familie. Diese „Regrounding“-Tendenzen sind eine Reaktion auf gestiegenen Leistungsdruck, zunehmende Gestaltungsoptionen und die
Unsicherheit, wie sich das Leben entwickeln wird. Den meisten Jugendlichen ist bewusst, dass ihre Berufs- und Lebensaussichten unsicher sind. Deshalb verhalten sich viele wie „Mini-Erwachsene“, die immer früher damit beginnen (müssen), das Leben und die Karriere aktiv zu gestalten.

Politikverdrossenheit herrscht bei Jugendlichen nur auf den ersten Blick: Sie interessieren sich kaum für institutionalisierte Politik, Parteien oder Verbände. Fasst man den Politikbegriff aber weiter, sind die Jugendlichen sehr wohl politisch. Sie kritisieren Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, sind bereit sich für andere einzusetzen und engagieren sich gegen konkrete soziale Probleme im eigenen Umfeld. Zwar haben vor allem die „bildungsnahen“ Jugendlichen Interesse an politischen Themen, aber viele sozial benachteiligte Jugendliche äußerten sich über die konkreten Beschreibungen von Ungerechtigkeiten, da sie um diese Themen in ihrem Alltag gar nicht herumkommen.

Schule und Lernen
Nahezu alle Jugendlichen wünschen sich kompetente, empathische Lehrer mit Ausstrahlung, die Verständnis für die Lebenswirklichkeit ihrer Schüler zeigen. Sie wollen individuell gefördert werden und praxisnah lernen. Wie wichtig die Orientierung von Schule an der Lebenswelt ist, macht ein Blick auf die Jugendlichen aus prekären Verhältnissen deutlich: Für sie sind Schule und Unterricht kaum anschlussfähig an ihre Alltagserfahrungen. Schule verbinden sie mit Zwang, Misserfolg, Ausgrenzung und Konflikten. Die Motivation, sich anzustrengen, ist vergleichsweise gering, weil für diese Jugendlichen kein lohnendes Ziel erkennbar ist. Erfolgserlebnisse beim Lernen haben sie eher abseits von Schule, zum Beispiel, wenn Songtexte oder Choreografien gelernt werden.

Berufliche Orientierung
Die heutigen Anforderungen an Kinder und Jugendliche sind hoch. Die Studie zeigt, welchem Leistungs- und Zeitdruck sich die junge Generation ausgesetzt sieht. Davon lassen sich insbesondere Jugendliche aus dem prekären Milieu entmutigen. Sie glauben, sowieso keine Chance auf eine gute Berufsausbildung und ein Arbeitsverhältnis zu haben oder träumen von realitätsfernen Karrieren als Fußballprofi oder Star. Das heißt, viele Jugendliche wissen gar nicht, dass die Gesellschaft sie braucht. Der Mehrheit der Jugendlichen ist nicht bewusst, dass Unternehmen auf Grund des demografischen Wandels dringend Fachkräfte benötigen. Die Bereitschaft, sich für einen Schulabschluss anzustrengen oder sich über die Anforderungen des Ausbildungsmarktes schlau zu machen, ist dementsprechend gering.

Glaube, Religion, Kirche
Die Studie stellt fest: Glaubensangebote sind dann attraktiv, wenn der Grad institutioneller Einbettung gering ist. Für Jungendliche sind Freunde und Familie am wichtigsten. Sinnfindung kann von Kirche nicht befriedigt werden. Das liegt u.a. daran, dass die normative Grundhaltung der Kirche keinen Bezug zum Leben der Jugendliche hat. Sie kritiesieren einen fremdartige Sprache und vermissen Antworten zu Themen des Alltags.

Die Jugend von heute gibt es nicht: Vielfalt erkennen
Wer DIE Jugend sucht, findet in der Studie eine ganze Bandbreite an Wertvorstellungen, Stilen, Orientierungen und Szenen. Das einfachste und zugleich schwierigste Ergebnis der Studie ist, dass es die Jugend nicht gibt. Jugendwelten in Deutschland sind vielfältig, zum Teil gegensätzlich. Wer das versteht und danach handelt, hat viel gewonnen.

Sozial Benachteiligte werden ausgegrenzt
Diejenigen, die dem gesellschaftlich vorgegebenen Tempo nicht standhalten, stehen mehr denn je in der Gefahr, abgehängt zu werden. Mit der Lebenswelt der „Prekären“ wird erstmals offensichtlich, was es für Jugendliche heißt, unter schwierigsten Bedingungen zu leben.

Besorgnis erregend ist die Tendenz einer Entsolidarisierung. Die leistungsstarken und finanziell meist gut ausgestatteten Jugendlichen sind mehrheitlich an ihrem eigenen Fortkommen interessiert.

Die Studie stellt fest, junge Menschen aus höheren gesellschaftlichen Schichten würden sozial Benachteiligte oft ausgrenzen und ihnen vorwerfen, sich nicht genügend zu engagieren und den Wohlstand im Land zu gefährden. Studienautor Marc Calmbach erzählt von deutlichen Antworten in Interviews. So gebe es beispielsweise Jugendliche, die sagten: „Ich würde die Hartz-IV-Leute, die zu Hause sitzen und keine Lust zum Arbeiten haben, dazu verdonnern, Arbeiten zu müssen. Leute aus niedrigem Stand, unterem Stand, die sich verhalten, als wären sie sonst wer. Das sind zum größten Teil Ausländer, die sich so verhalten, als könnten sie alles und die Welt beherrschen.“

Die Studie erscheint zunächst im Verlag Haus Altenberg und ist ab 1. April im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-7761-0278-9). Im Herbst kommt die Studie als Band in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb heraus. Sechs Institutionen haben die Untersuchung beim Heidelberger Sinus-Institut in Auftrag gegeben. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, das Bischöfliche Hilfswerk Misereor, die Bischöfliche Medienstiftung der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Südwestrundfunk.

www.bdkj.de/bdkjde/newsansicht/article/jugendliche-aus-prekaeren-verhaeltnissen-werden-ausgegrenzt.html
www.bdkj.de/bdkjde/themen/sinus-jugendstudie.html
www.bpb.de/presse/125753/jugendliche-aus-prekaeren-verhaeltnissen-werden-ausgegrenzt
www.sinus-institut.de

Quelle: Sinus-Institut; BDKJ; bpb; Misereor; deutsche Kinder- und jugendstiftung; tagesschau.de

Dokumente: Bestellformular_Sinus_Studie.pdf

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