So ticken Jugendliche 2016

Jugendliche wollen sich nicht abheben und möchten sein wie alle – das ist ein zentrales Ergebnis der neuen Sinus-Jugendstudie „Wie ticken Jugendliche 2016?“ Für die Studie des Sinus-Instituts wurden 72 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren zu ihren Einstellungen in Tiefeninterviews ausführlich befragt, etwa zu den Themen digitale Medien, Liebe und Partnerschaft sowie Glaube und Religion. Die Jugendlichen in Deutschland wollen sich den Experten zufolge kaum mehr abgrenzen und streben gemeinsame Werte wie etwa Freiheit, Aufklärung und Toleranz an. Christliche Jugendliche zeigten sich weniger stark an einen institutionellen Rahmen gebunden als muslimische Gleichaltrige; Glaubens- und Sinnfragen beschäftigten jedoch alle Befragten. Mit Blick auf den Glauben sei ein gemeinsamer Wertekonsens wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, heißt es. Die Akzeptanz von Vielfalt nimmt laut Studie, die im Spätsommer 2015 durchführt wurde, immer mehr zu. So unterstützten die meisten Jugendlichen Zuwanderung und forderten mehr Engagement für Integration. Jedoch hätten vor allem Jugendliche aus benachteiligten Lebenswelten unbewusst Vorbehalte gegenüber anderen Nationen.

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj) gehören zu den Auftraggebern der SINUS-Jugendstudie. Dadurch konnten drei Themenkomplexe vertieft erforscht werden: „Glaube & Religion“, „Umweltschutz, Klimawandel & Kritischer Konsum“ sowie „Liebe & Partnerschaft“. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb hatte das SINUS-Institut beauftragt, 14- bis 17-Jährige vertiefend zu Themenfeldern zu befragen, die für die Entwicklung von Angeboten politischer Bildung relevant sind. Ebenfalls zu den Auftraggebern zählen die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Akademie des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV Akademie). Für die VDV Akademie brachte die Studie wichtige Ergebnisse zum Thema Mobilität: Ganzheitliche Mobilitäts-Apps, komfortable Fahrzeuge und ÖPNV als Kommunikationsraum sind Wünsche der jungen Menschen, an denen sich die Verkehrsunternehmen orientieren wollen.

Die wichtigsten Erkenntnisse der Sinus-Jugendstudie „Wie ticken Jugendliche 2016“:

„(…) Wunsch nach Orientierung und Sicherheit

Der Begriff „Mainstream“ ist bei den meisten Jugendlichen kein Schimpfwort, sondern – im Gegenteil – ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung. Viele wollen mehr noch als vor wenigen Jahren so sein „wie alle“. Ein mehrheitlich gemeinsamer Wertekanon vor allem aus sozialen Werten deutet auf eine gewachsene Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung in den zunehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt hin. Dem entsprechen auch ihre generelle Anpassungsbereitschaft und selbstverständliche Akzeptanz von Leistungsnormen und Sekundärtugenden. Dieser „Neo-Konventionalismus“ gilt gleichermaßen für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund, ausgenommen sind lediglich die postmodern geprägten Lebenswelten. Dennoch werden weiterhin auch jugendtypische Werte wie der Wunsch nach Selbstentfaltung sowie hedonistische und postmoderne Werte betont, je nach Lebenswelt in unterschiedlich starker Ausprägung.

Großteil akzeptiert Vielfalt, Einzelne äußern Vorbehalte

Junge Menschen interessiert und beschäftigt das Thema Flucht und Asyl: Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten in Deutschland ist eine wichtige Erkenntnis, dass der überwiegende Teil der Befragten die Aufnahme von Geflüchteten befürwortet, Zuwanderung unterstützt, Toleranz zeigt und mehr Engagement für eine gelungene Integration fordert. (…) Teilweise bestehen dennoch nach wie vor manifeste Vorbehalte gegenüber anderen Nationen. (…) Bei (…) Jugendlichen (…) in den benachteiligten Lebenswelten, ist das positive Bild einer pluralen, vielfältigen Gesellschaft (noch) nicht fest als soziale Norm verankert. (…)

Mit religiöser Vielfalt leben

(…) Religiöse Toleranz ist ein Wert, der in allen Lebenswelten hochgehalten wird. Jugendliche sind zunehmend mit religiöser Vielfalt im Freundeskreis und im weiteren Umfeld konfrontiert, die Akzeptanz dieser Vielfalt gehört für sie zum Alltag. Ein gemeinsamer Wertekanon ist ihnen wichtig, religiöse Begründungen für Einstellungen, die sie als intolerant wahrnehmen, werden von den Jugendlichen nicht akzeptiert. Auch religiöse Begründungen für Gewalt und Terror werden von allen Jugendlichen verurteilt. (…) Für jugendliche Angehörige einer Glaubensgemeinschaft ist es kein Thema, diese zu verlassen. Vor allem christliche Jugendliche unterscheiden zwischen persönlichem Glauben und der religiösen Institution, während die Religion für die muslimischen Befragten auch für ihr Selbstverständnis eine tragende Rolle spielt. (…) Jugendliche sind an Sinnfragen interessiert, aber skeptisch gegenüber Religionsgemeinschaften als Institutionen. (…) Religiöse Heterogenität im Freundeskreis wird akzeptiert, wichtig ist jedoch, dass es eine gemeinsame Wertebasis gibt. (…)

Bindung statt Beliebigkeit

Beziehung ist ein wichtiges Thema für Jugendliche, dem sie sich vorsichtig annähern. Sie betrachten eine Liebesbeziehung als etwas Großes und Exklusives, dem sie auch gewachsen sein wollen. Wechselnde Partnerschaften und unverbindliche Beziehungen sind bei den meisten Jugendlichen über alle Lebenswelten hinweg schlecht angesehen. (…) Unterschiede gibt es aber sehr wohl bei den Vorstellungen der Jugendlichen, wann eine Familiengründung angestrebt wird: Jugendliche aus Lebenswelten mit traditioneller Wertorientierung streben eine frühe Familiengründung an. Adaptiv-Pragmatische Jugendliche wollen zuerst wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, während in den postmodernen Milieus eine Familiengründung in eine noch nicht geplante Zukunft verschoben wird. Ebenso gibt es Unterschiede bei der Frage nach den Rollen in einer Beziehung: Je höher der Grad an formaler Bildung ist, desto eher wird eine Beziehung angestrebt, bei der beide auf gleicher Augenhöhe agieren. Je traditioneller die Wertorientierung ist, desto eher werden in einer Beziehung auch Kompromisse eingegangen, das Paar über das Individuum gestellt und (Lebens-)Pläne aufeinander abgestimmt. (…)

Digitale Sättigung

Aus Perspektive der Jugendlichen ist der Höhepunkt der digitalen Durchdringung des eigenen Alltags erreicht. Die bislang als jugendtypisch eingeordnete, bedingungslose Faszination ist geschwunden. Jugendliche kennen die Risiken (z.B. Überwachung, unkontrollierte Datennutzung) und möchten digitale Medien nicht nur nutzen, sondern auch verstehen. Deshalb wünschen sie sich von der Schule weniger gefahrenzentrierten Unterricht und mehr Hilfestellungen, wie sie sich sicher und trotzdem frei im Netz bewegen können. Digitale Kompetenzen sind in den Lebenswelten immer noch unterschiedlich ausgeprägt. Doch gerade sie sind zunehmend relevant für soziale Teilhabe und berufliche Zukunft. (…)“

Die Charakeristik der U18 Sinus-Lebenswelten:

  • Konservativ-bürgerliche Lebenswelt – Die familien- und heimatorientierten Bodenständigen mit Traditionsbewusstsein und Verantwortungsethik.
  • Sozialökologische Lebenswelt – Die nachhaltigkeits- und gemeinwohlorientierten Jugendlichen mit sozial-kritischer Grundhaltung und Offenheit für alternative Lebensentwürfe
  • Expeditive Lebenswelt – Die erfolgs- und lifestyle-orientierten Networker auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen.
  • Adaptiv-pragmatische Lebenswelt – Der leistungs- und familienorientierte moderne Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft.
  • Materialistisch-hedonistische Lebenswelt – Die freizeit- und familienorientierte Unterschicht mit ausgeprägten markenbewussten Konsumwünschen
  • Prekäre Lebenswelt – Die um Orientierung und Teilhabe bemühten Jugendlichen mit schwierigen Startvoraussetzungen und Durchbeißermentalität Merkmale wie Benachteiligung, Beeinträchtigung oder Behinderung spielten bei der Auswahl der Befragten keine Rolle. Es wurde darauf verzichtet gezielt junge Menschen mit solchen Merkmalen zu befragen.“

Quelle: Pressekonferenz-Veröffentlichung Sinus-Studie; KNA

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