Trotz des grundsätzlichen Einverständnisses mit der Ermittlungsmethode formuliert der Deutsche Caritasverband (DCV) in seiner Stellungnahme grundlegende Bedenken zur derzeitigen Berechnung der Regelbedarfe:
## Umgang mit Daten mit niedriger Validität
## Fehlende Flexibilitätsreserve im Regelbedarf
## Weiße Ware als einmalige Leistung
## Kostenübernahme für eine Sehhilfe
## Strom im Regelbedarf
## Abgrenzung der Regelbedarfsstufen 1, 2 und 3
## Besonderheiten bei den Regelbedarfsstufen 4 bis 6 für Kinder und Jugendliche
## Temporäre Bedarfsgemeinschaften
Auszüge aus der Stellungnahme des DCV:
„(…) Wahl der Referenzgruppe im Statistikmodell
Die Wahl der Referenzgruppe bestimmt, wessen Lebensstandard als Maßstab für die Bemessung des Regelbedarfs dient. Sie ist die Gruppe, deren Ausgaben die Höhe des Regelbedarfs bestimmen. (…) Der Deutsche Caritasverband fordert die Beibehaltung der alten Referenzgruppe: die unteren 20 Prozent der nach ihrem Einkommen geschichteten Ein-Personen-Haushalte (ohne Empfän-ger/-innen von Leistungen des SGB II und SGB XII). Bis Ende 2010 wurde der Regelbedarf von den Ausgaben dieser Gruppe abgeleitet. (…)
Der Deutsche Caritasverband fordert, die verdeckt armen Menschen (also Menschen, die ihren Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nicht wahrnehmen und somit mit einem Einkommen unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben) aus der Referenzgruppe herauszunehmen. Auch wenn es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einbeziehung verdeckt armer Menschen gibt, hat der Gesetzgeber einen sozialpolitischen Auftrag, für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen. (…) Der Deutsche Caritasverband hält es darüber hinaus für geboten, dass auch Personen, die über ein Erwerbseinkommen von bis zu 100 Euro verfügen und ihren weiteren Lebensunterhalt durch den Regelbedarf decken, aus der Referenzgruppe herausgenommen werden. Der Betrag von 100 Euro ist ein pauschaler Freibetrag, der Aufwendungen abdecken soll, die nicht im Regelbedarf abgebildet sind. (…)
Fehlende Flexibilitätsreserve im Regelbedarf
Der Regelbedarf ist eine Pauschale. Das bedeutet: Wenn eine Person in einem Monat z. B. wegen einer Krankheit mehr Geld für nichtverschreibungspflichtige Medikamente ausgeben muss oder wenn eine größere Anschaffung ansteht, muss an anderen Ausgaben gespart werden. Dies gelingt aber häufig nicht, da der Regelbedarf zu wenig finanziellen Spielraum dafür bietet.
Der Deutsche Caritasverband schlägt vor, eine Flexibilitätsreserve in die Regelbedarfsbemessung einzuführen. Dies sollte in einer Größenordnung von fünf Prozent des Regelbedarfs der jeweiligen Regelbedarfsstufe geschehen. So könnte das Prinzip des internen Ausgleichens und Ansparens ohne die Gefahr einer Unterdeckung des Existenzminimums umgesetzt werden.
Weiße Ware als einmalige Leistung
Die tatsächlichen Anschaffungskosten für Kühlschränke, Waschmaschinen und Herde lassen sich über ein Statistikmodell nicht zufriedenstellend ermitteln. Ein Ansparen für die Reparatur oder den Kauf eines Ersatzgeräts ist angesichts der großen Differenz des eingerechneten Betrags zu den tatsächlichen Anschaffungskosten nicht realitätsgerecht. Auch die Möglichkeit eines Darlehens über § 24 SGB II ist unter den aktuellen Bedingungen nicht zielführend. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht hier die Gefahr einer Unterdeckung. Deshalb schlägt der Deutsche Caritasverband vor, dass Kühlschränke, Waschmaschinen und Herde im Bedarfsfall als einmalige Leistungen gewährt werden.
Kostenübernahme für eine Sehhilfe
Die Kosten einer Brille müssen bislang in der Regel aus dem Regelbedarf gezahlt werden. Diese seltenen, aber relativ hohen Anschaffungskosten fließen über das Statistikmodell nicht bedarfsdeckend in den Regelbedarf ein. (…) Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat erkannt, dass es zu einer Unterdeckung kommen kann, „wenn Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden können noch anderweitig gesichert sind“. Die Caritas schlägt daher vor, die Kosten für notwendige Sehhilfen als einmalige Leistung zu gewähren. (…)
Strom im Regelbedarf
Der Anteil für Strom im Regelbedarf ist nach Ansicht des Deutschen Caritasverbandes zu niedrig bemessen. Er muss auf Grundlage des tatsächlichen Stromverbrauchs von Grundsicherungsempfängern ermittelt werden. Auch der Schlüssel, nach dem die Strombedarfe auf die Haushaltsmitglieder verteilt werden und der für die Bemessung der Kinderregelbedarfe maßgeblich ist, ist überholt. (…) Legt man der Berechnung des Stromanteils im Regelbedarf den tatsächlichen durchschnittlichen Verbrauch der Grundsicherungsempfänger zugrunde, muss der Regelbedarf in den Stufen 1 und 6 angehoben werden. (…)
Besonderheiten bei den Regelbedarfsstufen 4 bis 6 für Kinder und Jugendliche
Die Regelbedarfsstufen 4 bis 6 gelten für Kinder und Jugendliche und sind altersabhängig gestaffelt. Sie werden – (…) – auf Basis des Statistikmodells unter Verwendung der EVS ermittelt. Für die Gruppe der sechs bis 14jährigen Kinder (Regelbedarfsstufe 5) hat sich aus der EVS 2013 mit 21 Euro die im Vergleich zu den anderen Regelbedarfsstufen größte Erhöhung ergeben. (…)
Auch die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche sind Teil des soziokulturellen Existenzminimums. § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II muss nach Ansicht des BVerfG verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass ein Anspruch auf Fahrtkosten zu den Bildungs- und Teilhabeangeboten besteht. Der Gesetzentwurf sieht eine Eigenbeteiligung für Schülerbeförderung von 5 Euro als zumutbar an. Auch bei der Mittagverpflegung ist ein Eigenanteil von 1 Euro vorgesehen. Die im Regelbedarf vorgesehen Ausgaben für Verkehr variieren zwischen 13,28 Euro (Jugendliche 14-18) und 26,49 Euro (Kinder 6-14). Ein pauschaler Abzug von 5 Euro wird dem Einzelfall damit nicht gerecht, da die Personen je nach Altersgruppe unterschiedlich stark belastet werden. Zudem löst die Entscheidung über die Eigenbeteiligung einen hohen Verwaltungsaufwand aus. (…) Der Deutsche Caritasverband schlägt aus den genannten Gründen vor, die Eigenanteile bei Schülerbeförderung und Mittagessen zu streichen. (…)
Folgen einer Erhöhung des Regelbedarfs
Der Regelbedarf muss so ausgestaltet sein, dass er das soziokulturelle Existenzminimum sichert. Dazu gehört auch ein Mindestmaß an Teilhabe. Der Deutsche Caritasverband hält aus den oben genannten Gründen den derzeitigen Regelbedarf für zu niedrig bemessen.
Ein erhöhter Regelbedarf führt zu höheren fiskalischen Kosten – auch weil mehr Menschen anspruchsberechtigt werden. Der Deutsche Caritasverband weist darauf hin, dass ein Anstieg der Bezieher von Grundsicherungsleistungen infolge der Ausweitung dieser Leistungen nicht dahingehend interpretiert werden darf, dass die Armut gewachsen ist. Wenn also nach der Erhöhung mehr Menschen Grundsicherungsleistungen erhalten, dann wird bei diesen Menschen Einkommensarmut bekämpft bzw. ihre Einkommenssituation verbessert (Bezieher von ergänzendem ALG II).
Neben der Forderung nach der Teilhabesicherung von Beziehern der Grundsicherungsleistungen regt der Deutsche Caritasverband an, weiter nach Mitteln und Wegen zu suchen, die die Aufnahme von Beschäftigung erleichtern. So muss die aktive Arbeitsmarktpolitik auch für Menschen aufrechterhalten werden, die sich im verhärteten Kreis der Langzeitarbeitslosen befinden. Hierzu ist eine Weiterentwicklung der Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik erforderlich, (…). Es muss aber auch nach Modellen gesucht werden, die die Passung zwischen Grundsicherungssystem und Arbeitsmarkt – insbesondere dem Niedriglohnbereich – verbessern.
Insbesondere ist bei einer Erhöhung der Regelbedarfe für Kinder auch die Höhe des Kinderzuschlags zu überprüfen. Er muss in seiner Höhe so ausgestaltet sein, dass er zusammen mit dem Wohngeldanteil für das Kind und dem Kindergeld die Hilfebedürftigkeit des Kindes vermeidet. Nur dann ist sichergestellt, dass Eltern nicht nur deswegen hilfebedürftig werden, weil sie Kinder haben. (…)“
Die Stellungnahme in vollem Textumfang entnehmen Sie dem Anhang.
Quelle: Deutscher Caritasverband
Dokumente: DCV_Stellungnahme_RBEG_18_9984_AsylblG_18_9985.pdf