Qualifizieren statt aktivieren: mehr Arbeitslose wirkungsvoll fördern

Die Arbeitnehmerkammer Bremen legt eine Studie zur Förderung beruflicher Weiterbildung für Arbeitssuchende vor: Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen – allerdings haben Hartz-IV-Arbeitslose von dieser Entwicklung deutlich weniger profitiert. Jeder zweite Arbeitslose im Hartz-IV-System ist langzeitarbeitslos. Die Chancen auf einen Job haben sich inzwischen wieder verschlechtert: Bundesweit gelang im Jahr 2012 monatlich nur 3,2 Prozent der Arbeitslosen im Hartz-IV-System der Sprung in eine Beschäftigung. Es drohen diejenigen zurückzubleiben, die auf umfassende Qualifizierung angewiesen sind. Die Studie der Arbeitnehmerkammer unter dem Titel „Qualifzieren statt aktivieren“ rückt die Frage der Qualifzierung von Arbeitslosen in den Mittelpunkt. Sie macht deutlich, dass vor allem abschlussbezogene Weiterbildungen nötig sind, damit Erwerbslose eine reale Chance auf Beschäftigung erhalten.

Auszüge aus der Studie „Qualifizieren statt aktivieren“ der Arbeitnehmerkammer Bremen:

Durch Vermittlung eines  Berufsabschlusses die Chancen für Un- und Angelernte verbessern

„Besonders betroffen von Arbeitslosigkeit sind Menschen ohne anerkannte Berufsausbildung. Sie werden auf dem deutschen Arbeitsmarkt zunehmend abgedrängt, weil Arbeitsplätze verloren gehen, die keine formale Berufsausbildung erfordern. Zudem bevorzugen Arbeitgeber auch für einfache Tätigkeiten oft Beschäftigte mit Berufsabschluss. (…) Und selbst wenn der Sprung aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung gelingt, ist diese oft prekär, niedrig entlohnt und wenig nachhaltig. (…)

Um den harten Kern der Arbeitslosigkeit aufzulösen, hält die Studie eine Qualifizierungsoffensive für dringend geboten. Die Vermittlung eines Berufsabschlusses für Un- und Angelernte verbessert nicht nur die Beschäftigungschancen, die Beschäftigungen sind auch stabiler und nachhaltiger und die Aufstiegschancen am Arbeitsmarkt erhöhen sich. „Hier ist der Bundesgesetzgeber gefordert, die Weichen so zu stellen, dass in den Regionen und damit auch in Bremen eine Qualifzierungsoffensive gestartet werden kann“, appelliert Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen. (…)

Kurskorrekturen in der arbeitsmarktpolitischen Ausrichtung des Bundes

(…) Grundsätzlich richten die Jobcenter bundesweit ihre Praxis auf die vom Bund gesetzten Rahmenbedingungen aus. Zwei gesetzliche Regelungen prägen seit Jahren die Praxis der Arbeitsförderung. Zum einen der Vorrang der Vermittlung vor Förderleistungen sowie der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Die Geschäftspolitik der Arbeitsverwaltung ist auf eine schnelle Arbeitsmarktintegration ausgerichtet, was Aspekte von Qualifikationsaufbau, Aufstiegsmobilität, nachhaltiger Beschäftigung und Einkommenschancen abschwächt. Verstärkt wird das Vermittlungsprimat im geschäftspolitischen Handeln durch Controlling- und Benchmarkinginstrumente, die die lokalen Einheiten der Arbeitsverwaltung in einen Wettbewerb um Vermittlungszahlen führen. Dieser Wettbewerb wird bis auf die Handlungsebene der Vermittlerinnen und Vermittler weitergegeben, deren Teamleistung in der Vermittlung systematisch gemessen wird.

Der Vorrang der Vermittlung in ungeförderte Ausbildung ist im Sinne einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt auf jeden Fall sinnvoll, in der Praxis ist jedoch die Vermittlung in kurzfristige Beschäftigung an der Tagesordnung, vermittelt wird zu großen Teilen in Leiharbeit und in nicht existenzsichernde Niedriglohnarbeit. Langfristige und abschlussbezogene Weiterbildungen jedoch geraten durch das Vermittlungsprimat und ebenso durch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ins Hintertreffen.

Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verengt Arbeitsförderung auf die betriebswirtschaftliche Effizienz des Instrumenteneinsatzes und vernachlässigt ihre qualitativen Potenziale. Dies zeigt konkret die Reduzierung der Förderfälle für Weiterbildung und insbesondere für Umschulungen seit dem Jahr 2003. (…)

Ein Recht auf Förderung

Für die zukünftige Praxis der Weiterbildungsförderung ist es zentral, dass rechtliche Ansprüche klar definiert werden. In Sinne einer dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt bestehen besondere Fördergründe für eine abschlussbezogene Weiterbildung nach den §§ 81, 112 SGB III für folgende Gruppen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung oder mit einer Berufsausbildung, die aufgrund einer jahrelangen an- oder ungelernten Tätigkeit veraltet ist, sowie Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben können.

Die Regelung umfasst Beschäftigte und erwerbsfähige Leistungsberechtigte, darunter auch die Gruppe der Erwerbstätigen, die ergänzende Leistungen im Rechtskreis SGB II beziehen – also sogenannte Aufstocker. (…) Mit der Festlegung eindeutiger Rechtsansprüche würde deutlich gemacht, dass die Verantwortung der Arbeitsverwaltung nicht nur bei der Anpassung vorhandener Kenntnisse, sondern auch in der flächendeckenden Förderung von Berufsabschlüssen liegt. (…) Eine Konkretisierung im beschriebenen Sinne würde das Spannungsverhältnis zwischen abschlussbezogener Weiterbildung und Vermittlungsprimat sowie betriebswirtschaftlicher Effizienz neu gewichten und damit einen Strategiewandel in der Qualifikationsförderung auslösen.

Nun folgt ein Anspruch von Arbeitslosengeld-II-Empfängern auf Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nicht aus den §§ 81, 112 SGB III, sondern aus dem § 16 SGB II, wonach Leistungen zur beruflichen Weiterbildung nach dem Vierten Abschnitt des SGB III erbracht werden ›können‹, aber nicht müssen. Da jedoch Arbeitslosengeld-II-Empfänger betreffend ihrer Chancen auf Integration in den ersten Arbeitsmarkt nicht im Vergleich zu Arbeitslosengeld-I-Empfängern benachteiligt werden sollen, gilt auch für geringqualifizierte Arbeitslosengeld-II-Empfänger die ›Notwendigkeit‹ einer berufsqualifizierenden Maßnahme. (…)

Gute Rahmenbedingungen für Arbeitsuchende

Grundlage für eine gute Förderung ist eine unbelastete Beratungssituation in den Jobcentern, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berufliche Orientierung und eine freie Berufswahl ermöglicht. Grundsätzlich sollen daher finanzielle Sanktionen in dem gesamten Beratungsprozess ausgeschlossen werden. Da Bildungsprozesse nur gelingen können, wenn die Lernenden motiviert sind, muss in der Beratung und Förderung eine zwangsweise Zuweisung in Qualifizierungsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Das heißt auch, dass Arbeitsuchende, die nicht an standardisierten Aktivierungsmaßnahmen oder Arbeitsgelegenheiten teilnehmen wollen, nicht finanziell sanktioniert werden dürfen. (…)

Zentral für eine individuelle Förderung ist die Ausgestaltung der FbW-Maßnahmen an individuellen Bedarfen. Mittels praxisbezogener Eignungsfeststellungen können individuelle Kapazitäten zur Bewältigung einer Umschulung bestimmt werden. Viele Teilnehmende mit Kindern oder zu pflegenden Angehörigen oder auch Teilnehmende, die schon längere Zeit nicht mehr an formales Lernen gewöhnt sind, haben Probleme, das Lernpensum einer per Gesetz verkürzten Umschulung zu bewältigen. Möglich sind hier gesetzliche Ausnahmeregelungen, die Umschulungen auch in der regulären Ausbildungszeit zulassen. (…)“

Quelle: Netzwerk Weiterbildung

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