Fördert Jugendsozialarbeit die Persönlichkeitsentwicklung „durch die Hintertür“?

Jugendsozialarbeit und in diesem Rahmen insbesondere die Jugendberufshilfe machen jungen Menschen Angebote, die auf deren berufliche Weiterentwicklung fokussieren, jedoch auch darüber hinausgehen. Das Tätigkeitsfeld bietet einen Ort des Lernens im Sinne von berufsfachlichem Kompetenzzuwachs und betrifft die Entwicklung anderer Persönlichkeitsanteile der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Im Kontext der Betreuung durch Fachkräfte lernen sie Dinge über sich als Person und über ihr Leben. In die Beratung bringen sie ihre Erfahrungen von Versäumnissen, Behinderungen, Verlusten, Hemmnissen und Schwierigkeiten mit, auch wenn sie sie nicht immer direkt verbalisieren. So werden die multiplen Problemlagen automatisch zum Gegenstand der „Arbeitsbeziehung“ und fordern zum Handeln auf.

Die Studie „Jugendsozialarbeit als Lernort zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung“ fragt explizit nach der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen im Rahmen von Beratungskontexten der Jugendsozialarbeit. Exemplarisch wurde das Tätigkeitsfeld Kompetenzagentur ausgewählt. Es werden pädagogische Unterstützungsformen, die auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen Auswirkung haben, herausgearbeitet. Damit soll die Studie dem Feld Hinweise für die Weiterentwicklung sozialpädagogischen Handels zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von benachteiligten Jugendlichen geben.

Die Erhebung geht davon aus, dass sich junge Erwachsene im Übergang Schule-Beruf in einer Lebensphase befinden, in der sie spezifische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen haben, um sich als Person weiterentwickeln und schließlich „erwachsen“ werden zu können. Erwachsensein wird verstanden als Reifung zu einem vollständigen Mitglied der Gesellschaft und der Befähigung, am gesellschaftlichen Leben uneingeschränkt teilhaben zu können. Der Fokus der Jugendberufshilfe liegt zwar nicht auf der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Erwerbsarbeit suchenden Jugendlichen, jedoch geht die Studie davon aus, dass sie zwangsläufig bzw. automatisch „mitgefördert“ wird, weil junge Menschen ansonsten nicht mündig und selbstständig werden können. Jugendberufshilfe trägt somit einen Teil dazu bei, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, wenn dies auch nicht immer bewusst geschieht. Auf der Basis dieser Grundannahmen wurden folgende Thesen für die Untersuchung entwickelt: ##Fachkräfte der Jugendsozialarbeit sind aufgrund der Veränderungen in der Gesellschaft (Sozialer Wandel, ökonomische Unsicherheiten, demografischer Wandel, Diktat der Ökonomie), zunehmend gezwungen, ihren Blick zu verengen auf die „Verwertbarkeit“ junger Erwachsener für den Arbeitsmarkt.
##Junge Erwachsene erwerben im Rahmen der Jugendberufshilfe Kompetenzen, die über beruflich „verwertbare“ Kompetenzen und den Erwerb der sogenannten Berufsfähigkeit hinausgehen.
##Fachkräfte unterstützen junge Erwachsene nicht nur in Fragen ihrer beruflichen Orientierung, sondern leisten – möglicherweise nach außen nicht sichtbare – Arbeit, die auf deren Persönlichkeitsentwicklung Einfluss hat.
##Orte der Jugendsozialarbeit, insbesondere der Jugendberufshilfe, sind „Lernorte“ für Jugendliche und junge Erwachsene im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsentwicklung.

Auszüge aus den Ergebnissen der Studie Jugendsozialarbeit als Lernort zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Dr. Gabriele Knapp:
Die Fachkräfte arbeiten weitgehend nach den Vorgaben des Programms der Kompetenzagenturen. Sie verstehen ihre Arbeit als Dienstleistung für die Jugendlichen, denen sie Beratung, Unterstützung und Hilfe anbieten. Sie wissen, dass es für ihre Zielgruppe keine Patentrezepte, pauschalen Angebote oder schnellen Lösungen gibt. Sie setzen daher direkt bei den individuellen Bedürfnissen und Ressourcen der Jugendlichen an. Die Fachkräfte nehmen die Jugendlichen in ihrer je eigenen Besonderheit an und nehmen sie ernst. …

Junge Menschen werden von den Fachkräften auf das Leben vorbereitet und befähigt, Lebensphasen mit unterschiedlichen Problemen und Schwierigkeiten zu bewältigen. Dabei beziehen die Fachkräfte das familiäre und soziale Umfeld in die Beratungsarbeit ein und nutzen lokale Netzwerke. Gerade in ländlichen Regionen sind jedoch die Hilfesysteme rudimentär aufgestellt. Es kommt zu teilweise langen Wartezeiten z. B. auf einen Platz bei der Schuldnerberatung oder Therapieplatz oder es werden keine geeigneten Integrationssprachkurse vor Ort angeboten. Dies hemmt die Entwicklung der Jugendlichen und die Arbeit der Kompetenzagenturen. Auch kulturelle Angebote gibt es in ländlichen Regionen kaum und die Entfaltungsmöglichkeiten für Jugendliche sind bescheiden. Hemmend auf die Weiterentwicklung wirken sich auch Mobilitätsprobleme der Jugendlichen in ländlichen Regionen aus. …

Der Fokus der Arbeit in den Kompetenzagenturen liegt auf der Berufsorientierung. So findet Entwicklung erwartungsgemäß nach Aussagen der befragten Fachkräfte, Jugendlichen und Bezugspersonen vorwiegend im Bereich „Qualifizieren“, also dem Aufbau intellektueller und sozialer Kompetenzen im Übergang in die Berufsrolle, statt sowie im Bereich „Konsumieren“, also der Arbeit am Übergang in die Konsumentenrolle und dem Erlernen der Fähigkeit zur Nutzung von Geld und Warenmarkt. Der Übergang in die Partner- und Familienrolle spielte bei den Befragten eine untergeordnete Rolle, ebenso romantische Beziehungen, die in den Interviews weniger thematisiert wurden. Sofern Beziehungsprobleme jedoch die weitere berufliche Entwicklung hemmen, werden sie zum Gegenstand der Arbeitsbeziehung. Fachkräfte bieten nach eigenen Aussagen und denen von Jugendlichen zuweilen auch wertorientierende Unterstützung an: „Arbeit kann Spaß machen“, „Man braucht Ziele im Leben“ u. ä.

Jugendliche mit familiären Risikofaktoren und auch mit Zuwanderungshintergrund erhalten wenig bis keinerlei elterliche Unterstützung hinsichtlich ihres Bildungsweges. … Einige Jugendliche leben bei den Eltern und sind finanziell von ihnen abhängig, andere leben von staatlicher Unterstützung oder verfügen über ein geringes eigenes Einkommen, das ihnen ein selbstständiges Leben nicht ermöglicht. Auffällig ist, dass die befragten Jugendlichen bei ihren Eltern wohnen bleiben möchten, zumindest so lange, bis sie sich eine eigene Wohnung leisten können bzw. bis sie selbst eine Familie gründen. Dies äußerten beson-ders die männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Alle Jugendlichen sehen sich perspekti-visch in einer festen Partnerbeziehung, wollen Familie und Kinder, doch ist ihnen derzeit ihre Ausbildung wichtiger. …

Eine Wechselwirkung zwischen konkreten pädagogischen Interventionen von Seiten der Fachkräfte und deren Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der von ihnen betreuten Jugendlichen kann nicht eindeutig belegt werden. Welche Methode bei welchem Jugendlichen welche Wirkung hat, lässt sich nicht feststellen, da zu viele Faktoren die Entwicklungsprozesse bei Individuen mitbestimmen. Selbstverständlich verfügen die Fachkräfte über einen professionellen Hintergrund und ein vielfältiges Methodenrepertoire, das sie bedarfsgerecht und möglichst passgenau handhaben können. Dies entscheiden sie von Fall zu Fall. Dennoch lassen sich konkrete Ergebnisse der Untersuchung festhalten und verallgemeinern: ##Jugendsozialarbeit stellt durch ihre Ausgestaltung mit Professionalität und Menschlichkeit einen Raum/einen Ort zur Verfügung, in dem Jugendliche lernen und reifen können.
##Jugendsozialarbeit bzw. besonders engagierte Betreuer/innen bieten Jugendlichen einen Raum/einen Ort, in dem sie neben fachlicher Kompetenz Lebensbewältigungskompetenz erwerben können.
##Jugendsozialarbeit fördert fachliche, soziale und personale Kompetenzen von Jugendlichen und trägt dadurch wesentlich dazu bei, dass sie Entwicklungsschritte gehen und schrittweise Entwick-lungsaufgaben meistern können.
##Jugendsozialarbeit hat nicht zum Ziel, alle Entwicklungsaufgaben des Jugendalters mit den Jugendlichen anzugehen (z. B. Findung der Geschlechtsrolle oder Entwicklung von politischer Teilhabe), sondern konzentriert sich auf ihre Kernaufgaben. Jedoch können Entwicklungsschritte an-gestoßen werden, die auch andere Lebensbereiche berühren.
##Lern- und Entwicklungsprozesse von Jugendlichen werden auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung zur Fachkraft in Gang gesetzt.
##Die Qualität der Beziehung beeinflusst, ob die Jugendlichen Entwicklungsschritte zu gehen bereit und in der Lage sind: Sie brauchen eine Begegnung von Mensch zu Mensch. …“

www.invia-akademie.de BAG KJS_Abgeschlossene Projekte

Quelle: BAG KJS; SoWiFo der IN VIA Akademie Meinwerkinstitut

Dokumente: Persoenlichkeitentwicklung_am_Lernort_Jugendsozialarbeit.pdf

Ähnliche Artikel

Digitale Teilhabe und Regulierung von KI

Die digitale Transformation hat durch generative KI einen enormen Schub erfahren. Während die Jugendarbeit noch für die digitale Teilhabe aller jungen Menschen streitet, entstehen enorme

Skip to content