Neue gesellschaftliche Initiative gefordert

Auszüge aus den DGB-Ideen zu einer neuen gesellschaftlichen Initiative gegen Kinderarmut:
“ (…) Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zeigt sich in seinem Bericht für Deutschland 2014 besorgt über das Armutsrisiko von Kindern aus sozial benachteiligten Familien. Besonders Kinder von Alleinerziehenden, aus großen Familien sowie aus Familien mit Migrationshintergrund sind betroffen, vor allem dann, wenn die Eltern arbeitslos oder prekär beschäftigt sind. Der UN-Ausschuss betont zugleich, dass das Wohlergehen der Kinder darunter leidet, wenn ihre Eltern als Hilfeempfänger vom Jobcenter sanktioniert werden. Dieser Zusammenhang wird im Rahmen der (…) anstehenden Novellierung des SGB II (sog. Rechtsvereinfachung) zu beachten sein.
Kinderarmut ist immer auch Familien- und Elternarmut. Elternarmut resultiert meist aus Erwerbslosigkeit oder prekärer Beschäftigung. Kinder, die in einer Familie aufwachsen, in der kein Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgeht, sind meist in doppelter Hinsicht benachteiligt: Zum einen erleben sie einen Mangel an finanziellen Mitteln, wodurch sie von Teilen des gesellschaftlichen und sozialen Lebens ausgeschlossen sind. Zum anderen erleben sie ihre Eltern in einer Situation der Beschäftigungslosigkeit, die – (…) – schnell mit einer fehlenden Tagesstrukturierung einhergehen kann. Die Gefahr ist erheblich, dass dann die Vorbildfunktion der Eltern leidet. Dies wiederum kann eine Abwärtsspirale von sinkendem Selbstwertgefühl, Sinnkrise und mangelnder sozialer Teilhabe in Gang setzen. Damit sind sowohl die Eltern belastet, als auch teils die Kinder in ihrer weiteren Entwicklung gefährdet. (…)

Bisherige Ansatzpunkte
Der Ausbau der geförderten Kleinkinderbetreuung und des Angebots an Ganztagsschulen sind wichtige Ansatzpunkte, um die soziale Teilhabe von Kindern aus benachteiligten Familien zu verbessern. (…)

Mit dem sog. Bildungs- und Teilhabepaket sollte dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 Rechnung getragen werden, das die Regelsätze für verfassungswidrig erklärte und gerade die unzureichende Bildungsteilhabe von armen Kindern kritisierte. Das „Bildungspaket“ steht jedoch auch heute noch zu Recht in der Kritik, weil die Leistungen nicht ausreichend bei den Kindern ankommen und ein übermäßiger Verwaltungsaufwand mit der Umsetzung verbunden ist. Außerdem haben die Kommunen einen Teil der vom Bund bereitgestellten Mittel nicht zweckgemäß verwendet. Die Kinderregelsätze selbst wurden mit der letzten Novellierung der Hartz-IV-Regelsätze Anfang 2011 unverändert gelassen. Ein Umstand, der derzeit vom Bundesverfassungsgericht erneut auf seine Verfassungskonformität geprüft wird.

Örtlich erfolgreiche Initiativen wie z.B. die sog. Präventionsketten sorgen für „Leuchttürme“; drum herum bleibt aber viel Dunkles. Es fehlt weiterhin ein übergreifender Aktionsplan (…), der mehrere Politikfelder und die verschiedenen staatlichen Ebenen integriert und zugleich Akteure der Zivilgesellschaft mit einbindet. Eine Herkulesaufgabe, aber eine notwendige vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.

Bund, Länder und Gemeinden sind aufgerufen, alle Kräfte zu bündeln, um verfestigte Armutssituationen bei Kindern zu verhindern. Auch UNICEF Deutschland hat die neue Regierung aufgefordert, einen konkreten Maßnahmenplan zu entwickeln, um zu verhindern, dass benachteiligte Kinder „abgehängt“ werden. (…)

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung taucht das Wort „Kinderarmut“ allerdings kein einziges Mal auf. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Finanzierungsmöglichkeiten im föderalen System erschweren ein koordiniertes Vorgehen und begünstigen ein Wegducken einzelner Akteure. Ein wirklicher Durchbruch (…) wird sich nur erzielen lassen, wenn jeder gesellschaftliche Akteur seiner Verantwortung gerecht wird. Der DGB regt in diesem Zusammenhang ein gesellschaftliches Aktionsprogramm „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern“ an. (…)

Forderungen des DGB
(…) ## Der DGB fordert eine gesellschaftliche Initiative „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern“. Das Aktionsprogramm sollte sich an Familien im Hartz-IV-Bezug richten. Kein Kind sollte in einer Familie aufwachsen, in der beide Eltern dauerhaft keine Erwerbsarbeit und auch sonst keine „tagestrukturierende“ Tätigkeit (wie etwa die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme) haben. Bei Alleinerziehenden sollte zumindest eine sozialversicherungspflichtige Teilzeit das Ziel sein, ggfs. unter Vorschaltung einer Qualifizierungs- oder sonstigen Integrationsmaßnahme. (…) Ein Programm, das die intensive familienorientierte Arbeit im Fokus hat, ist nur dann erfolgversprechend, wenn es eine Kooperationsbeziehung zwischen der Familie und der Vermittlungsfachkraft gibt. Dies kann nicht mit Zwang erfolgen – die Freiwilligkeit der Teilnahme ist daher zwingende Voraussetzung. Das Programm knüpft an die Vorbildfunktion der Eltern vor ihren Kindern und die dahingehende Motivation der Eltern an, die ggfs. durch langjährige Hilfebedürftigkeit womöglich verschüttet, aber eben nicht verloren ist. Finanziell sollte das Programm gemeinsam von den Jobcentern, den Kommunen sowie allen weiteren Partnern und vom Bund getragen werden, der mit einem „Sondertopf“ die Aktivitäten fördern sollte. (…)
## (…) Den Arbeitsagenturen und den Jobcentern kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Als erste Ansprechpartner können sie eine Schlüssel- und Netzwerkfunktion übernehmen. Zwar kennt das Versicherungssystem (SGB III-Rechtskreis) das Prinzip der Bedarfsgemeinschaft nicht. Dennoch sollten Arbeitsagenturen und Jobcenter sich ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Integration von Arbeitslosen, bei denen Kinder im Haushalt wohnen, bewusst sein. Dafür muss ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden sein. Aber auch das Bewusstsein der Behörden für das eigene Handeln im Sinne eines erweiterten sozialpolitischen Verständnisses sollte geschärft werden.
## Die Jobcenter sollten – entsprechend dem ursprünglichen Gedanken von Hartz IV – die gesamte Bedarfsgemeinschaft in den Blick nehmen. Dabei müssen die Lebensumstände der Familie berücksichtigt werden. In der Beratung sollten möglichst alle Bereiche, die für eine Integration in das Erwerbsleben von Belang sind, thematisiert werden. Das können neben arbeitsmarktlichen Aspekten wie Qualifizierung auch begleitende Themen wie Kinderbetreuung, Schulden- oder Suchtberatung, kulturelle oder auch partnerschaftliche Aspekte sein.
## Das mit Bund und Ländern abgestimmte Hartz-IV-Zielsystem, nach dem die Jobcenter bisher gesteuert werden, birgt Fehlanreize zu Lasten von Familien. Die Beendigung des Langzeitbezuges, die als „Ziel 3“ verankert ist, gelingt leichter bei Single-Bedarfsgemeinschaften, da hier ein relativ geringes Einkommen ausreicht, um den Hilfebezug zu beenden. Bei Familien ist dagegen ein höheres Einkommen erforderlich, um alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aus Hartz IV zu holen. Dies erfordert mehr Arbeitsaufwand beziehungsweise ist oftmals aufgrund der Qualifikation der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, der regionalen Angebotsstruktur der Arbeitsplätze oder eines niedrigen Lohnniveaus nicht möglich. (…) Das Ziel ist daher so neu zu definieren, dass Fehlanreize zur Vernachlässigung von Familien ausgeschlossen werden.
## Neben den Jobcentern sind – je nach Ausgangslage der Familie – weitere Akteure gefordert, ein Netzwerk an Hilfen bereit zu stellen und Eltern sowie deren Kinder darin aufzufangen Zu den wichtigsten Partnern gehören die Kommunen. Sie sind zuständig für die kommunalen Eingliederungsleistungen Sucht- und Drogenberatung, Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung sowie Kinderbetreuung. Diese sozialintegrativen Leistungen müssen eng mit den arbeitsmarktlichen Hilfen verzahnt werden, um einen Integrationsprozess von Eltern mit entsprechendem Förderbedarf zu ermöglichen. (…) Gerade in Kommunen mit besonderen sozialen Brennpunkten, in denen sich aufgrund der Sozialstruktur in größerem Umfang entsprechende Familien finden, ist jedoch die Finanzlage häufig so schlecht, dass ausreichende Angebote nicht zur Verfügung stehen. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben könnte auch für eine Stärkung dieser Hilfen genutzt werden. (…)
## Die materielle Absicherung von Kindern in Hartz-IV-Haushalten ist weiterhin ungenügend. Der DGB hält insbesondere die Kinderregelsätze für nicht verfassungskonform und hat eine erneute Überprüfung der Regelsätze (auch für Erwachsene) durch das Bundesverfassungsgericht initiiert. Auch das sog. Bildungspaket ist größtenteils eine Mogelpackung. Die Leistungen sind zu gering und kommen kaum bei den Kindern an (insbesondere Lernförderung und Förderung der sozialen Teilhabe). Der DGB fordert eine weitgehende Einbeziehung der für Bildungszwecke gewährten Leistungen in den Regelsatz und eine Stärkung der sozialen Infrastruktur rund um Kitas und Schulen. Davon würden alle Kinder, die es brauchen, profitieren.
## Um Kindern den Bezug von Hartz-IV-Leistungen generell zu ersparen, hat der DGB Konzepte zum Ausbau der sog. vorgelagerten Leistungen Kinderzuschlag und Wohngeld vorgelegt. Als quasi sozialpolitische Ergänzung zu flächendeckenden Mindestlöhnen könnte so in vielen Fällen verhindert werden, dass Familien trotz eines vorhandenen Erwerbseinkommens „nur“ aufgrund ihrer Kinder und/oder der hohen Unterkunftskosten zum Hartz-IV-Fall werden. „

Quelle: DGB arbeitsmarkt aktuell

Dokumente: Kinderarmut.pdf

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