Langfristig Erwerbslose profitieren nicht von guter Konjunktur

Die europäische Wirtschaft erholt sich. In Deutschland waren noch nie so wenig Menschen ohne Arbeit wie heute. Doch die Langzeitarbeitslosigkeit hält sich hartnäckig. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung vergleicht Langzeitarbeitslosigkeit in den EU-Staaten. Dazu wurden die Daten der Europäischen Arbeitskräfteerhebung ausgewertet. In Deutschland ist seit 2008 eine rückläufige Langzeitarbeitslosenquote zu verzeichnen. Trotzdem gibt es keinen Grund zur Entwarnung: „Deutsche Langzeitarbeitslose profitieren kaum vom Beschäftigungsaufschwung und sind im EU-Vergleich besonders lange ohne Arbeit“, heißt es in der Studie. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist hierzulande noch immer hoch: Mehr als jeder dritte Erwerbslose in Deutschland ist langzeitarbeitslos (Anteil: 43,1 Prozent, 796.000 Menschen). In der EU ist im Schnitt jeder zweite gemeldete Arbeitslose länger als 12 Monate ohne Beschäftigung. Ein Trend zur Höherqualifizierung erschwert die Lage besonders für Deutschland, denn hier sind es in erster Linie Geringqualifizierte und auch Ältere, die ein Jahr und länger erwerbslos sind.

Das Wichtigste aus der Studie der Bertelsmann Stiftung zur wirtschaftlichen Dynamik und Beschäftigung in Europa:

Zahlen im EU-Vergleich

  • „Die Beschäftigungskrise in Europa dauert an. Zwar ist die Arbeitslosenquote seit ihrem Höchststand im Jahr 2013 rückläufig. Allerdings waren 2015 EU-weit mehr als 10 Millionen Personen und damit fast die Hälfte aller Arbeitssuchenden bereits länger als 12 Monate erwerbslos. (…)
  • Langzeitarbeitslosigkeit ist eine der größten Herausforderungen für jeden Arbeitsmarkt. Denn je länger eine Person ohne Arbeit bleibt, desto schwerer wird es, in einem neuen Job Fuß zu fassen. EU-weit waren die Jobchancen für Langzeitarbeitslose zuletzt nur halb so hoch wie für kurzfristig Arbeitslose (18 Prozent gegenüber 34 Prozent, 2013-2014). Stattdessen steigt mit zunehmender Dauer die Zahl jener, die die Jobsuche aufgeben und sich vollständig vom Arbeitsmarkt zurückziehen.
  • Langfristige Arbeitslosigkeit verursacht hohe Kosten für den Einzelnen und die Gesellschaft. Durch die andauernde Beschäftigungslosigkeit kommt es zur Entwertung von Humankapital und Bildungsinvestitionen, sinkende Beschäftigungsquoten verringern die Arbeitsmarkteffizienz und das Wachstumspotenzial einer Wirtschaft. Für die Langzeiterwerbslosen steigt das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung. Auch psychische und gesundheitliche Probleme nehmen mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zu und verringern langfristig die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen. (…)
  • Deutschland ist das einzige Land, indem die Langzeitarbeitslosenquote seit 2008 von 3,7 Prozent auf 1,9 Prozent deutlich gesunken ist. Jedoch ging die absolute Zahl der Langzeitarbeitslosen vor allem bis 2012 zurück, danach sank die Quote hauptsächlich aufgrund der steigenden Gesamtbeschäftigung. (…)

Wer ist betroffen?

  • Langzeitarbeitslosigkeit hat vielfältige Ursachen und dementsprechend heterogen ist die Gruppe der Betroffenen sowohl innerhalb der EU als auch in den Mitgliedsstaaten. (…) Ein höheres Qualifikationsniveau reduziert das Risiko langzeitarbeitslos zu werden in allen Ländern (mit Ausnahme von Zypern). Während die Quote unter Geringqualifizierten im EU-Durchschnitt bei 5,9 Prozent liegt, sind Personen mit mittlerem (4,3 %) und hohem Qualifikationsniveau (2,6 %) deutlich seltener betroffen.
  • Für die Geringqualifizierten ist das Risiko seit Beginn der Krise am stärksten gestiegen. (…)
  • In Griechenland, Spanien und Kroatien sind auch mittel- und hochqualifizierte Personen häufig langzeitarbeitslos. Langfristige Erwerbslosigkeit betrifft hier nicht nur die klassischen Risikogruppen, sondern zieht sich quer durch die Erwerbsbevölkerung. (…)
  • Auch die Altersstruktur der Langzeitarbeitslosigkeit unterscheidet sich deutlich zwischen den Mitgliedsstaaten. Junge Menschen haben zwar ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko als ältere Arbeitnehmer, da sie über weniger berufliche Erfahrung verfügen und etwa auch deutlich häufiger befristet beschäftigt sind. Meistens ist für sie Arbeitslosigkeit aber nur ein temporäres Phänomen. Seit 2008 hat sich jedoch das Risiko lang anhaltender Arbeitslosigkeit für Junge in vielen Ländern erhöht, insbesondere in Griechenland, Italien, Kroatien und der Slowakei. So ist etwa in Kroatien und Italien jeder fünfte Langzeitarbeitslose unter 25 Jahre. Noch höher ist der Anteil junger Langzeitarbeitsloser im Vereinigten Königreich mit über 30 Prozent. In Finnland, Deutschland, Litauen, Lettland, den Niederlanden, Bulgarien und Slowenien sind hingegen nur zwischen acht und zwölf Prozent der Langzeitarbeitslosen unter 25 Jahren. (…)

Fazit

  • Um eine weitere Verfestigung der Erwerbslosigkeit zu verhindern, bedarf es eines Mix aus wachstumsorientierten Investitionen, um die Arbeitsnachfrage zu erhöhen, und aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die Arbeitslose für neu entstehenden Jobs qualifizieren und den Verlust von Humankapital und Motivation verhindern. Notwendig ist auch der Aufbau funktionsfähiger Arbeitsverwaltungen, die Arbeitssuchende früh und intensiv bei der Jobsuche unterstützen.
  • Demgegenüber stehen Deutschland und andere nordeuropäische Länder mit vergleichsweise geringer Langzeitarbeitslosigkeit vor der Aufgabe, auch schwer vermittelbaren Gruppen (…) die zunehmend den „harten Kern“ der Arbeitslosigkeit in diesen Ländern bilden, Chancen auf Teilhabe am Erwerbsleben zu eröffnen.
  • Zusätzlich zu einer intensiven persönlichen Betreuung benötigen diese Gruppen auch Instrumente öffentlich geförderter Beschäftigung, die neben der Erwerbsintegration das Ziel der sozialen Teilhabe verfolgen. Denn schließlich zeigt der europäische Vergleich, dass die Bekämpfung von Langzeiterwerbslosigkeit auch eine Frage der Verteilung gesellschaftlicher Kosten und Chancen ist: Wo Aktivierung zur Erwerbsarbeit zunehmend zur sozialpolitischen Norm wird, müssen dem Fordern auch entsprechende Angebote des Förderns gegenüberstehen.“

Quelle: Bertelsmann Stiftung

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