Nationaler Bildungsbericht 2016

Aus den wichtigtesten Erkenntnissen des Bildungsberichts: ## „(…) Bildungsbeteiligungsquoten der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund haben sich angenähert: Die Bildungsbeteiligungsquoten sind insgesamt weiter gestiegen, eine Annäherung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund erfolgte vor allem bei Kindern im Kindergartenalter sowie bei den 16- bis unter 30-Jährigen. Lag die Beteiligungsquote 2005 für 16- bis unter 30-Jährige mit Migrationshintergrund noch deutlich unter jener der Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund, so nehmen Personen mit Migrationshintergrund 2014 anteilig vergleichbar oft an Bildung teil, allerdings häufiger in niedriger qualifizierenden Bildungsgängen. (…)
##Längeres gemeinsames Lernen gewinnt im Schulwesen an Bedeutung: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die kombinierte Schularten mit mehr als einem Bildungsgang besuchen, hat sich seit 2006 von 700.000 auf 1,1 Millionen erhöht. Der Großteil wird nicht in getrennten Haupt-, Realschul- oder Gymnasialklassen, sondern in integrierter Form unterrichtet. Vor allem Jugendlichen mit niedrigem sozialem Status stehen dadurch mehr direkte Abschlussoptionen an einer Schulart offen. (…)
##Deutliche regionale und berufsbezogene Unterschiede in Angebots-Nachfrage-Relation der Berufsausbildung: In der Angebots-Nachfrage-Relation ist es zu starken regionalen Disparitäten gekommen, die sich am stärksten in einem West-Ost-, aber auch in einem Nord-Süd-Gefälle darstellen. Die Ausbildungschancen für Jugendliche und Rekrutierungschancen für Betriebe unterscheiden sich innerhalb und zwischen den Regionen erheblich. Insbesondere die Ausbildungssituation von Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss im Osten hat sich verschlechtert, da die Ausbildungsangebote vor allem des dualen Systems im letzten Jahrzehnt stark rückläufig sind. Von Disparitäten in der Angebots-Nachfrage-Relation sind die Berufe und Berufsgruppen in unterschiedlicher Weise betroffen. (…)
##Weniger kompetenzschwache Jugendliche, wenngleich ihr Anteil deutlich über dem Anteil der Jugendlichen ohne Abschluss liegt: Leistungsverbesserungen zeigen sich seit der ersten PISA-Erhebung vor allem für Jugendliche aus sozioökonomisch schwachen Elternhäusern, mit einem Fortschritt von mehr als einem Lernjahr in der Lesekompetenz. Die Risikogruppe der leseschwachen 15-Jährigen ist 2012 mit 15 % um 8 Prozentpunkte kleiner als noch 2000. Demgegenüber verlassen nur 6 % die Schule, ohne zumindest einen Hauptschulabschluss erreicht zu haben. Dies deutet auf einen nennenswerten Anteil unter den Jugendlichen mit Abschluss hin, der allenfalls basale Lesefähigkeiten besitzt und am Ausbildungsmarkt Schwierigkeiten haben dürfte.
##Bei Vertragsauflösungsquoten starkes Gefälle zwischen Berufen: Bei den Vertragsauflösungsquoten im Ausbildungsverlauf zeigt sich ein starkes Gefälle zwischen Berufen – mit den höchsten Quoten bei handwerklichen Berufen (über 40 %). Nach Personenmerkmalen betrachtet sind die Vertragsauflösungsquoten bei ausländischen Auszubildenden bis zu 50 % höher als bei deutschen. Auch Auszubildende, die vor der Ausbildung Übergangsmaßnahmen besucht haben, weisen überdurchschnittliche Vertragsauflösungsquoten auf. (…)
##Junge Menschen mit Migrationshintergrund leben häufiger in Risikolagen: Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund sind zu einem Fünftel von mindestens einer Risikolage betroffen. Mit Migrationshintergrund liegt der Anteil deutlich höher: in der 1. Generation bei 55 % und in der 2. Generation bei 42 %. (…)
##Fast ein Viertel der Auszubildenden im dualen und Schulberufssystem mit Migrationshintergrund: Seit 2005 ist der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund bis 2013 auf 24 % angestiegen. Der größte Anteil kommt aus europäischen Staaten außerhalb der EU (Türkei, Staaten des Westbalkans und der russischen Föderation); der Rest verteilt sich auf EU-15, die übrigen EU-28-Staaten und Asien zu jeweils 4 %.
##Hohe regionale Disparitäten bei ausländischen Neuzugängen zur Berufsausbildung: Bei den Neuzugängen zur beruflichen Bildung kommt es zu einer erheblichen Ungleichverteilung zwischen den Regionen, nicht nur anhaltend zwischen ost- und westdeutschen Ländern, sondern innerhalb Westdeutschlands auch zwischen Stadtstaaten und Ballungszentren auf der einen sowie Flächenstaaten auf der anderen Seite. (…)
Zentrale Herausforderungen für das Bildungssystem in Deutschland
(… ) Anhaltende Expansion zu höherer Bildung und Probleme im unteren Qualifizierungsbereich
(…) Der Bildungsstand der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert, es werden mehr allgemeinbildende und berufsqualifizierende Bildungszertifikate erworben. (…)

Demgegenüber stehen Jugendliche und junge Erwachsene, die maximal einen Hauptschulabschluss erwerben oder ohne eine berufliche Qualifikation in das Erwerbsleben starten. Diese Gruppen sind trotz positiver Entwicklungen weiterhin zu groß und steigen in jüngster Zeit aufgrund der von Zuwanderung von Schutz- und Asylsuchenden auch wieder an. Hinzu kommt, dass Personen aus sozial weniger begünstigten Familien sowie junge Menschen mit Migrationshintergrund in der Gruppe der formal gering oder nicht Qualifizierten überdurchschnittlich stark vertreten sind. An den Effekten steigender Bildungsbeteiligung partizipieren demnach nicht alle gleichermaßen.

Auf die Gruppe der formal gering oder nicht Qualifizierten ist daher in Zukunft verstärkt der bildungspolitische Blick zu richten. Aufgrund der Langzeitwirkungen von fehlenden Bildungszertifikaten für die Ausgestaltung des eigenen Lebensverlaufs und zur gesellschaftlichen Integration und Teilhabe am kulturellen Leben gehört die Reduktion der Zahl formal gering qualifizierter Menschen sowohl im allgemeinbildenden als auch im beruflichen Bereich nach wie vor zu den zentralen Herausforderungen von Bildungspolitik und Bildungspraxis. Zuallererst geht es darum, die Zahl der Jugendlichen, die das allgemeinbildende Schulsystem ohne einen qualifizierten Schulabschluss verlassen, weiter substanziell zu verringern. Dabei geht es in besonderer Weise um die Neugestaltung der Schnittstelle zwischen erstem allgemeinbildendem (Haupt-)Schulabschluss, Berufsvorbereitung im Übergangssystem und Berufsausbildung. (…)

Soziale Disparitäten als bekanntes, anhaltendes Strukturproblem
Die Frage der sozialen Selektivität bleibt nach wie vor aktuell. Seit längerer Zeit ist dieser Befund unbestritten, hinreichend belegt und bleibt als eine der dringlichsten Herausforderungen bestehen. Dass es dem Bildungssystem in Deutschland trotz beträchtlicher Bemühungen in Bildungspraxis und Bildungspolitik auch bei erkennbaren Fortschritten noch nicht gelungen ist, den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nachhaltig aufzubrechen, verweist erneut auf den besonderen Handlungsbedarf, der es erforderlich macht, Lösungsansätze über die verschiedenen Bildungsbereiche hinweg zu konzipieren. (…)

Migration als multidimensionale Herausforderung und Chance
Eine große Herausforderung für Bildung und Ausbildung wird die gesellschaftliche Integration der infolge der Krisen- und Kriegsentwicklungen nach Deutschland geflohenen und fliehenden Schutz- und Asylsuchenden sein. Dabei ist nicht nur die Bildungs-, sondern auch die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik gefragt. Die aktuellen Zuwanderungszahlen sollten nicht dazu verleiten, das Thema Migration ausschließlich unter der Perspektive der Schutz- und Asylsuchenden zu betrachten: Die Herausforderungen bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, vor denen Deutschland schon seit Jahrzehnten steht, bleiben aktuell und gewinnen durch die neue Zuwanderung zusätzliches Gewicht. (…)

Migration ist kein isolierter und einheitlicher Sachverhalt, sondern wirkt bei Bildungsprozessen immer mit anderen Merkmalen zusammen, vor allem der sozioökonomischen Situation der Familien. Der Abbau migrationsspezifischer Disparitäten muss daher immer auch den Abbau sozialer Ungleichheiten in den Blick nehmen. (…) Die Vielfalt der Migrationspopulation, die nicht nur als Herausforderung, sondern immer auch als Potenzial betrachtet werden kann, legt der Bildungs-, Familien- und Ausbildungspolitik nahe, differenzierte Lösungen im Rahmen der Regelangebote der Bildungsinstitutionen zu entwickeln. (…)“

Seit 2006 erscheint alle zwei Jahre der Bildungsbericht. Erstellt wird er von einer Gruppe unabhängiger Wissenschaftler/-innen unter Federführung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Beteiligt sind das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie das Statistische Bundesamt und die Statistischen Ämter der Länder.

Quelle: BMBF

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