Öffentliche Ausbildungsstatistik verschleiert die Lage auf dem Ausbildungsmarkt

Auszüge aus der DGB-Kurzanalyse der Daten zum Ausbildungsmarkt von Matthias Anbuhl:
Ausgangslage
Wer sich die Bewertungen der Lage auf dem Ausbildungsmarkt anschaut, stößt auf zum Teil konträre Interpretationen. Der Trend zum Studium mache es den Betrieben immer schwerer, Azubis zu finden. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt spitze sich zu. (…) Die Unternehmen wollten ja ausbilden, sie fänden aber kaum noch geeignete Bewerber.

(…) der Nationale Bildungsbericht 2016 belegt: Seit mehr als zwanzig Jahren liege bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen das Angebot unterhalb der Nachfrage. Dass die steigenden Studierendenzahlen für den Sinkflug bei den Ausbildungsverträgen verantwortlich seien, sei in der „unterstellten einfachen Kausalität unzutreffend“. Vielmehr sei das Schrumpfen der Berufsbildung „angebotsinduziert“, heißt es im Fachjargon der Forscher. Im Klartext: Die Betriebe bilden nicht genug aus. Mehr noch: Die Unternehmen schöpfen das traditionelle Potenzial der Jugendlichen nur unzulänglich aus. (…)

Trotz des vermeintlich entspannten Ausbildungsmarkts liegt der Anteil der Menschen ohne Berufsabschluss weiterhin konstant hoch. Allein das Statistische Bundesamt zählt 1,2 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Die hohe Zahl der jungen Menschen ohne Berufsabschluss passt nicht zu den Erfolgsmeldungen der Spitzenverbände der Wirtschaft. Wenn es tatsächlich seit Jahren einen Bewerbermangel in der Berufsbildung geben würde, müsste auch die Zahl der Ausbildungslosen deutlich niedriger ausfallen. (…)

Von Seiten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) wurden „Mängel in der Ausbildungsbilanzierung“ kritisiert. Vor allem wird bemängelt, dass die Bilanz Jahr für Jahr zum 30. September gezogen wird: „Bis dahin sind aber bereits viele erfolglose Ausbildungsstellenbewerber in teilqualifizierende Bildungsgänge des Übergangssystems eingemündet. Diese Jugendlichen zählen zum Bilanzierungsstichtag zu den versorgten Ausbildungsstellenbewerbern, auch dann, wenn sie noch auf Ausbildungsplatzsuche sind. Da sie nicht zu den erfolglosen Ausbildungsplatznachfragern gerechnet werden, erschienen die Bilanzen selbst in den Jahren des größten Ausbildungsplatzmangels weitgehend ausgeglichen“.

1980 urteilte das Bundesverfassungsgericht, der Staat müsse, auch wenn er den praktischen Teil der Berufsausbildung an die Arbeitgeber delegiert habe, von diesen erwarten, dass alle Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, selbst dann, wenn das freie Spiel der Kräfte nicht mehr ausreichen sollte. Die Arbeitgeber müssen somit ein auswahlfähiges Angebot für die Jugendlichen vorhalten Die Wirtschaft ist deshalb daran interessiert, den Kreis der zu versorgenden „ausbildungswilligen und -fähigen“ Jugendlichen rechnerisch möglich klein zu halten.

Die „offiziell Unversorgten“
Im Jahr 2016 gab es 20.550 junge Bewerberinnen und Bewerber, die weder einen Ausbildungsplatz noch eine Ersatzmaßnahme bekommen haben. Es ist unstrittig, dass diese Jugendlichen als unversorgt gezählt werden müssen. Dem stellen die Spitzenverbände der Wirtschaft die 43.478 unbesetzten Ausbildungsplätze entgegen. Diese Bilanz suggeriert, der Ausbildungsmarkt sei entspannt. Es gebe mehr offene Ausbildungsplätze als Bewerber.

Bewerber in Ersatzmaßnahmen, die ihren Vermittlungswunsch aufrecht erhalten
Es werden in der traditionellen Angebots-Nachfrage-Relation aber auch Jugendliche als „versorgt“ gezählt, die von der BA als „ausbildungsreif“ eingestuft wurden und trotzdem in Ersatzmaßnahmen (Praktika, Einstiegsqualifizierungen berufsvorbereitende Maßnahmen etc.) „geparkt“ wurden. Von diesen Jugendlichen haben aber allein 2016 60.053 junge Menschen der BA angezeigt, dass sie aktuell noch einen Ausbildungsplatz suchen. Um ein realistischeres Bild der Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu bekommen, müssten nach Auffassung der Autoren des Nationalen Bildungsberichts zumindest auch diese Jugendlichen als unversorgt eingestuft werden. (…)

Damit bleiben allein 2016 insgesamt 80.603 Bewerber/-innen ohne Ausbildungsplatz. Das übersteigt die Zahl der offenen Ausbildungsplätze von 43.478 aber deutlich. Von einem Bewerbermangel kann schon anhand dieser Daten folglich keine Rede mehr sein.

Bewerber in Ersatzmaßnahmen, die ihren Ausbildungswunsch vorerst verschoben haben
202.678 Jugendliche, die den Bewerberstatus erhalten haben, konnten trotzdem keinen Ausbildungsvertrag unterzeichnen. Sie wurden entweder in Warteschleifen „geparkt“, haben der BA aber nicht angezeigt, dass sie im laufenden Jahr noch einen Ausbildungsplatz suchen oder ihr Verbleib ist der BA unbekannt. Im Jahr 2015 wurde diese Kategorie noch getrennt ausgewiesen. Damals gab es 107.749 Jugendliche, in Ersatzmaßnahmen, die ihren Ausbildungswunsch vorerst verschoben haben. Zudem gab es 93.734 Jugendliche, deren Verbleib aus Sicht der BA unbekannt war. Die Bewerberbefragungen von BIBB und BA legen nahe, dass der Großteil dieser jungen Menschen außerhalb des Bildungssystems bzw. erwerbslos geblieben ist. (…)

Zusammenfassung
Diese Statistik zeigt, dass insgesamt 283.281 junge Menschen, die im Laufe des Berichtsjahres 2016 ein ernsthaftes Interesse an einer Ausbildung hatten – und als „ausbildungsreif“ deklariert wurden – ohne Ausbildungsplatz geblieben sind. (…) Dem stehen 43.478 offene Ausbildungsplätze gegenüber.

Die These, dass es in Deutschland mehr offene Ausbildungsplätze als Bewerber gibt, ist schlicht falsch. Von einem Mangel an geeigneten Bewerbern kann nicht die Rede sein. Auf diese Weise lässt sich auch erklären, dass einerseits die Spitzenverbände der Wirtschaft einen entspannten Ausbildungsmarkt beschreiben, zeitgleich aber mehr als 1,2 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren ohne Berufsabschluss bleiben. (…)“

Die DGB-Analyse steht im Anhang zum Download bereit.

Quelle: DGB Bundesvorstand

Dokumente: f_DGB_Ausbildungsbilanz_2016_1_.pdf

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