Keine Jugendhilfe zweiter Klasse für junge Flüchtlinge

Auszüge aus der Beschlussvorlage „Standards und Kosten für UmA im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe“ für die Jahreskonferenz der Länderchefs:
“ Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bitten die Bundesregie­rung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der zum Einen die Betreuung von unbeglei­teten minderjährige Flüchtlingen hinsichtlich ihrer gelingenden Integration mit ziel­gerichteten Angeboten einschließlich der Steuerungsmöglichkeiten hinsichtlich der Kosten verbessert. Hierzu wird die Leistungsart „Jugendwohnen“ bei den Vorschrif­ten zur Jugendsozialarbeit nunmehr explizit beschrieben sowie der Vorrang von An­geboten der Jugendsozialarbeit klarstellend geregelt. (…) Zudem ist gesetzlich sicherzustellen, dass sich die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe auf die Versorgung von Minderjäh­rigen konzentrieren. (…)“

Auszüge aus dem Appell „Keine folgenreiche Diskriminierung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“: „## Die Forderung nach einer speziellen Leistungsart „Jugendwohnen“ für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sowie nach einem Vorrang von Angeboten der Jugendsozialarbeit bedeutet eine kinderrechtswidrige Diskriminierung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (vgl. Art. 22 Abs. 2 Satz 2 UN-Kinderrechtskonvention). Sie geht an den Bedarfen der Jugendlichen vorbei und würde zu einer drastischen Standardabsenkung führen. Während für Kinder und Jugendliche, die in einem Heim untergebracht werden, ein Fachkraft-Kind-Schlüssel von maximal 1:4 (in der Regel deutlich darunter) gilt und Voraussetzung einer Betriebserlaubnis ist, liegt er beim Jugendwohnen im Rahmen der Jugendsozialarbeit zwischen 1:10 und 1:40. Jugendwohnen ist eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe, die Mobilität ermöglicht und einem erfolgreichen Schul- oder Ausbildungsabschluss dient; die Einrichtungen des Jugendwohnens stellen in der Regel keine Angebote zur Verselbstständigung junger Menschen mit einem erhöhten Betreuungsbedarf zur Verfügung. Der geforderte Vorrang schadet nicht nur, sondern ist auch überflüssig. Schon jetzt bietet das SGB VIII alle Differenzierungsmöglichkeiten.
## Der Forderung scheint der Gedanke zugrunde zu liegen, die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge seien schon selbstständig und bräuchten daher weniger Begleitung. Hier wird die auf der Flucht erworbene „Überlebensselbstständigkeit“ und Resilienz mit der Selbstständigkeit verwechselt, die es braucht, um sich in Deutschland zu integrieren und eine Lebensperspektive zu erarbeiten. (…)
## Nicht nur in Einzelfällen würden unzureichende Hilfen die jetzt schon erhöhte Gefahr psychischer Belastung bis hin zu Suizidalität in dieser Gruppe in unverantwortlicher Weise steigern und zu einer Zunahme der Notfälle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie führen. Eine solche Verlagerung ins Gesundheitswesen führt absehbar zu einer Kostensteigerung. (…)
Kein Abbruch von Integration und Unterstützung mit 18. ## Die Forderung, „gesetzlich sicherzustellen, dass sich die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe auf die Versorgung von Minderjährigen konzentrieren“, ist entschieden zurückzuweisen. Sie hätte gesamtgesellschaftlich erheblich negative Effekte, wäre volkswirtschaftlich kurzsichtig und mit Blick auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hoch gefährlich. Die Realisierung der bayerischen Forderung würde die Spaltung der Gesellschaft befördern, statt ihr entgegenzutreten. Kurzfristige Einsparungen zu Beginn der Hilfe würden langfristig zu Mehrkosten aufgrund von erschwerter Teilhabe und einer Dauerbelastung der sozialen Sicherungssysteme führen.
##Junge Menschen werden bei einem Aufwachsen im Elternhaus bis Mitte zwanzig in vielfältiger Weise unterstützt. Jugendliche, die in Heimen und Pflegefamilien leben, haben regelmäßig eine belastete Kindheit hinter sich. Ausgerechnet jungen Menschen aus den Erziehungshilfen mit dem 18. Geburtstag die Übergangsunterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe zu verweigern und ein frühzeitiges Erwachsenwerden – bei wesentlich weniger materiellen und immateriellen Ressourcen – zu erwarten, würde die vorherigen Bemühungen konterkarieren, mit denen sie auf dem Weg zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit und Lebensführung unterstützt wurden. Das Ziel einer Verselbstständigung ist – vor allem beim Adressat/inn/enkreis der Kinder- und Jugendhilfe – mit der Volljährigkeit regelmäßig nicht erreicht. Seine Verwirklichung braucht gerade in der Phase des jungen Erwachsenendaseins fortgesetzte Unterstützung durch Hilfen nach dem SGB VIII. (…)
## Besonders dramatisch wäre auch, wenn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mitten im Prozess der Integration noch früher und noch schneller aus der Jugendhilfe gedrängt würden. Das Entlassen in eine verfrühte, überfordernde „Selbstständigkeit“ und die Überantwortung in das Erwachsenensystem des Ausländer- und Asylrechts birgt vielfältige Gefahren für die jungen Menschen, nicht zuletzt eines Abbruchs von Schule und Ausbildung sowie Gefährdungen durch Ausbeutung oder Radikalisierung. Bisherige Integrationsbemühungen würden aufs Spiel gesetzt. (…)“
Beide Dokumente in vollem Textumfang entnehmen Sie dem Anhang.

Link: www.jugendsozialarbeit.de

Link: www.agj.de

Quelle: Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder; epd; AGJ; Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit

Dokumente: Appell_an_Jahreskonferenz_der_Regierungschef_innen_TOP_2.2_26.10.2016.pdf

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