Langer Hartz IV-Bezug ist nicht immer gleichbedeutend mit langzeitarbeitslos

Auszüge aus dem IAB-Kurzbericht Langer Leistungsbezug ist nicht gleich Langzeitarbeitslosigkeit von Kerstin Bruckmeier, Torsten Lietzmann, Thomas Rothe und Anna-Theresa Saile:
“ (…) Mit 2,9 Mio. Arbeitslosen und einer Arbeitslosenquote von 6,7 Prozent erreichte die Arbeitslosigkeit in Deutschland im Jahresdurchschnitt 2014 einen erneuten Tiefststand. (…) Die gute Grundverfassung des Arbeitsmarktes zeigte sich in der raschen Überwindung des konjunkturellen Einbruchs infolge der Finanzkrise 2008/2009. Die Aussichten für die weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes werden als verhalten, aber positiv eingeschätzt.

Im Zuge der günstigen Arbeitsmarktentwicklung treten jedoch auch strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt stärker hervor. Arbeitslose können nur in geringem Umfang vom positiven Beschäftigungstrend profitieren, insbesondere wenn ihre (berufliche) Qualifikation nicht zu den Bedarfen der Betriebe passt oder eine zu große räumliche Distanz zwischen dem Wohnort der Arbeitslosen und dem potenziellen Beschäftigungsort besteht. Die hohe Beschäftigungsnachfrage wurde weitgehend durch eine steigende Erwerbsbeteiligung und durch Zuwanderung gedeckt. Der Abbau der Arbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit ist seit 2011 nahezu zum Erliegen gekommen und es zeigen sich Verfestigungstendenzen. Das heißt, innerhalb der Gruppe der Langzeitarbeitslosen steigt die Dauer der Arbeitslosigkeit tendenziell an. (…)

Immer mehr Langzeitarbeitslose und Dauerbezieher?
(…) Tatsächlich ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen zwischen 2010 und 2014 leicht gestiegen. Er lag im Jahresdurchschnitt 2014 bei 37,2 Prozent (2010: 35,2 %). Zudem ist innerhalb der Langzeitarbeitslosen die Dauer der Arbeitslosigkeit gestiegen: Der Anteil der Personen, die bereits zwei oder mehr Jahre arbeitslos sind, an allen Langzeitarbeitslosen erhöhte sich seit 2010 von 49,7 Prozent auf 54,3 Prozent. (…) Vor allem im SGB II hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen mit einer Arbeitslosigkeitsdauer von über zwei Jahren zugenommen: Innerhalb der Langzeitarbeitslosen des SGB II ist der Anteil derjenigen mit einer Bezugsdauer von zwei und mehr Jahren von 52,9 auf 57,3 Prozent gestiegen. Verfestigungstendenzen zeigen sich also vor allem im Rechtskreis SGB II, der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Wenn trotz günstiger Arbeitsmarktlage die Dauer der Arbeitslosigkeit zunimmt, so erklärt sich dies zum Teil dadurch, dass viele Arbeitslose schon nach kurzer Zeit wieder eine Beschäftigung aufnehmen und die verbleibenden Arbeitslosen eine stärker selektive Gruppe im Hinblick auf integrationshemmende Merkmale sind. Besonders ungünstig für die Beschäftigungswahrscheinlichkeit sind ein fehlender Schulabschluss oder eine fehlende berufliche Ausbildung, gesundheitliche Einschränkungen, ein längerer vorausgehender Bezug von Arbeitslosengeld II sowie ein höheres Alter. (…)

Etwa die Hälfte der Langzeitarbeitslosen besitzt keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf die qualifikationsspezifischen Integrationsprobleme dieser Gruppe. Zwischen 2010 und 2014 ist der Anteil der gering qualifizierten Arbeitslosen unter den Langzeitarbeitslosen auf fast 51 Prozent gestiegen. (…) Deutlich mehr Langzeitarbeitslose suchen nur eine Helfertätigkeit ohne bzw. mit nur geringer Fachkenntnis, ihr Anteil hat sich von 42 Prozent im Jahr 2010 bis 2014 auf etwa 52 Prozent erhöht. (…)

Arbeitsmarktnähe von Langzeitleistungsbeziehern
Arbeitslosigkeit stellt für die meisten SGB-II-Leistungsbezieher nur eine von verschiedenen Phasen in ihrer Biografie dar. (…) Über zwei Drittel aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher weise eine zumindest kurzfristige Phase der Erwerbstätigkeit in den letzten sechs Jahren auf – die Hälfte länger als ein Jahr. Weitergehende Analysen ergeben, dass selbst unter denjenigen, die durchgehend im Leistungsbezug waren, die Hälfte in den letzten sechs Jahren erwerbstätig waren – ein knappes Drittel für insgesamt mindestens ein Jahr. Ein großer Teil hat somit in den letzten Jahren durchaus Kontakt zum Arbeitsmarkt gehabt. Des Weiteren haben gut 60 Prozent aller betrachteten Leistungsempfänger an mindestens einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen, die durchgehend Leistungsbeziehenden mit 65 Prozent sogar etwas häufiger. Eine Teilnahme an Maßnahmen kann einerseits eine gewisse Arbeitsmarktnähe voraussetzen, andererseits wenden sich manche Maßnahmen an arbeitsmarktferne Personen. Es hängt von deren Erfolg ab, inwieweit sich die Arbeitsmarktchancen der Teilnehmer verbessern lassen.
Für die Gruppe derjenigen, die in den letzten Jahren bereits erwerbstätig waren und in geringerem Umfang wohl auch für einen Teil der Personen, die an Maßnahmen teilgenommen haben, sollten durchaus grundsätzliche Chancen auf eine zukünftige Erwerbstätigkeit vorhanden sein. (…)

Auf der anderen Seite gibt es unter den Leistungsbeziehern aber auch eine (kleine) Gruppe von Personen, die den Kontakt zum Arbeitsmarkt verloren haben. 6 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher vom Dezember 2010 haben sechs Jahre lang ununterbrochen Leistungen bezogen und im gesamten Untersuchungszeitraum keine Erwerbstätigkeit ausgeübt sowie an keiner arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen. (…)

Fazit
Seit Jahren verharrt die Zahl der Langzeitarbeitslosen bei etwa einer Million, gut jeder dritte Arbeitslose sucht schon seit einem Jahr oder länger nach einer Beschäftigung. Weniger als zwei Prozent der Langzeitarbeitslosen schaffen es in einem Monat, eine reguläre Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu finden. (…)

Die Vermeidung und der Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit gehören zu den drängendsten Aufgaben der Arbeitsmarktpolitik. Zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und dem Bezug von Arbeitslosengeld II gibt es einen starken Zusammenhang: Fast 90 Prozent der Langzeitarbeitslosen beziehen Arbeitslosengeld II, überwiegend schon seit mehreren Jahren. Allerdings geht das Problem der dauerhaften Abhängigkeit von Sozialleistungen deutlich über die Gruppe der Langzeitarbeitslosen hinaus. Ein großer Teil der erwerbsfähigen Leistungsbezieher im SGB II – im Jahresdurchschnitt 2014 gut 70 Prozent der 4,4 Mio. erwerbsfähigen Hilfebedürftigen – zählt zu den Langzeitleistungsempfängern. Sie erhielten also in den vergangenen zwei Jahren mindestens 21 Monate Leistungen der Grundsicherung. Fast 1,2 Mio. erwerbsfähige und nicht erwerbsfähige Menschen benötigten zwischen Anfang 2005 und Ende 2013 durchgehend Unterstützungsleistungen.

Trotz dieser langen Bezugsdauern sind Leistungsbezieher keineswegs durchgehend arbeitsmarktfern, sondern wechseln zwischen Arbeitslosigkeit, (aufstockender) Erwerbstätigkeit, Maßnahmeteilnahmen und Phasen, in denen aus bestimmten Gründen, wie etwa vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, keine Arbeit gesucht wird. Dementsprechend ist auch nur etwa jeder vierte erwerbsfähige Langzeitleistungsbezieher auch langzeitarbeitslos. (…)

Zum einen gilt es, die bestehende Arbeitsmarktnähe der Leistungsbezieher bestmöglich zu nutzen. Dazu kann die Förderung der Aufstiegsmobilität und der Stabilität des Beschäftigungsverlaufs z. B. im Rahmen von Nachbetreuungsprogrammen gehören, auch wenn die Beschäftigung nicht sofort zur Beendigung der Bedürftigkeit führt. Zum anderen sollten – auch im Hinblick auf die Prävention des Langzeitleistungsbezugs – die Rahmenbedingungen außerhalb der Arbeitsmarktpolitik für diejenigen verbessert werden, die aufgrund von Kinderbetreuung, gesundheitlichen Problemen oder der Pflege von Angehörigen dem Arbeitsmarkt nur zeitweise zur Verfügung stehen, obwohl sie häufig nicht zur Kategorie der Langzeitarbeitslosen zählen.“

Link: www.iab.de

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Dokumente: iabkb_langer_Leistungsbezug_ist_nicht_gleich_Langzeitarbeitslosigkeit.pdf

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