Auszüge aus dem Endbericht eines Forschungsprojekts „Aufbruch zu einer neuen Schulkultur“ der Universität Wien im Auftrag der Stadt Wien:
“ … Der Schulabbruch und die damit zusammenhängende Bildungsarmut eines jungen Menschen haben eine lange Vorgeschichte. Präventionsmaßnahmen in der vorschulischen Zeit … sind folglich von entscheidender Bedeutung, doch in der derzeitigen Situation liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten im Sekundarbereich. Übrigens ist auch im Sekundarbereich nicht nur Intervention sondern auch Prävention zu betreiben, da der Bildungsabbruch nicht nur den betroffenen jungen Menschen, sondern auch seine späteren Bezugspersonen und vor allem seine Kinder treffen wird.
In den Untersuchungen erfolgreicher Präventionsprogramme zeigte sich, dass die Professionalisierung des Lehrpersonals eine Schlüsselrolle spielt, d.h. die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung und die Einrichtung von professionellen Lerngemeinschaften sollte hohe Priorität gewinnen. Unter Professionalisierung im LehrerInnenberuf wird oft nur fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenz verstanden, doch gerade die Untersuchungen über Schulverweigerung und Schulabbruch zeigen, dass die Gestaltung der Beziehungen zu SchülerInnen entscheidend für den Bildungsprozess sind. … Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Motivation der SchülerInnen, die durch das Engagement der LehrerInnen, durch anregende Lernumgebungen, durch positives Klassen- und Schulklima, durch einen Unterricht, der sich an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientiert, positiv gesteigert werden kann. Daraus ist zu erkennen, dass eine verengte Kontroll- und Strafdiskussion der Probleme Schulschwänzen, Verhaltensauffälligkeit und Leistungsverweigerung kaum die erhofften Erfolge bringen wird. …
Das Forschungsprojekt hat … präventive und intervenierende Maßnahmen gegen Schulabbruch eruiert und bezüglich ihrer Brauchbarkeit … kritisch bewertet. Das Ergebnis ist ein Maßnahmenkatalog, der für alle Schultypen anwendbar ist und sich in 59 Handlungsempfehlungen mit detaillierten Anweisungen gliedert.
Die Empfehlungen richten sich an drei relevanten Zielgruppen
## Lehrpersonen und
## Eltern.
Die Empfehlungen sind in folgende Kategorien gegliedert:
Problem erkenne, Frühindikatoren
##Einheitliche und lückenlose Aufzeichnung der Fehlzeiten
##Analyse der Fehlzeiten
##Diagnose des Verhaltens der SchülerInnen
##Schriftliche Verhaltensvereinbarungen mit den Schülerinnen und Schülern
##Anreize für Anwesenheit
##Etablierung von „Dropout-Verantwortlichen“
##Reintegration häufig fehlender SchülerInnen
##Verankerung der Berufsorientierung innerhalb des Curriculums
##Einführung und Umsetzung eines Plans zur Leistungssteigerung durch ein klar kommuniziertes schulisches Leitbild
##Für SchülerInnen verständliche und motivierende Aufbereitung der Leistungs- und Bildungsstandards
##Stärkung des Symbolsystems der Schule und der Schulklasse
##Zusatzprogramme, um betroffene SchülerInnen stärker an die Schule zu binden
##Mentoring-Programme
##Tutoring-Programme
##Beratung für SchülerInnen
##Individualisierung und Personalisierung des Lernens
##Gestaltung einer anregenden Lernumgebung
##Kompetenzen entdecken, analysieren und reflektieren
##Selbständigkeit und Autonomie der SchülerInnen fördern
##Umgang mit Schülern und Schülerinnen, die langsamer bzw. unregelmäßig lernen
##SchülerInnen und Eltern Lerntechniken vermitteln und über die Gestaltung der Lernumgebung informieren
Schülern und Schülerinnen eine positive Einstellung und hohe Erwartungen vermitteln
##Unterricht und Schule als Erlebnisraum gestalten
##Unterstützungs- und Hilfeverhalten lernen und institutionalisieren
##Nachhaltige Lernmotivation herstellen und gemeinsames Lernen institutionalisieren
##Lehr- und Lernverhalten fördern, das zum Abbau von Ängsten beiträgt
##Geschlechtsspezifische Aspekte der Schulverweigerung berücksichtigen
##Sozial benachteiligten Schülern und Schülerinnen, auch aus verschiedenen Kulturen, schul- und unterrichtsakzeptierende Einstellungen und Verhaltensweisen erleichtern
##Schaffung positiver Beziehungen
##Das Sozialverhalten der SchülerInnen trainieren
##Vorurteile und negative Erwartungen abbauen
##Fokussierung auf Wertschätzung, prosoziales Verhalten, Gemeinschaftsorientierung und Integration
##Selbstsicherheit und Resilienz (psychische Widerstandskraft) der SchülerInnen fördern
##Kompetenz der Lehrpersonen zum Thema Schulabsentismus und Schulabbruch erhöhen (Information, Austausch und Fortbildung)
##Selbstsicherheit und Resilienz (psychische Widerstandskraft) der LehrerInnen fördern
##Schaffung und Nutzung einer für die rasche Unterstützung in Problemfällen günstigen Infrastruktur
##Schulräume und -zeiten für die Förderung schulabbruchgefährdeter SchülerInnen bereit stellen
##Kleine, gut geführte Schuleinheiten sind für den Schulerfolg sozial benachteiligter SchülerInnen besser als große Schulen
##Verstärkte Unterstützung bei Schulübergängen
Die Auswahl und Gewichtung der Empfehlungen sollte auf die konkrete Schulsituation hin bezogen werden. Der Prozesscharakter des Geschehens erfordert die Entwicklung einer Strategie, in deren Rahmen verschiedene Empfehlungen erprobt werden sollten. … Die Handlungsempfehlungen können von Lehrpersonen, Schulleitungspersonal und Eltern genutzt werden, um eine Selbstevaluation der Schule durchzuführen, um Stärken und Schwächen zu erkennen. Die Gewichtung der einzelnen Handlungsempfehlungen muss vor Ort erfolgen, da die Wirksamkeit von Maßnahmen von der genauen Kenntnis der schulischen und personalen Bedingungen abhängig ist. In diesem Sinn bekommen Lehrkräfte Anregungen für Veränderungen, die sie selbst möglicherweise in ihrem Unterricht bzw. in ihrer Arbeit mit einer Klasse durchführen können, um der Problematik Dropout zu begegnen.
Untersuchungsergebnisse weisen immer wieder darauf hin, dass Fördern und Fordern kein Gegensatz sind. Schulabbruch wird durch hohe Leistungsforderungen eher vermindert als verstärkt. Allerdings müssen diese Leistungsanforderungen durch die oben genannten wie auch andere Maßnahmen flankiert werden. Die Verhinderung von Schulabbruch erfolgt am besten im Rahmen einer von professionellen Lehr- und Lerngemeinschaften getragenen Schulentwicklung, in die vor allem die distanzierten und entfremdeten SchülerInnen inkludiert werden, d.h. in Netzwerke der motivierten, leistungsorientierten, hilfsbereiten und innovativen SchülerInnen und LehrerInnen einbezogen werden. Ein positives Schulklima ist das Ergebnis dieser Netzwerkarbeit, in der
## verständliche und erreichbare Leistungsziele, die sowohl auf die einzelnen Personen als auch auf Gruppen bezogen sind, gesetzt werden, und
## anregende von den SchülerInnen mitgestaltete Lernumgebungen entstehen.
Der Bericht kommt zu folgendem Schluss: Grundsätzlich wird daher alles zu tun sein, um möglichst vielen Jugendlichen einen höheren sekundären Abschluss (evtl. kombiniert mit Lehre) zu ermöglichen, und SchulabbrecherInnen über entsprechende Programme zum Nachholen von Bildungsabschlüssen zu motivieren.
Um innovative Konzepte erfolgreich zu implementieren, werden zudem folgende übergeordnete Unterstützungsmaßnahmen auf der Ebene der Stadt bzw. der Region empfohlen:
## eine Institution für die Vernetzung und Koordination der vielfältigen Angebote, Personen und Organisationen,
## kontinuierliche professionelle Weiterbildung, die auf das Zentralproblem des Schulabbruchs und der Schulverweigerung gerichtet ist, d.h. eine verbindliche Aufnahme dieses Arbeitsbereichs in den Plan für die Fortbildung der LehrerInnen,
## Supervision und Unterstützung zur Bildung von Lehrpersonenteams (professional communities),
## eine mobile Einsatzgruppe, die für die sofortige Beratung und Hilfe von Eltern und SchülerInnen zuständig ist, und
## eine wissenschaftliche Forschungseinheit, die in ständigem Kontakt mit den Schulen Evaluation betreibt und Innovationsvorschläge unterbreitet.“
Wissenschaftliche Leitung
© Ao. Univ.-Prof. Dr. Erna Nairz-Wirth
Bearbeitung
Univ.-Prof. Dr. Klaus Feldmann
Mag. Barbara Diexer, MSc
Wissenschaftliche Unterstützung
Dr. Elisabeth Wendebourg
Mag. Marie Gitschthaler
Den Bericht in vollem Umfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien
Dokumente: handlungsempfehlungen.pdf