Herkunft beeinflusst Bildungserfolg zu über 50 Prozent

Auszüge aus „Wenig Chancengleichheit in Deutschland“ – einer Auswertung des Sozio-ökonomischen Panels von Daniel D. Schnitzlein:

„…Chancengleichheit heißt keineswegs Aufstieg für alle. Der Begriff kennzeichnet vielmehr eine Situation, in der jeder in seinem Lebenslauf eine – gemessen an seinen Fähigkeiten – faire Möglichkeit zum Aufstieg hat. Der Arbeitsmarkterfolg, Bildungserfolg oder kurz der soziale Status einer Person soll vor allem von Faktoren abhängen, die individuellen Talenten und Fähigkeiten zugeschrieben werden können und somit im Einflussbereich des Einzelnen liegen. „Umweltfaktoren”, also alle Faktoren, die der Einzelne nicht beeinflussen kann, sollten keinen Einfluss auf den eigenen Erfolg oder Misserfolg haben. …

Chancengleichheit ist in dieser Definition eng verbunden mit dem Ausmaß sozialer Mobilität in einer Gesellschaft: So stellt der Familienhintergrund, zum Beispiel die soziale Stellung der Familie, von der man abstammt, einen Faktor dar, den der Einzelne nicht beeinflussen kann. Hängt nun der eigene Erfolg maßgeblich von diesem Faktor ab, so ist die Folge für die Gesellschaft eine niedrige soziale Mobilität, und das Ziel der Chancengleichheit wird nur unzureichend eingelöst. …

Geschwisterkorrelationen als Maß für Chancengleichheit in einer Gesellschaft
Der entscheidende Faktor bei der Bestimmung von Chancengleichheit ist die Schätzung des Einflusses des Familienhintergrundes auf den individuellen ökonomischen Erfolg. Die Mehrheit bisheriger Studien hat versucht, den Effekt des Elterneinkommens oder der Elternbildung (in den meisten Fällen des Vatereinkommens oder der Vaterbildung) auf das Einkommen oder die Bildung der Kinder zu schätzen.

Bei der üblichen direkten Analyse des familiären Hintergrunds, können jedoch immer nur die Faktoren berücksichtigt werden, die auch in die Modelle eingebaut werden können. So wird der Effekt des Einkommens des Vaters auf das Einkommen des Sohnes oder der Zusammenhang zwischen dem Bildungsabschluss der Mutter und dem Bildungsabschluss der Tochter ermittelt. Der Einfluss des Familienhintergrundes umfasst hingegen viel mehr als nur die leicht messbaren Faktoren, wie das Einkommen oder die Bildung der Eltern. Eine vollständige Beschreibung der gesamten Situation der Familie würde sehr umfangreiche Daten sowohl über die Eltern- als auch über die Kindergeneration erfordern, die in dieser Detailliertheit weltweit nicht verfügbar sind. Bei der Messung von Chancengleichheit greift daher die direkte Analyse zu kurz.

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ein alternativer Ansatz gewählt. Anstatt Eltern und Kinder zu vergleichen, wird analysiert, wie ähnlich sich Geschwister sind. Die Idee hierbei ist: Wenn ein substanzieller intergenerationaler Zusammenhang vorliegt, sollten sich zwei Geschwister deutlich ähnlicher sein als zwei zufällig ausgewählte vergleichbare Individuen. Der Effekt des Familienhintergrundes wird also indirekt gemessen und dabei auch dem Einfluss genetischer Dispositionen von Talenten und Fähigkeiten innerhalb einer Familie Rechnung getragen.

Bei der Modellierung über die Ähnlichkeit der Geschwister werden also sämtliche Faktoren statistisch berücksichtigt, die von den betrachteten Geschwistern während ihrer gemeinsamen Sozialisation geteilt werden. Neben den klassischen Faktoren, wie der Bildung der Eltern, fließen so zum Beispiel auch Erziehungsstile und Wertvorstellungen der Eltern, die diese im Rahmen ihrer Erziehung an ihre Kinder weitergeben, in die Untersuchung ein. …

Bildungserfolg sogar stärker familiär bedingt als Körpergröße
Besonders groß ist der Einfluss des familiären Hintergrunds bei Männern: Beim individuellen Arbeitseinkommen erklärt er 43 Prozent der Ungleichheit, beim Familieneinkommen 47 Prozent und bei den Stundenlöhnen knapp 46 Prozent. Bei den Frauen liegen die Werte mit 39 Prozent beim individuellen Arbeitseinkommen und 32 Prozent beim Familieneinkommen etwas niedriger, bei den Stundenlöhnen ist die Ungleichheit zu einem ebenso hohen Anteil wie bei Männern durch den Familienhintergrund zu erklären. Für den Bildungserfolg ist dieser sogar noch höher: 66 Prozent der Ungleichheit gehen bei den Männern auf familiäre Hintergründe zurück, bei den Frauen sind es 56 Prozent. Wie hoch diese Zahlen sind, verdeutlicht ein Vergleich: Der DIW-Studie zufolge hängt der Bildungserfolg in Deutschland sogar stärker mit dem Familienhintergrund zusammen als die größtenteils genetisch bedingte Körpergröße.

Fazit
Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass das Ziel der Chancengleichheit, also der Unabhängigkeit des individuellen ökonomischen Erfolges von Faktoren, die nicht im eigenen Einflussbereich liegen, in Deutschland nicht erreicht wird. Im internationalen Vergleich wird zudem deutlich, dass sich Deutschland auf einem ähnlich niedrigen Niveau der Chancengleichheit befindet wie die USA und – gemessen am allgemein akzeptierten Ziel der Chancengleichheit – ein deutlich schlechteres Bild abgibt als Dänemark.

Die bestehende internationale Literatur weist darauf hin, dass das Bildungssystem eine wichtige Rolle dabei spielen kann, den Einfluss des Familienhintergrundes auf den individuellen ökonomischen Erfolg zu reduzieren. Diese Befunde sprechen dafür, die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen und fehlende Förderung der Kinder in bildungsfernen Familien durch frühzeitige staatliche Angebote zu kompensieren, um das Ziel der Chancengleichheit zu erreichen. …“

Der Beitrag in voller Länge wurde im DIW Wochenbericht „Herkunft prägt beruflichen Erfolg“ veröffentlicht. Dieser steht unter aufgeführtem Link zum Download zur Verfügung.

http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.414563.de/13-4.pdf

Quelle: DIW Wochenbericht

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