Drogenbericht 2011: Drogenkonsum in Deutschland unverändert – Kinder von Abhängigen besonders gefährdet

In Ergänzung zu den bereits im vergangenen Jahr vorgestellten Daten zur Verbreitung des Drogenkonsums hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in diesem Jahr die Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativerhebung zum Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland vorgelegt. Hier zeigen sich positive Entwicklungen: 5 % der 12- bis 17-Jährigen bzw. 12,7% der 18- bis 25-Jährigen haben innerhalb der letzten 12 Monate vor der Befragung Cannabis konsumiert, 2004 waren es noch 10,1 % (12-17 Jährige) bzw. 12,7 % (18-25-Jährige). Der in Lissabon vorgestellte Jahresbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogenkonsum (EBDD) weist auf einen Konsum illegaler Drogen hin, der relativ stabil ist. Einige positive Anzeichen sind ein Rückgang des Konsums von Cannabis insbesondere unter jüngeren Menschen und der Umstand, dass der Höhepunkt des Konsums von Kokain wohl überschritten ist.

Dagegen stellen neue Phänomene die Mitgliedsstaaten vor Herausforderungen. Dazu gehören insbesondere Entwicklungen im Bereich synthetischer Drogen und Konsummuster, bei denen zahlreiche Substanzen parallel konsumiert werden (so genannter polyvalenter Konsum).

Zentrale Ergebnisse des Berichts 2011 für Deutschland:
“ … Drogenpolitik: Rechtsprechung, Strategien und ökonomische Analyse
An der Stelle isolierter „Drogen“-konzepte steht heute eine substanzübergreifende „Sucht“ – Politik, die vermehrt gemeinsame Aspekte aller psychotropen Substanzen in den Mittelpunkt stellt. Vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen an die Drogen- und Suchtpolitik und aktueller Entwicklungen hat die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2010 eine „Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik“ entwickelt, die derzeit mit den Ressorts der Bundesregierung abgestimmt wird. …

Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass neue psychotrope Wirkstoffe auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene stark zunehmen. Bei diesen gezielt zu Rauschzwecken hergestellten Substanzen handelt es sich in der Regel um synthetische Derivate bereits bekannter Betäubungsmittel, die nicht mehr vom BtMG erfasst sind, jedoch über eine ähnliche oder sogar stärkere Wirkung verfügen wie ihre Ausgangsstoffe („Designerdrogen“). Damit werden die gesetzlichen Verbote und Kontrollen des BtMG umgangen und infolge der rechtlichen Grauzone bis zur Unterstellung des jeweiligen Stoffes weitere Absatzmärkte geschaffen bzw. aufrechterhalten. Mit einem Rechtsgutachten hat das Bundesministerium für Gesundheit die Machbarkeit der Einführung ein definierter Stoffgruppen im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) untersuchen lassen, um zukünftig Maßnahmen treffen zu können, mit denen sich das Unterlaufen von Bestimmungen des Betäubungsmittelrechts besser verhindern lassen könnte. …

Drogenkonsum in der Bevölkerung und spezifischen Untergruppen
… Cannabis ist nach wie vor die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge. Nennenswerte Werte erreichen darüber hinaus nur noch Kokain, Amphetamine, Ecstasy und Pilze. Der Konsum von Heroin, LSD und Crack ist nach wie vor auf bestimmte und zahlenmäßig deutlich kleinere Gruppen beschränkt.

2011 hat die BZgA die Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativerhebung zum Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland vorgelegt. Von den Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren haben 7,4%, von den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren 35,0% mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert (Lebenszeitprävalenz). Die Anteile derjenigen, die auch in den letzten 12 Monaten vor der Befragung Cannabis konsumiert haben, betrugen 5,0% bei den 12- bis 17-Jährigen bzw. 12,7% bei den 18- bis 25-Jährigen (12-Monats- rävalenz). In den letzten 30 Tagen vor der Befragung haben 1,7% der Jugendlichen und 5,3% der jungen Erwachsenen Cannabis konsumiert (30-Tage-Prävalenz). Nach einem deutlichen Anstieg der Lebenszeitprävalenz des Cannabiskonsums in den 1990er Jahren sind derzeit in allen Alters- und Geschlechtergruppen wieder Rückgänge zu verzeichnen. Die 12-Monats-Prävalenz und die 30-Tage-Prävalenz sind in der aktuellen Befragung in nahezu allen untersuchten Gruppen statistisch bedeutsam geringer als in den Vorjahren.

Drogenkonsum in der Schule und unter Jugendlichen
Nach wie vor gehören psychische Störungen im Zusammenhang mit dem Konsum illegaler Drogen mit einer Prävalenz von etwa 5-6% zu den epidemiologisch wichtigen psychiatrischen Störungen des Kindes- und Jugendalters. Aktuelle Studien weisen darüber hinaus darauf hin, dass z.B. Cannabis im Gehirn von Jugendlichen eine weitaus schädlichere Wirkung hat als bei Erwachsenen. Die große Mehrheit der Jugendlichen stellt den Substanzkonsum mit dem Übergang ins Erwachsenenalter wieder ein. Frühe Interventionen können helfen, die Entwicklung einer substanzbezogenen Störung und damit den Einstieg in eine Suchtkarriere abzuwenden. Neben der Mehrzahl der Jugendlichen, die keine persistierenden Störungen entwickelt, existiert jedoch eine relevante Gruppe, die bereits in jungen Jahren hoch problematische Konsummuster entwickelt und in zahlreichen Fällen (im späteren Verlauf) auch psychische Komorbiditäten (Störungen des Sozialverhaltens, affektive Störungen, Angststörungen) aufweist. Insbesondere für diese Klientel ist die Schaffung besonderer Behandlungsangebote … notwendig.

Um der späteren Entwicklung substanzbezogener Störungen bei Jugendlichen vorzubeugen, kommt der Prävention (universell und selektiv) von Nikotingebrauch bzw. -abhängigkeit offensichtlich eine Schlüsselrolle zu, da Nikotinabhängigkeit eine hohe Assoziation mit anderen Störungen aufgrund des Konsums illegaler Substanzen aufweist. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Konsums auch legaler psychotroper Substanzen (v.a. Alkohol, Tabak) durch Jugendliche und junge Erwachsene, werden nachfolgend auch kursorisch Ergebnisse zum Konsum legaler Substanzen berichtet. …

Prävention
Trotz der weiterhin rückläufigen Entwicklungen des Cannabiskonsums von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland bleibt es erforderlich, die illegale Substanz Cannabis in geeigneten präventiven Maßnahmen zu thematisieren. Der nach wie vor hohe zum Teil exzessive Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen wird in Deutschland in Fachöffentlichkeit und Presse wie bereits in den Vorjahren intensiv diskutiert. Da gerade der gleichzeitige Konsum von Alkohol und einer illegalen Droge ein weit verbreitetes Risikoverhalten darstellt, reagieren die Fachkräfte in der Suchtprävention mit einer hohen Anzahl von präventiven Maßnahmen mit spezifischem Substanzbezug, um so den risikoarmen Umgang mit Alkohol zu fördern und den Konsum von legalen und illegalen Suchtstoffen in allen Altersgruppen der Bevölkerung zu reduzieren. Neben substanzbezogenen Präventionsaktivitäten sind substanzübergreifende Maßnahmen wie zum Beispiel die Förderung von Gesundheits- und Lebenskompetenzen sowie die Bildung kritischer Einstellungen in Deutschland etwa gleich weit verbreitet. …

In der Suchtprävention gewinnen Zugangswege über die „Neuen Medien“ für unterschiedliche Zielgruppen – vor allem für Kinder und Jugendliche, beispielsweise aber auch für Personen mit Migrationshintergrund – mehr und mehr an Bedeutung und werden entsprechend ausgebaut. Informationen über Hilfe-, Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten werden im Internet als niedrigschwellige Informationsangebote bereitgestellt. Über diese Informationskanäle werden auch solche Personen angesprochen, die bisher nicht durch Maßnahmen in der Suchtprävention erreicht werden können. …

Umgang mit gesundheitlichen Aspekten des Drogenkonsums
Verschiedene Maßnahmen, wie z.B. Drogenkonsumräume, Spritzentauschprogramme und andere Präventionsprogramme sollen dabei helfen, Drogentodesfälle zu verhindern und Infektionskrankheiten vorzubeugen. Derzeit gibt es in Deutschland insgesamt 28 Drogenkonsumräume in sechs Bundesländern und laut einer aktuellen Studie zur Verfügbarkeit von Spritzentauschprogrammen in Deutschland in mindestens 26,6% der Landkreise entsprechende Angebote. Eine Vielzahl von Experten sieht nach wie vor erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten bei der Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten und anderen gesundheitlichen Begleiterscheinungen bei Drogenkonsumenten.

Soziale Begleiterscheinungen und soziale Wiedereingliederung
Die soziale Situation vieler Suchthilfeklienten, insbesondere in niedrigschwelligen Einrichtungen, ist weiterhin prekär. Das Leben vieler Suchtkranker ist immer noch sehr stark von Wohnungslosigkeit, fehlender regulärer Arbeit und geringem Einkommen nicht zuletzt aufgrund des niedrigen Bildungsgrades, geprägt.

Mehrere Modellprojekte in verschiedenen Regionen Deutschlands setzen an diesem Problem an und fördern Kooperationen zwischen Suchthilfe und den ARGEn, zum einen mit dem Ziel arbeitslose Abhängige frühzeitig in Therapie zu vermitteln und somit einer Chronifizierung entgegenzuwirken und zum anderen um möglichst viele Klienten in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu vermitteln. …

Drogenkonsumenten mit Kindern (Abhängige Eltern und kindesbezogene Themen)
Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 30.000 und 60.000 Kinder von Drogenabhängigen in Deutschland leben. Aussagekräftige Zahlen liegen über Drogenkonsumenten vor, die in Behandlung oder Betreuung in einer ambulanten oder stationären Einrichtung der Suchthilfe sind. …

Aus der Abhängigkeitserkrankung eines Elternteils ergeben sich für die Familien und einzelne Familienmitglieder unterschiedliche Gefahren und Risiken. Die Lebensumstände drogenabhängiger Eltern sind häufig von Armut und sozialer Benachteiligung gekennzeichnet. Dadurch ergeben sich sowohl für die Eltern als auch für die Kinder zusätzliche Gesundheitsrisiken und psychische Belastungen.

In Deutschland existiert ein komplexes Gefüge aus Akteuren, Einrichtungen und Institutionen, die in ihrer Arbeit Unterstützung und Hilfsangebote für suchtbelastete Familien bereithalten und Aktionen, Veranstaltungen und Projekte durchführen. Die Arbeit mit den Eltern und Kindern, den Familien als Ganzes oder Angehörigen ist dabei häufig eng verzahnt. Der Kooperation verschiedener Institutionen kommt eine besondere Rolle zu. Ein wichtiges Anliegen ist, die derzeit auf lokaler und kommunaler Ebene vorhandenen Strukturen weiter auf- und auszubauen sowie auch bundeseinheitlich Standards für verbindliche Kooperationsstrukturen zu schaffen. … „

Den Bericht 2011 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogenklärung in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: Drogenbeauftragte der Bundesregierung; DBDD; EBDD

Dokumente: reitox_report_2011_dt.pdf

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