22 Mio junge Chancen – kinder- und jugendpolitisches Leitpapier zum 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (DJHT)

Auszüge aus dem kinder- und jugendpolitischen Leitpapier der AGJ zum 16. DJHT:
22 mio. junge Chancen sind… ## fast 11 Millionen Kinder, mehr als 2,3 Millionen Jugendliche und über 8 Millionen junge Erwachsene, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. (…) Mit Blick auf die deutsche Gesamtbevölkerung machen diese knapp 22 Millionen einen Anteil von 25,6 Prozent aus. (…)
## Jeder junge Mensch ist einzigartig. Kinder und Jugendliche wachsen in verschiedenen Lebenslagen auf. Aktuell werden in Deutschland fünf Prozent mehr Jungen als Mädchen geboren. Wichtigster Ort des Aufwachsens ist die Familie, doch familiale Lebensformen sind vielfältiger geworden. (…)
## Die Ressourcenausstattung einer Familie sowie deren gesellschaftliche Anerkennung bestimmen das Maß der Förderung, das sie ihren Kindern für deren Entwicklung zukommen lassen können. Familien sind so in unterschiedlichem Maße für die Eröffnung von Teilhabechancen förderlich. So sind Haushalte von Alleinerziehenden zu über 40 Prozent von Armut gefährdet. Auch die Regionalität spielt bei der Ressourcenausstattung von Familien eine Rolle: In Ostdeutschland leben Kinder und Jugendliche beinahe doppelt so häufig in Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, als in Westdeutschland.
## Das Aufwachsen erfolgt mehr und mehr in öffentlicher Verantwortung: (…)
22 mio. junge Chancen stehen für… ## … Mainstream und Eigenverantwortung. – Jungen Menschen sind Eigenverantwortung und Unabhängigkeit wichtig, neuerdings auch der Respekt vor Gesetz und Ordnung, der von ihnen als noch wichtiger bewertet wird als Fleiß, Ehrgeiz oder die Entfaltung der eigenen Kreativität. Für viele Jugendliche ist es wichtig, so zu sein „wie alle“. Sie vertreten einen gemeinsamen Wertekanon von Freiheit, Aufklärung und Toleranz, aber auch von Anpassungs- und Leistungsbereitschaft. (…) Sie haben einen immer besseren Zugang zu Medien und zu einer Vielfalt von Kommunikationsmöglichkeiten und Konsumgütern, die allein auf sie zugeschnitten sind. Unter Voraussetzung entsprechender materieller Ressourcen hat sich darüber hinaus ihr Bewegungsradius und mit ihm Möglichkeiten zum Entdecken der Welt deutlich erhöht. (…)
## … Solidarität, mehr Gerechtigkeit und politisches Engagement. – Das Streben nach Sicherheit ist unter Jugendlichen heute genauso ausgeprägt wie die Bereitschaft, sozial benachteiligten und gesellschaftlichen Randgruppen zu helfen. Bereits im Alter von drei Jahren besitzen Kinder ein auf Gegenseitigkeit gerichtetes Verständnis von Gerechtigkeit – Fairness und Gleichverteilung stehen dabei im Vordergrund. Jugendliche setzen sich für andere ein und fordern dabei Solidarität gegenüber allen Menschen, nur so könne ein selbstbestimmtes Leben in einer friedlichen Weltgemeinschaft funktionieren. Das politische Engagement der Jugendlichen ist in den letzten zehn Jahren wieder deutlich gestiegen und auch der Demokratie in Deutschland trauen sie im Vergleich zu vergangenen Jahren immer mehr zu. Junge Menschen fordern mehr Teilhabe- und Mitbestimmungsmöglichkeiten. (…) Insbesondere für den ländlichen Raum regen sie Veränderungen an, die auch aktuelle gesellschaftspolitische Themen mit einschließen. Sie fordern mehr Integrationsangebote für Flüchtlinge, sie unterstreichen den Stellenwert des öffentlichen Nahverkehrs, sie fordern eine nachhaltige Landwirtschaft, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie mobile ärztliche Versorgung auf dem Land.
## … die Widersprüche dieser Welt. – Kinder und Jugendliche müssen lernen mit den Widersprüchen dieser Welt umzugehen. Die eine Kindheit oder Jugend gibt es nicht. Kinder und Jugendliche leben in Deutschland in armen und in reichen Verhältnissen, sie wachsen mit liebenden und vernachlässigenden Eltern, in stabilen und instabilen Elternhäusern auf. Einige erleben Gewalt und haben Angst vor der
Zukunft. (…) Manche wissen genau, was sie wollen, andere haben keinen Plan. (…) Viele Kinder und Jugendliche bewältigen die Schule, manche nicht und bleiben ihr schließlich fern. Einigen steht die Welt offen, andere bekommen keinen Ausbildungsplatz. (…) Deutlich wird hier, dass die persönliche und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in strukturelle Rahmenbedingungen eingebunden und an soziale, kulturelle und ökonomische Ressourcen geknüpft ist.
## … unterschiedliche Chancen und Resilienzfaktoren. – Kinder und Jugendliche in Deutschland haben unterschiedlich gute Chancen
ihre Potenziale zu entfalten. Kommen sie aus Herkunftsschichten mit
geringem Bildungsniveau und wenig Einkommen sind sie häufig dem Risiko
ausgesetzt, von Teilhabe ausgeschlossen zu werden. Viele junge Menschen
haben eine Migrationsgeschichte, die nicht selten mit Diskriminierungserfahrungen verbunden ist. Andere junge Menschen werden aufgrund körperlicher, geistiger und seelischer Beeinträchtigung oder ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität und Orientierung diskriminiert. Die Bedingungen des Aufwachsens in Deutschland variieren und Herkunftsmilieus haben sich ausdifferenziert. Ihre Ausgestaltung wird heute weniger dem Sozialraum
zugeschrieben als der Familie und den Kindern und Jugendlichen selbst. Sie sind danach an den Bedingungen ihres Aufwachsens beteiligt, ohne sich über die sozialen Herausforderungen gänzlich hinwegsetzen zu können. Zugleich zeigen jüngste Ergebnisse, dass auch Kinder aus belasteten Verhältnissen ihren Alltag positiv und vielfältig ausgestalten können. (…)
## Gemeinsam Gesellschaft gerecht gestalten… – … bezieht alle gesellschaftlichen Handlungsfelder mit ein. Eine Gesellschaft, die die Gestaltung der Chancen für die nachwachsende Generation in den Mittelpunkt stellt, kann nur dann Realität werden, wenn die
alltäglichen Lebenswelten, Interessenlagen und Bedürfnisse aller jungen
Menschen mit und ohne Behinderung in allen gesellschaftlichen Bereichen
Leitschnur des Handelns und Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen sind. (…)
## … erfordert die Einmischung und Weiterentwicklung der Kinder- und
Jugendhilfe.
– Im Interesse aller jungen Menschen muss sich die Kinder- und Jugendhilfe in alle gesellschaftlichen Bereiche einmischen. Dabei muss sie mit anderen Bildungsinstitutionen und Leistungsträgern kooperieren und in den Dialog treten – hierfür ist ein gegenseitig wertschätzender Umgang nötig. Die eigenen Angebote müssen dabei stets weiterentwickelt und optimiert werden, im Sinne eines gerechten Aufwachsens. Dafür müssen junge Menschen an der Ausgestaltung dieser Angebote mitwirken und mitbestimmen können. Umfassende Gestaltungsspielräume für junge Menschen, Beschwerdemöglichkeiten bei allen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und Ombudschaften müssen zur Selbstverständlichkeit werden. (…) Die Kinder- und Jugendhilfe selbst muss sich politisch eindeutiger und öffentlicher positionieren – im Interesse ihrer Adressatinnen und Adressaten und in Bezug auf die fachliche Weiterentwicklung ihrer eigenen Leistungen.
## … ist nicht nur eine nationale, sondern auch eine europäische Aufgabe. – Jugendpolitisches Handeln muss stärker als ein wesentliches Element eines sozialen Europas verstanden werden. Dazu braucht es eine gemeinsame europäische Politik, die junge Menschen in den Mittelpunkt stellt und es sich zur Aufgabe macht, allen Kindern und Jugendlichen ein gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen, und sie dazu befähigt, ihr Umfeld aktiv mitzugestalten. Dazu muss sowohl die ressortspezifische als auch die sektorübergreifende jugendpolitische Zusammenarbeit innerhalb Europas verstärkt werden. Eine kinder- und jugendpolitische Gesamtstrategie, die auf einem soliden finanziellen Fundament steht, ist erforderlich. (…)“

Link: www.agj.de

Quelle: AGJ

Dokumente: Kinder-_und_jugendpolitisches_Leitpapier-16_-DJHT.pdf

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