Angewiesen auf Hartz IV trotz Erwerbstätigkeit

Auszüge aus den Schlussfolgerungen des DGB-Bundesvorstands zur Hartz-IV -Bedürftigkeit von Erwerbstätigen:

“ … Hartz IV nicht nur ein Sicherungssystem für Erwerbslose
Hartz IV ist nicht nur ein Sicherungssystem für Erwerbslose. Vielmehr hat sich der Anteil der Haushalte mit Erwerbseinkommen in den letzten Jahren eher erhöht: So stieg die Zahl der Bedarfsgemeinschaften mit Erwerbseinkommen von 1,09 Mio. in 2007 auf 1,23 Mio. in 2010 und ihr Anteil an allen hilfebedürftigen Haushalten von 29 % auf 34 %. Dieser Zuwachs ist allein auf die Haushalte mit sozialversicherter sowie geringfügiger Teilzeit zurückzuführen.

… Der Zusammenhang von niedrigen Löhnen und Hartz IV-Bedürftigkeit ist hier besonders eng, auch wenn bei bestimmten Fallkonstellationen – wie kinderreiche Familie – Hilfebedürftigkeit auch bei Einkommen über der Niedriglohnschwelle eintreten kann. Bei Teilzeitjobs kommen andere Gründe hinzu – wie fehlende Kinderbetreuung – ; Niedriglöhne haben aber auch hier einen Einfluss auf die Höhe der aufstockenden Fürsorgeleistung.

Die Zahl der erwerbstätigen Aufstocker konzentriert sich sehr stark auf einige wenige Branchen, in denen das Verarmungsrisiko Erwerbstätiger besonders hoch ist und Hilfebedürftigkeit auch bei Ausübung sozialversicherter Jobs häufig nicht überwunden werden kann. Empirische Untersuchungen zeigen, dass es sich bei den erwerbstätigen Aufstockern keinesfalls um einen monolithischen Block handelt, sondern eine hohe Dynamik zu verzeichnen ist. Nur ein gutes Drittel der
Aufstocker bezieht ganzjährig Hartz IV. …

Erhöhte Gefahr in eine Prekaritätsfalle zu geraten
Der Bestand an erwerbstätigen Aufstocker ist nur die Spitze des Eisbergs all jener, die trotz Erwerbstätigkeit Hartz IV oftmals nicht dauerhaft überwinden können. Vielmehr droht sich die Zahl jener zu erhöhen, die in eine Prekaritätsfalle zu geraten drohen, die trotz aller Anstrengungen und einen vielfachem Wechsel von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit Hartz IV-Bedürftigkeit nicht nachhaltig überwinden können. …

An Niveau und Struktur der Aufstocker sowie der Verteilung auf Branchen hat sich in den letzten Jahren gleichfalls nichts Grundlegendes geändert. Insbesondere aus Arbeitgebersicht wird das relativ starke Gewicht eines Kombilohns aus Erwerbseinkommen und ergänzendem Hartz IV als arbeitsmarktpolitischer Erfolg gesehen und unterstellt, dass diese Arbeitsplätze andernfalls gefährdet und die Aufstocker mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitslos wären. Kaum thematisiert werden die negativen ökonomischen Rückwirkungen dieser hohen den Lohn ersetzenden Zuschüsse insbesondere auf einige Niedriglohnsektoren. …

Ein gesetzlicher Mindestlohn würde der Ausbreitung von Niedriglöhnen Grenzen setzen
Wenn Erwerbsorientierung nicht dauerhaft Schaden nehmen soll, muss den Beschäftigten eine Arbeit in Aussicht gestellt werden, von der man leben kann. Dazu zählen neben einem Mindestlohn auch Rahmenbedingungen, dass man tatsächlich einer möglichst stabilen Beschäftigung nachgehen kann und die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie auch bisherige Hartz IV-Empfänger sichergestellt wird. … Ein gesetzlicher Mindestlohn würde zugleich der Ausbreitung von Niedriglöhnen Grenzen setzen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen abbauen. Nicht zuletzt könnten die staatlichen Hartz IV-Ausgaben reduziert und Mehreinnahmen bei Steuern und Sozialbeiträgen in Milliardenhöhe erzielt werden, zumal nicht nur Hartz IV-Empfänger davon profitieren würden. …

Die aktuellen Studien zu den bereits eingeführten branchenspezifischen Mindestlöhnen, die für das Bundesarbeitsministerium erstellt wurden, kommen zu dem Ergebnis, dass sich keine negativen Beschäftigungswirkungen nachweisen lassen. Für einzelne Branchen – wie dem Maler- und Lackiererhandwerk – deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die betriebliche Fluktuation zurück gegangen ist und Beschäftigungsverhältnisse eher stabilisiert werden konnten. Im Dachdeckerhandwerk hat sich gezeigt, dass der Mindestlohn zu einer Erhöhung des Anteils der Fachkräfte beigetragen hat. Internationale Studien – wie für Großbritannien und die USA – weisen gleichfalls darauf hin, dass sich die dortigen Mindestlohnregelungen nicht negativ auf die Beschäftigung ausgewirkt haben. Vielmehr sind die Unternehmen bestrebt, ihre Arbeitsorganisation anzupassen und zu verbessern und eher in die Weiterbildung der Beschäftigten zu investieren.

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei der Entscheidung über längst notwendige Mindestlöhne immer noch hinterher. So gibt es außer in den skandinavischen Ländern und Österreich in fast allen andern EU-Ländern generelle Mindestlöhne. Bei uns hingegen können Unternehmen oftmals immer noch Niedrigstlöhne zahlen und damit kalkulieren, dass diese durch staatliche Fürsorge aufgestockt werden müssen. Hartz IV trägt – außer durch den problematischen Kombilohncharakter bei Aufstockern – noch zusätzlich zur Ausweitung des Niedriglohnsektors bei. Denn alle (noch so schlechten) Jobs sind
für Hartz IV-Bezieher zumutbar bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit. Lediglich wenn Lohnwucher vorliegt und sittenwidrige Löhne gezahlt werden, können die Hartz IV-Träger Unternehmen „belangen“ und finanziell Schaden geltend machen, weil Fürsorge gezahlt werden muss.

Aufstockungsleistung sind nicht zu zahlen, wenn Lohnwucher vorliegt
Doch viel zu selten wird geprüft, ob Hartz IV möglicherweise gezahlt werden muss, weil gesetzlicher Lohnwucher vorliegt. Das Kontroll-Personal muss dringend erhöht werden, damit Unternehmen wirksamer überprüft und sittenwidrige Lohnzahlungen besser verhindert werden können. Besonders hoch ist das Verarmungsrisiko für Bedarfsgemeinschaften mit mehreren Kindern und nur einem Erwerbseinkommen im Haushalt. Dabei soll der Hartz IV vorgelagerte Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit eigentlich verhindern, soweit die Eltern zwar ihre eigene Existenz sichern können, aber durch die Kinder zum Hartz IV-Fall werden.

Da der Kinderzuschlag jedoch zu niedrig und die Anspruchsvoraussetzungen zu eng sind, entfaltet er mit ca. 250.000 begünstigten Kindern nur wenig Wirkung. Um Armut und Hartz IV-Bedürftigkeit auch bei größeren Familien zu verhindern, muss über flächendeckende Mindestlöhne hinaus zugleich der Kinderzuschlag und das Wohngeld für Familien ausgebaut werden. Der DGB setzt sich für eine
Umgestaltung der Familienförderung ein, die sicherstellt, dass steuerrechtlich alle Kinder gleich behandelt werden und die eine sozialpolitische Förderung über Kinderzuschlag oder ein neues Kindergeld insbesondere auf einkommensschwache Haushalte mit Kindern konzentriert.

Qualifizierung statt Ausbau des Niegriglohnsektors
Statt auf die Ausweitung des Niedriglohnsektors zu setzen, müssten zugleich die Qualifizierungsmaßnahmen für Hartz IV-Empfänger dringend ausgebaut und die Bildungsinvestitionen für Geringqualifizierte erhöht werden, seien sie arbeitslos oder als Aufstocker bereits beschäftigt.“

Die DGB-Publikation „arbeitsmarkt aktuell“ in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link.

http://www.dgb.de/service/newsletterarchiv/arbeitsmarktpolitik

Quelle: DGB Bundesvostand

Dokumente: Hartz_IV_Beduerft._von_Erwerbstaet.pdf

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