Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – besonders schutzbedürftig

Auszüge aus dem im Positionspapier des DCV formulierten Handlungsbedarfen:
“ … Handlungsbedarf

Fiktive Altersfestsetzung
Die Situation im Herkunftsland und die allgemeinen Umstände der Flucht führen oftmals dazu, dass Schutzsuchende ohne Dokumente, die als Nachweis ihres Alters dienen könnten, in Deutschland einreisen. Sie können daher ihr Alter gegenüber den Behörden häufig nicht nachweisen. Ist dies der Fall, sind die Behörden gehalten, Maßnahmen zu treffen, um das Alter festzustellen. Aus diesem Grund erfolgen häufig sogenannte fiktive Altersfestsetzungen. Die fiktive Altersfestsetzung bestimmt damit die weitere rechtliche und behördliche Behandlung der Betroffenen. …

Der Deutsche Caritasverband fordert die Einführung eines einheitlich geregelten, gerichtlich überprüfbaren Verfahrens zur Alterseinschätzung, dessen Ergebnis Bindungswirkung für alle beteiligten Akteure (u. a. BAMF) haben muss.
Als Methode zur fiktiven Altersfestsetzung scheint die Inaugenscheinnahme in Kombination mit der Feststellung des Reifegrades (kognitive Verhaltensbeurteilung und psychologische Beurteilung) am ehesten geeignet zu sein. Diese sollte durch fachlich geeignetes und geschultes Personal (Psycholog(inn)en, Mitarbeiter(innen) des Jugendamtes, Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin), möglichst mit Erfahrung im Umgang mit Menschen der entsprechenden ethnischen Herkunft, durchgeführt werden. …
Röntgen- und/oder Computertomographische Untersuchungen (CT) oder andere potenziell gesundheitsgefährdende Untersuchungen sind als ausschlaggebende Methoden zur Altersfestsetzung im Grundsatz abzulehnen. …
Generell muss der Minderjährigenschutz dadurch Beachtung finden, dass bei fiktiven Altersfestsetzungen im Zweifel zu Gunsten des Betroffenen davon auszugehen ist, dass dieser noch minderjährig ist und/oder das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Sofern es nicht offenkundig ist, dass das Kind/der Jugendliche älter ist als angegeben, muss die Beweislast bezüglich des Alters auf staatlicher Seite liegen. …

Aufgriffe durch die Bundespolizei
Um legal nach Deutschland einzureisen, müssen Drittstaatsangehörige grundsätzlich im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels wie z. B. einem Visum oder einer Aufenthaltserlaubnis sein. Da umF jedoch häufig keinen Aufenthaltstitel vorweisen können, reisen sie in der Regel unerlaubt nach Deutschland ein. Nicht selten werden umF von der Bundespolizei im Umfeld der deutschen Landesgrenzen aufgegriffen. Für die Beamten existieren in Bezug auf umF keine speziellen Dienstanweisungen oder Verwaltungsvorschriften. …
Um zu vermeiden, dass umF in hilflose Lagen geraten, ist es bei drastischen Maßnahmen wie Zurückschiebungen und Zurückweisungen unerlässlich, die besondere Schutzbedürftigkeit und die Vorrangigkeit des Kindeswohls zu berücksichtigen.
Bestehen bei Aufgriffen von umF durch die Bundespolizei Zweifel an der Minderjährigkeit muss zugunsten des Betroffenen Minderjährigkeit angenommen werden.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dürfen nach illegaler Einreise und Aufgriff durch die Bundespolizei nicht zurückgeschoben werden.
Im Rahmen des Flughafenverfahrens dürfen umF nicht zurückgewiesen werden. Die Einreise muss erlaubt werden.
In allen Fällen muss die Übergabe an das Jugendamt sichergestellt werden. …

Unterbringung
Nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII sind Jugendämter explizit gesetzlich verpflichtet, unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche in Obhut zu nehmen, wenn sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte in Deutschland aufhalten. … In der Praxis werden die Vorgaben des SGB VIII jedoch teils nicht beachtet. So werden mancherorts männliche 16- bis 17-jährige umF in Jugendtrakten von Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die den Standards der Jugendhilfe nicht genügen. … Im Rahmen der Inobhutnahme ist das Jugendamt nach § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verpflichtet, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. …

Im Rahmen der Inobhutnahme ist das Jugendamt nach § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verpflichtet, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. …

In Deutschland gibt es klare gesetzliche Vorschriften, nach denen umF immer in Obhut zu nehmen und damit in geeigneten kindgerechten Wohnformen unterzubringen sind. Die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende ist damit ausgeschlossen und widerspricht den gesetzlichen Vorgaben.
Der Deutsche Caritasverband fordert, alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unter 18 Jahren, die nach Deutschland einreisen, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII unverzüglich durch das Jugendamt in Obhut zu nehmen. Dabei muss die/der Jugendliche von Beginn an in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden, die kindgerecht ist, am ehesten den individuellen Bedürfnissen des/der Betroffenen entspricht und in welcher eine angemessene Betreuung gewährleistet ist. …
Auch im Rahmen der Folgeunterbringung müssen für umF kinder- und jugendgerechte Standards vorliegen, die weiterhin der Minderjährigkeit der Betroffenen Rechnung tragen. Folglich darf auch in diesem Rahmen keine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften (GU) erfolgen. …

Zugang zu Bildung und Ausbildung
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die ihre bisherige Schullaufbahn in Deutschland fortsetzen oder eine schulische Ausbildung aufnehmen wollen, haben gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG generell keinen Anspruch auf Teilnahme an Sprachkursen im Rahmen der Integrationskurse. Sie könnten zwar nach dem Wortlaut der Norm gemäß § 44 Abs. 4 AufenthG bei verfügbaren Kursplätzen zur Teilnahme zugelassen werden. Dies wird in der Praxis allerdings mit Verweis auf § 44 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG abgelehnt, da nach Auffassung des BAMF Jugendliche und junge Erwachsene nur dann an einem Jugendintegrationskurs teilnehmen können, wenn sie sich nicht mehr in einer schulischen Ausbildung befinden.
Der Zugang von umF zu allgemeinbildenden Schulen gestaltet sich aufgrund abweichender schulgesetzlicher Bestimmungen der Länder sowie regional unterschiedlicher integrativer Bildungsangebote teils sehr uneinheitlich. …
Für 16- bis 17-jährige umF besteht eine institutionelle Hürde beim Zugang zu Bildung darin, dass sich allgemeinbildende Schulen für diese oftmals nicht zuständig fühlen und Berufsschulen auf die Jugendlichen nicht ausgerichtet sind. Bei dieser Altersgruppe findet in vielen Fällen daher keine Beschulung statt. …

Über seine originäre Bedeutung hinaus erfüllt der Schulbesuch für umF weitere wichtige Funktionen. So wird der Alltag strukturiert und ein stabiler Rahmen geschaffen. Auch wird hierdurch Orientierung innerhalb der neuen Gesellschaft und der Zugang zu hiesigen Normen und Werten ermöglicht.
Der Zugang zu Bildung muss auch in der Praxis sichergestellt werden, z. B. durch die kostenlose Bereitstellung von Lernmitteln. Auch müssen spezifische Angebote zur Integration in die Regelschulen existieren. …

Es muss sichergestellt werden, dass der Spracherwerb von Anfang an möglich ist.
Auch während des Schulbesuchs ist es in der Regel wichtig, dass sie zusätzlichen Deutschunterricht und Unterstützung bei der Erledigung von Aufgaben für die Schule erhalten, um einen erfolgreichen Schulabschluss zu erreichen. Sofern keine ausreichende Möglichkeit einer schulbegleitenden Sprachförderung gegeben ist, muss der Zugang zu Integrationskursen parallel zum Schulbesuch offen stehen. …
Allen zugewanderten Jugendlichen mit legalem Aufenthalt muss unabhängig eine Erstausbildung ohne vorhergehende Fristen möglich sein. Zur Begleitung einer gelingenden Ausbildung bedarf es gegebenenfalls entsprechender Förderangebote.
Es müssen rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit alle jungen Ausländer(innen) mit legalem Aufenthaltsstatus gleichberechtigt an den Fördermöglichkeiten der Jugendberufshilfe, des SGB III und des BAföG teilnehmen können. „

Das Positionspapier in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Quelle: Deutscher Caritasverband

Dokumente: Positionierung_umF_Vorstand_16_12_2013.pdf

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